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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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mit meinen Sünden verdient hätte; ich wurde gleichsam über viele Artikel
verhört und befragt, ob ich nicht gestehn müßte, daß ich dies und dies verdient
habe? wobei ich zu empfinden bekam, was der Zorn Gottes heiße. Ich ge¬
stand auch alles, was mir sowohl von Sünde und Verderbe", als auch von
der dadurch verdienten Strafe vorgehalten wurde, willig zu, gab mich aller
Verdammung schuldig, und daß ich die Gerechtigkeit Gottes auch in der
Hölle preisen müsse; ich bat aber zugleich um Gnade um Jesu willen.

Hieraus war es, als wenn Jesus, von dem ich bisher nichts beobachtet
hatte, hervorträte, für mich um Gnade zu bitten. . . Diese von Jesu seinem
Vater geschehene Anzeige^ seiner für mich beschehenen Genugthuung war mir
unaussprechlich lebhast gegenwärtig in meinem Gemüth; und zugleich erging
in meinem Inwendigen ein Machtwort an mich: nun ist es Zeit zuzugreifen!
und ich that es auch augenblicklich. Ich erwartete keines richterlichen Aus¬
spruches auf die gegen mich angebrachte Klage, sondern fing an, Gott die
Ehre zu geben, ihm zu danken und ihn anzubeten, daß er das Blut Christi
zur Versöhnung auch für meine Sünden angenommen habe: mich um
seinetwillen und in ihm begnadigt und-zum Kind aiigenommen habe: und
uuter diesem Loben und Danken wurde ich von dein Frieden Gottes ganz
überschwemmt, wie darin eingetaucht, und dem nach Geist, Seele und Leib
durchdrungen.

Ich stand endlich wieder auf: es ging mir aber, wie einem gesunden
und muntern Kind, das, wenn es auf die Welt kommt, und so viele Dinge
beobachtet, welche es noch niemals gesehn, seine Augen überall herumlaufen
läßt, doch aber sich nicht recht drein zu schicken weiß. Ich rief meine Gattin
und christliche Hausgenossen an einen abgesonderten Ort, und erzählte ihnen,
was der Herr um mir gethan hatte. Sie verwunderten sich, widersprachen
.es zwar nicht, konnten es aber auch nicht ganz glauben, weil es mit ge¬
wissen Bildern und Sätzen, die sie sich von Andern in den Kopf gesetzt, nicht
übereinkam: ich ließ mich aber nicht irre machen, denn ich wußte wol, was
an mir geschehn war." --

Wir wollen den Eindruck dieser Geschichte durch keinen Commentar ab¬
schwächen; nur zwei Bemerkungen lassen sich nicht zurückdrängen.

Moser entwickelt in seiner Lebensbeschreibung wie anderwärts el" sehr
deutliches Bewußtsein seiner Vorzüge wie seiner Schwächen, er hebt die erste",
ohne sich zu brüsten, mit gerechtem Selbstgefühl hervor, und theilt mit dem
Leser die Ueberzeugung, daß bei ihm im Willen wie in der Kraft das Gute
überwiegt. Wie reimt sich nun das mit dem zerknirscheadem Gefühl der allge¬
meinen menschlichen und seiner speciellen Nichtswürdigkeit? Zwar bemerkt er
hin und wieder anstandshalber, gegen Gott gehalten sei das alles doch nichts;
aber das ist doch nur eine Abstraction oder vielmehr eine leere Phrase, so


mit meinen Sünden verdient hätte; ich wurde gleichsam über viele Artikel
verhört und befragt, ob ich nicht gestehn müßte, daß ich dies und dies verdient
habe? wobei ich zu empfinden bekam, was der Zorn Gottes heiße. Ich ge¬
stand auch alles, was mir sowohl von Sünde und Verderbe», als auch von
der dadurch verdienten Strafe vorgehalten wurde, willig zu, gab mich aller
Verdammung schuldig, und daß ich die Gerechtigkeit Gottes auch in der
Hölle preisen müsse; ich bat aber zugleich um Gnade um Jesu willen.

Hieraus war es, als wenn Jesus, von dem ich bisher nichts beobachtet
hatte, hervorträte, für mich um Gnade zu bitten. . . Diese von Jesu seinem
Vater geschehene Anzeige^ seiner für mich beschehenen Genugthuung war mir
unaussprechlich lebhast gegenwärtig in meinem Gemüth; und zugleich erging
in meinem Inwendigen ein Machtwort an mich: nun ist es Zeit zuzugreifen!
und ich that es auch augenblicklich. Ich erwartete keines richterlichen Aus¬
spruches auf die gegen mich angebrachte Klage, sondern fing an, Gott die
Ehre zu geben, ihm zu danken und ihn anzubeten, daß er das Blut Christi
zur Versöhnung auch für meine Sünden angenommen habe: mich um
seinetwillen und in ihm begnadigt und-zum Kind aiigenommen habe: und
uuter diesem Loben und Danken wurde ich von dein Frieden Gottes ganz
überschwemmt, wie darin eingetaucht, und dem nach Geist, Seele und Leib
durchdrungen.

Ich stand endlich wieder auf: es ging mir aber, wie einem gesunden
und muntern Kind, das, wenn es auf die Welt kommt, und so viele Dinge
beobachtet, welche es noch niemals gesehn, seine Augen überall herumlaufen
läßt, doch aber sich nicht recht drein zu schicken weiß. Ich rief meine Gattin
und christliche Hausgenossen an einen abgesonderten Ort, und erzählte ihnen,
was der Herr um mir gethan hatte. Sie verwunderten sich, widersprachen
.es zwar nicht, konnten es aber auch nicht ganz glauben, weil es mit ge¬
wissen Bildern und Sätzen, die sie sich von Andern in den Kopf gesetzt, nicht
übereinkam: ich ließ mich aber nicht irre machen, denn ich wußte wol, was
an mir geschehn war." —

Wir wollen den Eindruck dieser Geschichte durch keinen Commentar ab¬
schwächen; nur zwei Bemerkungen lassen sich nicht zurückdrängen.

Moser entwickelt in seiner Lebensbeschreibung wie anderwärts el» sehr
deutliches Bewußtsein seiner Vorzüge wie seiner Schwächen, er hebt die erste»,
ohne sich zu brüsten, mit gerechtem Selbstgefühl hervor, und theilt mit dem
Leser die Ueberzeugung, daß bei ihm im Willen wie in der Kraft das Gute
überwiegt. Wie reimt sich nun das mit dem zerknirscheadem Gefühl der allge¬
meinen menschlichen und seiner speciellen Nichtswürdigkeit? Zwar bemerkt er
hin und wieder anstandshalber, gegen Gott gehalten sei das alles doch nichts;
aber das ist doch nur eine Abstraction oder vielmehr eine leere Phrase, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/188>, abgerufen am 24.07.2024.