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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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nieder), "in daselbst die Bestätigung der Religionsreversalien auszuwirken, waS
ihm auch gelang. So wurde er noch mehrfach beschäftigt, namentlich knüpfte
der hannöversche Minister Münchhausen eine lebhafte Korrespondenz an und
zog ihn wegen der göttingischen Angelegenheiten zu Rath.

Inzwischen waren ihm bei weiteren Nachdenken über die Zinzcndorfschcn
Pläne ernste Bedenken aufgestiegen, die er dem hernhutischcn Bischof Polycarp
Müller vortrug, als dieser 1744 Ebersdorf besuchte. Zugleich wandte er
sich deswegen an berühmte Gottesgelehrte, Bengel. Oettinger, Stein¬
metz u. s. w. Das Gutachten des Ersteren -- der für Würtemberg eine
ähnliche Rolle spielt, wie Spener für Norddeutschland -- ist bemerkenswerth:
"Es war ein edler, zarter, mächtiger Herzenstrieb, wodurch dieser Herr auf¬
gebracht worden ist, sich der Ehre des Erlösers ganz und gar zu widmen,
und daß er sich der bedrängten Seelen, die dem eisernen Ofen in seiner Nach¬
barschaft ehedessen entrannen, so wacker angenommen, dessen wird von Gott
nicht vergessen werden. Aber zu so vielen großen Untemehmungen, zu denen
n hernach geschritten, hat er die nöthige Tüchtigkeit nicht ... Er ist nimis
oMeiosus ör-gu Keclemtorem. Es werden wol seine Geheimsten und oft
er selbst nicht wissen, warum er dieses oder jenes thue, indem sich vieles aus
einen ImMum am'mi oeeulwm resolvirt, daher zu den ?imdu,s, die er sich
vorsetzt, die NeM nicht allezeit lauter sind, unter welche das häufige Loosen
gehört. Nicht ohne Ursache hat man hauptsächlich auf ihn zu sehn: er ist in
der That der Andern ihr Principal, und nach seiner Gestalt bildet sich seine
ganze geistliche vexenäenek. Kein despotisches Regiment ist gewaltiger als
dieses. In ihrer Gemeinschaft wird Gottes Wort sehr fleißig betrieben, man
hat schöne Gesänge und gute Uebungen, man arbeitet mit den Händen, man
ist vor böser Gesellschaft und vielen Weltgräueln verwahrt, und also mögen
wol viele Seelen, die einen guten Grund zu ihnen bringen, wann sie ihre
innere Freiheit beschützen, noch weiter kommen, werden aber bei ihnen auch
erweckt und erwärmt werden. Doch setzt ihre Verfassung manchen in eine
Einbildung von ihnen selbst und andere seines Gleichen, dabei er sich verliert
und Andere verachtet . . . Das häufige Reden von dem Heiland und sei¬
nem Blut ist Musible. ja es ist das Herzblatt des Glaubens . . leider ist
sonst bald niemand mehr, der des Heilands und seines Bluts gedächte . . .
aber wenn man immer so auf ein empfindliches Gefühl der Kraft des Blutes
Christi dringt, so läuft es endlich auf etwas Affectirtes hinaus, da einer den
andern zum Modell nimmt, und jener das, was dieser sagt, endlich in eigner
Kraft bei sich zuwegbringt, auch hernach bald einen Lehrer abgeben kann, der
von dem übrigen Glaubensgrund zu reden und Rechenschaft zu geben dispen-
s"t ist . . . Das innere Wort treiben sie so, daß sie es zum Kern, und das
Evangelium zur Hülse machen, und da wird durch den so sehr diluirlen und


nieder), »in daselbst die Bestätigung der Religionsreversalien auszuwirken, waS
ihm auch gelang. So wurde er noch mehrfach beschäftigt, namentlich knüpfte
der hannöversche Minister Münchhausen eine lebhafte Korrespondenz an und
zog ihn wegen der göttingischen Angelegenheiten zu Rath.

Inzwischen waren ihm bei weiteren Nachdenken über die Zinzcndorfschcn
Pläne ernste Bedenken aufgestiegen, die er dem hernhutischcn Bischof Polycarp
Müller vortrug, als dieser 1744 Ebersdorf besuchte. Zugleich wandte er
sich deswegen an berühmte Gottesgelehrte, Bengel. Oettinger, Stein¬
metz u. s. w. Das Gutachten des Ersteren — der für Würtemberg eine
ähnliche Rolle spielt, wie Spener für Norddeutschland — ist bemerkenswerth:
„Es war ein edler, zarter, mächtiger Herzenstrieb, wodurch dieser Herr auf¬
gebracht worden ist, sich der Ehre des Erlösers ganz und gar zu widmen,
und daß er sich der bedrängten Seelen, die dem eisernen Ofen in seiner Nach¬
barschaft ehedessen entrannen, so wacker angenommen, dessen wird von Gott
nicht vergessen werden. Aber zu so vielen großen Untemehmungen, zu denen
n hernach geschritten, hat er die nöthige Tüchtigkeit nicht ... Er ist nimis
oMeiosus ör-gu Keclemtorem. Es werden wol seine Geheimsten und oft
er selbst nicht wissen, warum er dieses oder jenes thue, indem sich vieles aus
einen ImMum am'mi oeeulwm resolvirt, daher zu den ?imdu,s, die er sich
vorsetzt, die NeM nicht allezeit lauter sind, unter welche das häufige Loosen
gehört. Nicht ohne Ursache hat man hauptsächlich auf ihn zu sehn: er ist in
der That der Andern ihr Principal, und nach seiner Gestalt bildet sich seine
ganze geistliche vexenäenek. Kein despotisches Regiment ist gewaltiger als
dieses. In ihrer Gemeinschaft wird Gottes Wort sehr fleißig betrieben, man
hat schöne Gesänge und gute Uebungen, man arbeitet mit den Händen, man
ist vor böser Gesellschaft und vielen Weltgräueln verwahrt, und also mögen
wol viele Seelen, die einen guten Grund zu ihnen bringen, wann sie ihre
innere Freiheit beschützen, noch weiter kommen, werden aber bei ihnen auch
erweckt und erwärmt werden. Doch setzt ihre Verfassung manchen in eine
Einbildung von ihnen selbst und andere seines Gleichen, dabei er sich verliert
und Andere verachtet . . . Das häufige Reden von dem Heiland und sei¬
nem Blut ist Musible. ja es ist das Herzblatt des Glaubens . . leider ist
sonst bald niemand mehr, der des Heilands und seines Bluts gedächte . . .
aber wenn man immer so auf ein empfindliches Gefühl der Kraft des Blutes
Christi dringt, so läuft es endlich auf etwas Affectirtes hinaus, da einer den
andern zum Modell nimmt, und jener das, was dieser sagt, endlich in eigner
Kraft bei sich zuwegbringt, auch hernach bald einen Lehrer abgeben kann, der
von dem übrigen Glaubensgrund zu reden und Rechenschaft zu geben dispen-
s"t ist . . . Das innere Wort treiben sie so, daß sie es zum Kern, und das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/193>, abgerufen am 24.07.2024.