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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Notiz veröffentlichte, die wir aber nach der ausführlichen Mittheilung von
17 53 wiedergeben,

"Ich und meine Ehegattin hatten schon vor drei Jahren angefangen, uns
von ganzem Herzen von der Welt ab und zu Gott zu bekehren, alles abzulegen
was wir als Sünde erkannten, im Wort Gottes und in andern geistlichen
Uebungen uns zu erbauen, die Schmach Christi von der Welt auf uns zu
nehmen und uns zu seiner Nachfolge zu bekennen, fleißig unsere Kniee vor
Gott zu beugen u. s. w. -- Indessen hatten wir doch noch keinen bleiben¬
den Frieden, sondern glaubten, so lange wir Ruhe vor unsern geistlichen Fein¬
den hatten, sich keine grobe Ausbrüche der Sünde äußerten, wir seien bei
Gott in Gnaden: gab uns aber Gott unser tiefes Verderben zu erkennen, oder
wir wurden durch diese oder jene Uebereilung davon überzeugt, was wir noch
vor arme Sünder, gebrechliche Kreaturen und schlechte Helden gegen den Sa¬
tan und der Welt seien, so waren wir niedergeschlagen, unsers Gnadenstandcs
ungewiß, und wußten uns weder zu rathen noch zu helfen.

Hintennach habe ich eingesehn, daß uns zwar Jesus Christus lieb und
werth gewesen, aber wir hatten eben doch uns auch noch selbst mit in Rech¬
nung genommen: wir wollten erst durch unsere eignen guten Werke und hei¬
liges Leben, unserer Einbildung nach, vorher schön werden, ehe wir uns zu
Gott nahen und uns durch Christum in seinem Blut rechtfertigen lassen woll¬
ten; wir hatten eine verkehrte und schädliche Scham, und verbargen uns in
unserm besudelten Kleide viel mehr vor Jesu, als daß wir uns in demselben
z" ihm genaht und ihn um die schönen Kleider des Heils gebeten hätten.
Die redlichen Seelen, mit denen wir Umgang hatten, verstünden die Sache
auch nicht besser als wir. Wir hörten den öffentlichen Vortrag eines erbau¬
lichen Lehrers, der aber selbst auf gesetzlichen Wegen wandelte; und so blieben
wir eben in unserer unerkannten eigne" Gerechtigkeit und (heimlichen) Un¬
glauben stehn. ,

. . . Auf einer Reise sprachen wir einen wackern Mann, der fragte uns:
nun ihr lieben Brüder! wie stehts denn um euch? habt ihr Vergebung der
Sünden? Wir stntzien, und es wollte keiner mit der Sprache heraus. Endlich
sagte ich. wie es mir wirklich ums Herz war: dieses sei so etwas Großes, daß
ich mir nicht getrauete, mich dessen anzumaßen. Er sagte aber nur: el, das
ist eine falsche Demuth! haben Sie es. so dürfen Sie es auch sagen; und
haben Sie es nicht, so seien Sie so redlich und gestehn es! -- Dabei aber
verblieb es, und wir verstünden ihn nicht völlig.

Ein Jahr darauf versetzte mich Gott in ein anderes Land. Wir waren
in vielem Segen und Liebe um und untereinander: aber in diesem Stück hatte
eins so wenig wie das andere hinreichende Erkenntniß noch Erfahrung.

Als aber ein Freund ein Jahr hernach eine weite Reise that, und aus


Notiz veröffentlichte, die wir aber nach der ausführlichen Mittheilung von
17 53 wiedergeben,

„Ich und meine Ehegattin hatten schon vor drei Jahren angefangen, uns
von ganzem Herzen von der Welt ab und zu Gott zu bekehren, alles abzulegen
was wir als Sünde erkannten, im Wort Gottes und in andern geistlichen
Uebungen uns zu erbauen, die Schmach Christi von der Welt auf uns zu
nehmen und uns zu seiner Nachfolge zu bekennen, fleißig unsere Kniee vor
Gott zu beugen u. s. w. — Indessen hatten wir doch noch keinen bleiben¬
den Frieden, sondern glaubten, so lange wir Ruhe vor unsern geistlichen Fein¬
den hatten, sich keine grobe Ausbrüche der Sünde äußerten, wir seien bei
Gott in Gnaden: gab uns aber Gott unser tiefes Verderben zu erkennen, oder
wir wurden durch diese oder jene Uebereilung davon überzeugt, was wir noch
vor arme Sünder, gebrechliche Kreaturen und schlechte Helden gegen den Sa¬
tan und der Welt seien, so waren wir niedergeschlagen, unsers Gnadenstandcs
ungewiß, und wußten uns weder zu rathen noch zu helfen.

Hintennach habe ich eingesehn, daß uns zwar Jesus Christus lieb und
werth gewesen, aber wir hatten eben doch uns auch noch selbst mit in Rech¬
nung genommen: wir wollten erst durch unsere eignen guten Werke und hei¬
liges Leben, unserer Einbildung nach, vorher schön werden, ehe wir uns zu
Gott nahen und uns durch Christum in seinem Blut rechtfertigen lassen woll¬
ten; wir hatten eine verkehrte und schädliche Scham, und verbargen uns in
unserm besudelten Kleide viel mehr vor Jesu, als daß wir uns in demselben
z» ihm genaht und ihn um die schönen Kleider des Heils gebeten hätten.
Die redlichen Seelen, mit denen wir Umgang hatten, verstünden die Sache
auch nicht besser als wir. Wir hörten den öffentlichen Vortrag eines erbau¬
lichen Lehrers, der aber selbst auf gesetzlichen Wegen wandelte; und so blieben
wir eben in unserer unerkannten eigne« Gerechtigkeit und (heimlichen) Un¬
glauben stehn. ,

. . . Auf einer Reise sprachen wir einen wackern Mann, der fragte uns:
nun ihr lieben Brüder! wie stehts denn um euch? habt ihr Vergebung der
Sünden? Wir stntzien, und es wollte keiner mit der Sprache heraus. Endlich
sagte ich. wie es mir wirklich ums Herz war: dieses sei so etwas Großes, daß
ich mir nicht getrauete, mich dessen anzumaßen. Er sagte aber nur: el, das
ist eine falsche Demuth! haben Sie es. so dürfen Sie es auch sagen; und
haben Sie es nicht, so seien Sie so redlich und gestehn es! — Dabei aber
verblieb es, und wir verstünden ihn nicht völlig.

Ein Jahr darauf versetzte mich Gott in ein anderes Land. Wir waren
in vielem Segen und Liebe um und untereinander: aber in diesem Stück hatte
eins so wenig wie das andere hinreichende Erkenntniß noch Erfahrung.

Als aber ein Freund ein Jahr hernach eine weite Reise that, und aus


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[0186] Notiz veröffentlichte, die wir aber nach der ausführlichen Mittheilung von 17 53 wiedergeben, „Ich und meine Ehegattin hatten schon vor drei Jahren angefangen, uns von ganzem Herzen von der Welt ab und zu Gott zu bekehren, alles abzulegen was wir als Sünde erkannten, im Wort Gottes und in andern geistlichen Uebungen uns zu erbauen, die Schmach Christi von der Welt auf uns zu nehmen und uns zu seiner Nachfolge zu bekennen, fleißig unsere Kniee vor Gott zu beugen u. s. w. — Indessen hatten wir doch noch keinen bleiben¬ den Frieden, sondern glaubten, so lange wir Ruhe vor unsern geistlichen Fein¬ den hatten, sich keine grobe Ausbrüche der Sünde äußerten, wir seien bei Gott in Gnaden: gab uns aber Gott unser tiefes Verderben zu erkennen, oder wir wurden durch diese oder jene Uebereilung davon überzeugt, was wir noch vor arme Sünder, gebrechliche Kreaturen und schlechte Helden gegen den Sa¬ tan und der Welt seien, so waren wir niedergeschlagen, unsers Gnadenstandcs ungewiß, und wußten uns weder zu rathen noch zu helfen. Hintennach habe ich eingesehn, daß uns zwar Jesus Christus lieb und werth gewesen, aber wir hatten eben doch uns auch noch selbst mit in Rech¬ nung genommen: wir wollten erst durch unsere eignen guten Werke und hei¬ liges Leben, unserer Einbildung nach, vorher schön werden, ehe wir uns zu Gott nahen und uns durch Christum in seinem Blut rechtfertigen lassen woll¬ ten; wir hatten eine verkehrte und schädliche Scham, und verbargen uns in unserm besudelten Kleide viel mehr vor Jesu, als daß wir uns in demselben z» ihm genaht und ihn um die schönen Kleider des Heils gebeten hätten. Die redlichen Seelen, mit denen wir Umgang hatten, verstünden die Sache auch nicht besser als wir. Wir hörten den öffentlichen Vortrag eines erbau¬ lichen Lehrers, der aber selbst auf gesetzlichen Wegen wandelte; und so blieben wir eben in unserer unerkannten eigne« Gerechtigkeit und (heimlichen) Un¬ glauben stehn. , . . . Auf einer Reise sprachen wir einen wackern Mann, der fragte uns: nun ihr lieben Brüder! wie stehts denn um euch? habt ihr Vergebung der Sünden? Wir stntzien, und es wollte keiner mit der Sprache heraus. Endlich sagte ich. wie es mir wirklich ums Herz war: dieses sei so etwas Großes, daß ich mir nicht getrauete, mich dessen anzumaßen. Er sagte aber nur: el, das ist eine falsche Demuth! haben Sie es. so dürfen Sie es auch sagen; und haben Sie es nicht, so seien Sie so redlich und gestehn es! — Dabei aber verblieb es, und wir verstünden ihn nicht völlig. Ein Jahr darauf versetzte mich Gott in ein anderes Land. Wir waren in vielem Segen und Liebe um und untereinander: aber in diesem Stück hatte eins so wenig wie das andere hinreichende Erkenntniß noch Erfahrung. Als aber ein Freund ein Jahr hernach eine weite Reise that, und aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/186>, abgerufen am 24.07.2024.