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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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selbiger viel gegründete Seelen sprach, erzählte er uns nach seiner Zurückkunst,
wie so sehr viele er unter ihnen angetroffen habe, welche alle einmüthig be¬
zeugten, daß sie zu einem bleibenden Frieden Gottes gekommen wären, auch
gewiß wußten, und ihnen niemals mehr streitig wurde. daß ihnen alle ihre
vergangenen, gegenwärtigen und noch bis an das Ende ihres Laufs auf Erden
vorkommenden Sünden, wenn sie im Stand der Gnade beharren würden, um
des Blutes Jesu Christi willen auf einmal alle und auf ewig vergeben, und
auf überzeugende Weise in ihren. Gewissen versichert worden seien. Sie hätten
sich nämlich je länger je mehr als schwere Sünder erkennen lernen, und daß
nicht nur die Ausbrüche, oder auch nur die Lust der Sünde. Sünde seien, son¬
dern daß sie eben ganz verdorben und zu allem Guten untüchtig seien. In
diesem Zustand nun. da sie sich selbst ein Ekel und ein Greuel gewesen seien,
hätten sie sich zu Jesu genaht, um Gnade und Barmherzigkeit, um des für
sie vergossenen Blutes willen gebeten, und so seien sie begnadigt und der Kind¬
schaft Gottes gewiß worden.

Dies gab mir einen wahreren Aufschluß von der Sache, und weil ich es
der h. Schrift gemäß fand, so legte ich mich alle Tage, ohne meiner Gattin
etwas davon zu sagen, auf den Boden vor dem Herrn, und bat ihn. weil ich
nun erkenne, wie grundbös und verdorben ich sei, ich auch nicht mehr als ein
Heiliger, sondern als ein Gottloser durch Christum gerecht zu werden verlange,
so möchte er denn auch mir eine gewisse und bleibende Versicherung aller
meiner Sünden schenken. Ich verlangte ihm weder Zeit noch Weise vorzu¬
schreiben u. s. w.

Als ich dergestalt einige Wochen täglich angehalten hatte, wurde ich eines
Sonntags, da ich sonst keine Anlage noch Neigung zu sinnlichen oder aus Phan¬
tasie herrührenden Dingen habe, einesmals im Geist vor Gottes Gericht ge¬
stellt. Wer dieses nicht versteht, dein kann ich es auch nicht sagen noch erklä¬
ren: es ging ohne Bilder und sinnliches Wesen zu; doch auf eine so wahr¬
haftige, eindringende, gegenwärtige und überzeugende Weise, als ich irdische
Dinge sehn, hören, fühlen kann.

In diesem Zustand wurden mir in einem Augenblick nicht nur alle Aus¬
brüche der Sünden meines ganzen Lebens von Jugend auf, auf einmal, und
doch so, daß ich einen jeden derselben genau nach allen Umständen der
Zeit, des Orts unterscheiden konnte, vor Augen gelegt, daß ich weder zuvor
noch hernach mein Lebtag im Stande gewesen wäre, selbige nur zu erzählen. . .
Zugleich aber konnte ich einen penetranten Blick in den von der Sünde so
gar durchdrungenen ganzen Zustand des Menschen thun, und wie der heilige
Gott diese Sünde und Sündhaftigkeit verabscheue und in keiner Gemeinschaft
mit einer solchen unreinen Creatur stehn könne und wolle.

Ueber dies erging eine förmliche Anklage über mich und das, was ich


selbiger viel gegründete Seelen sprach, erzählte er uns nach seiner Zurückkunst,
wie so sehr viele er unter ihnen angetroffen habe, welche alle einmüthig be¬
zeugten, daß sie zu einem bleibenden Frieden Gottes gekommen wären, auch
gewiß wußten, und ihnen niemals mehr streitig wurde. daß ihnen alle ihre
vergangenen, gegenwärtigen und noch bis an das Ende ihres Laufs auf Erden
vorkommenden Sünden, wenn sie im Stand der Gnade beharren würden, um
des Blutes Jesu Christi willen auf einmal alle und auf ewig vergeben, und
auf überzeugende Weise in ihren. Gewissen versichert worden seien. Sie hätten
sich nämlich je länger je mehr als schwere Sünder erkennen lernen, und daß
nicht nur die Ausbrüche, oder auch nur die Lust der Sünde. Sünde seien, son¬
dern daß sie eben ganz verdorben und zu allem Guten untüchtig seien. In
diesem Zustand nun. da sie sich selbst ein Ekel und ein Greuel gewesen seien,
hätten sie sich zu Jesu genaht, um Gnade und Barmherzigkeit, um des für
sie vergossenen Blutes willen gebeten, und so seien sie begnadigt und der Kind¬
schaft Gottes gewiß worden.

Dies gab mir einen wahreren Aufschluß von der Sache, und weil ich es
der h. Schrift gemäß fand, so legte ich mich alle Tage, ohne meiner Gattin
etwas davon zu sagen, auf den Boden vor dem Herrn, und bat ihn. weil ich
nun erkenne, wie grundbös und verdorben ich sei, ich auch nicht mehr als ein
Heiliger, sondern als ein Gottloser durch Christum gerecht zu werden verlange,
so möchte er denn auch mir eine gewisse und bleibende Versicherung aller
meiner Sünden schenken. Ich verlangte ihm weder Zeit noch Weise vorzu¬
schreiben u. s. w.

Als ich dergestalt einige Wochen täglich angehalten hatte, wurde ich eines
Sonntags, da ich sonst keine Anlage noch Neigung zu sinnlichen oder aus Phan¬
tasie herrührenden Dingen habe, einesmals im Geist vor Gottes Gericht ge¬
stellt. Wer dieses nicht versteht, dein kann ich es auch nicht sagen noch erklä¬
ren: es ging ohne Bilder und sinnliches Wesen zu; doch auf eine so wahr¬
haftige, eindringende, gegenwärtige und überzeugende Weise, als ich irdische
Dinge sehn, hören, fühlen kann.

In diesem Zustand wurden mir in einem Augenblick nicht nur alle Aus¬
brüche der Sünden meines ganzen Lebens von Jugend auf, auf einmal, und
doch so, daß ich einen jeden derselben genau nach allen Umständen der
Zeit, des Orts unterscheiden konnte, vor Augen gelegt, daß ich weder zuvor
noch hernach mein Lebtag im Stande gewesen wäre, selbige nur zu erzählen. . .
Zugleich aber konnte ich einen penetranten Blick in den von der Sünde so
gar durchdrungenen ganzen Zustand des Menschen thun, und wie der heilige
Gott diese Sünde und Sündhaftigkeit verabscheue und in keiner Gemeinschaft
mit einer solchen unreinen Creatur stehn könne und wolle.

Ueber dies erging eine förmliche Anklage über mich und das, was ich


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[0187] selbiger viel gegründete Seelen sprach, erzählte er uns nach seiner Zurückkunst, wie so sehr viele er unter ihnen angetroffen habe, welche alle einmüthig be¬ zeugten, daß sie zu einem bleibenden Frieden Gottes gekommen wären, auch gewiß wußten, und ihnen niemals mehr streitig wurde. daß ihnen alle ihre vergangenen, gegenwärtigen und noch bis an das Ende ihres Laufs auf Erden vorkommenden Sünden, wenn sie im Stand der Gnade beharren würden, um des Blutes Jesu Christi willen auf einmal alle und auf ewig vergeben, und auf überzeugende Weise in ihren. Gewissen versichert worden seien. Sie hätten sich nämlich je länger je mehr als schwere Sünder erkennen lernen, und daß nicht nur die Ausbrüche, oder auch nur die Lust der Sünde. Sünde seien, son¬ dern daß sie eben ganz verdorben und zu allem Guten untüchtig seien. In diesem Zustand nun. da sie sich selbst ein Ekel und ein Greuel gewesen seien, hätten sie sich zu Jesu genaht, um Gnade und Barmherzigkeit, um des für sie vergossenen Blutes willen gebeten, und so seien sie begnadigt und der Kind¬ schaft Gottes gewiß worden. Dies gab mir einen wahreren Aufschluß von der Sache, und weil ich es der h. Schrift gemäß fand, so legte ich mich alle Tage, ohne meiner Gattin etwas davon zu sagen, auf den Boden vor dem Herrn, und bat ihn. weil ich nun erkenne, wie grundbös und verdorben ich sei, ich auch nicht mehr als ein Heiliger, sondern als ein Gottloser durch Christum gerecht zu werden verlange, so möchte er denn auch mir eine gewisse und bleibende Versicherung aller meiner Sünden schenken. Ich verlangte ihm weder Zeit noch Weise vorzu¬ schreiben u. s. w. Als ich dergestalt einige Wochen täglich angehalten hatte, wurde ich eines Sonntags, da ich sonst keine Anlage noch Neigung zu sinnlichen oder aus Phan¬ tasie herrührenden Dingen habe, einesmals im Geist vor Gottes Gericht ge¬ stellt. Wer dieses nicht versteht, dein kann ich es auch nicht sagen noch erklä¬ ren: es ging ohne Bilder und sinnliches Wesen zu; doch auf eine so wahr¬ haftige, eindringende, gegenwärtige und überzeugende Weise, als ich irdische Dinge sehn, hören, fühlen kann. In diesem Zustand wurden mir in einem Augenblick nicht nur alle Aus¬ brüche der Sünden meines ganzen Lebens von Jugend auf, auf einmal, und doch so, daß ich einen jeden derselben genau nach allen Umständen der Zeit, des Orts unterscheiden konnte, vor Augen gelegt, daß ich weder zuvor noch hernach mein Lebtag im Stande gewesen wäre, selbige nur zu erzählen. . . Zugleich aber konnte ich einen penetranten Blick in den von der Sünde so gar durchdrungenen ganzen Zustand des Menschen thun, und wie der heilige Gott diese Sünde und Sündhaftigkeit verabscheue und in keiner Gemeinschaft mit einer solchen unreinen Creatur stehn könne und wolle. Ueber dies erging eine förmliche Anklage über mich und das, was ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/187>, abgerufen am 24.07.2024.