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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ächtlich machen wollte: ein gesticktes, großes, blausammetnes Kleid mit sehr großen,
rothen Aufschlägen und einer rothen Weste, sammt einer großen Perücke, die
über den ganzen Rücken herabhing; die Stickerei an den Knopflöchern, Taschen,
Hosen und Zwickeln in den Strümpfen bestand aus lauter silbernen Hasen;
statt des Degens hatte er einen Fuchsschwanz an, und auf dem Hut statt
der Federn Hasenhaare. -- Vor der Disputation äußerte sich der König zu
Moser: der Morgenstern sei klüger als sie alle; Gundltng war ein gelehrter
Mann, aber mit dem Morgenstern nicht zu vergleichen und er habe ihn zum
Vicekanzler aller preußische" Universitäten gemacht. -- Er fragte nach Wolff,
und wunderte sich sehr, daß ihm Moser darüber keine Auskunft geben konnte.
-- Noch manche rcspectwidrige Aeußerungen ließ der König vernehmen, z. B.
ein Quentchen Mutterwitz sei besser als ein Centner Universitätswitz. -- Als
Moser sich über das Thema der Disputation beschwerte, rief er, aus ihn
deutend: "Ja, ja! das ist auch so ein Heuchler! was ist es denn? Ein jeder
Mensch hat seinen Narren; ich habe den Soldatennarren, der da hat den
geistlichen Hochmuthsnarren. Es ist ja nur ein erlaubter Spaß." -- "Scherze
und Narrentheidungen, erwiderte Moser, seynd denen Christen verboten." --
"So gehe er nur nach Berlin zum Probst Roloff, der wird ihm diesen Spruch
anders erklären." -- "Wenigstens bleiben es unnütze Worte, und für jedes
müssen wir einmal Rechenschaft geben." -- Alle diese Einwände waren frucht¬
los, die Disputation ging vor sich, und der Verdruß darüber zog Moser eine
ernsthafte Krankheit zu, infolge deren er um seinen Abschied einkam (März
und April 1733), der ihm jedoch abgeschlagen wurde. Die Streitigkeiten mit
seinen Collegen häuften sich, er gab, 15. Oct., eine neue Klageschrift ein,
und man schickte aus Berlin den Probst Reinbeck, um die Sache zu unter¬
suchen, der es jedoch als Wolfsianer mit Mosers Gegnern hielt. Die Sache
blieb in der Schwebe, bis Moser, 6. Febr. 1739, in einer öffentlichen Dispu¬
tation 6e Mi'ö et mocZu sueeväsncli in rv^na Kuropae, specisUm in rsAnum
Koixzmias für das Recht Maria Theresia's eintrat. Die unmittelbare Folge
davon -- so stellt er wenigstens die Sache dar -- war seine plötzliche Ent¬
lassung, 12. Febr., die jedoch von keinen Ausdrücken der königlichen Ungnade
begleitet war. -- Jetzt ganz ohne Anstellung, beschloß er, nach Ebersdorf im
Voigtland zu gehen.

Hier regierte die Gräfin Reuß, eine Verwandte Zinzendorf's, die gleich
den übrigen Höfen der Umgegend, z. B. Saalfeld, eine fromme Gemeinde
um sich versammelt hatte. Zinzendorf hatte dazu die Anregung gegeben,
obgleich die Form seiner Brüdergemeinde damals in Ebersdorf noch nicht
nachgeahmt war. Ueber das Streben dieses merkwürdigen Mannes darf nicht
im Vorbeigehn geredet worden, nur so viel sei hier bemerkt, daß es weit über
die Gründung einer kleinen Gemeinde hinausging, daß es auf die Reforma-


ächtlich machen wollte: ein gesticktes, großes, blausammetnes Kleid mit sehr großen,
rothen Aufschlägen und einer rothen Weste, sammt einer großen Perücke, die
über den ganzen Rücken herabhing; die Stickerei an den Knopflöchern, Taschen,
Hosen und Zwickeln in den Strümpfen bestand aus lauter silbernen Hasen;
statt des Degens hatte er einen Fuchsschwanz an, und auf dem Hut statt
der Federn Hasenhaare. — Vor der Disputation äußerte sich der König zu
Moser: der Morgenstern sei klüger als sie alle; Gundltng war ein gelehrter
Mann, aber mit dem Morgenstern nicht zu vergleichen und er habe ihn zum
Vicekanzler aller preußische» Universitäten gemacht. — Er fragte nach Wolff,
und wunderte sich sehr, daß ihm Moser darüber keine Auskunft geben konnte.
— Noch manche rcspectwidrige Aeußerungen ließ der König vernehmen, z. B.
ein Quentchen Mutterwitz sei besser als ein Centner Universitätswitz. — Als
Moser sich über das Thema der Disputation beschwerte, rief er, aus ihn
deutend: „Ja, ja! das ist auch so ein Heuchler! was ist es denn? Ein jeder
Mensch hat seinen Narren; ich habe den Soldatennarren, der da hat den
geistlichen Hochmuthsnarren. Es ist ja nur ein erlaubter Spaß." — „Scherze
und Narrentheidungen, erwiderte Moser, seynd denen Christen verboten." —
„So gehe er nur nach Berlin zum Probst Roloff, der wird ihm diesen Spruch
anders erklären." — „Wenigstens bleiben es unnütze Worte, und für jedes
müssen wir einmal Rechenschaft geben." — Alle diese Einwände waren frucht¬
los, die Disputation ging vor sich, und der Verdruß darüber zog Moser eine
ernsthafte Krankheit zu, infolge deren er um seinen Abschied einkam (März
und April 1733), der ihm jedoch abgeschlagen wurde. Die Streitigkeiten mit
seinen Collegen häuften sich, er gab, 15. Oct., eine neue Klageschrift ein,
und man schickte aus Berlin den Probst Reinbeck, um die Sache zu unter¬
suchen, der es jedoch als Wolfsianer mit Mosers Gegnern hielt. Die Sache
blieb in der Schwebe, bis Moser, 6. Febr. 1739, in einer öffentlichen Dispu¬
tation 6e Mi'ö et mocZu sueeväsncli in rv^na Kuropae, specisUm in rsAnum
Koixzmias für das Recht Maria Theresia's eintrat. Die unmittelbare Folge
davon — so stellt er wenigstens die Sache dar — war seine plötzliche Ent¬
lassung, 12. Febr., die jedoch von keinen Ausdrücken der königlichen Ungnade
begleitet war. — Jetzt ganz ohne Anstellung, beschloß er, nach Ebersdorf im
Voigtland zu gehen.

Hier regierte die Gräfin Reuß, eine Verwandte Zinzendorf's, die gleich
den übrigen Höfen der Umgegend, z. B. Saalfeld, eine fromme Gemeinde
um sich versammelt hatte. Zinzendorf hatte dazu die Anregung gegeben,
obgleich die Form seiner Brüdergemeinde damals in Ebersdorf noch nicht
nachgeahmt war. Ueber das Streben dieses merkwürdigen Mannes darf nicht
im Vorbeigehn geredet worden, nur so viel sei hier bemerkt, daß es weit über
die Gründung einer kleinen Gemeinde hinausging, daß es auf die Reforma-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/190>, abgerufen am 24.07.2024.