Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Weise davor. Auch setzten wir, nuf ernstliches Verlangen des Stadtpfarrers,
die sonntäglichen Erbanungsstunden fort/' -- Die Frauen der Beamten mußten
die Redouten besuche"! Moser indessen hatte als "ehrlicher Mann" schon soviel
Credit, das; man es ihm nachsah, wenn er dieser Verordnung aus Gewissens¬
bedenken nicht Folge leistete. -- In diese Zeit fallen seine "Rechtlichen Bedenken
von Privatversammlungen der Kinder Gottes", 1734 und sein "Altes und
Neues aus dem Reich Gottes und der übrigen guten und bösen Geister",
19 Thle., 1733--".

Schon zu Anfang 1730 hatte Moser durch Vermittelung des Juristen
Böhmer in Halle einen Nuf nach Frankfurt a. O., und da ihm die Stutt¬
garter Verhältnisse unerträglich geworden waren, kam er sofort um seine Ent¬
lassung ein. Sie wurde ihm verweigert: er wisse zuviel Geheimes von Staats¬
und Landesangelegenheiten. Er erwiderte, er sei kein Leibeigener, sondern
diene aus Kapitulation; doch zog sich die Sache in die Länge, bis er einen
raschen Entschluß faßte, in Tübingen 2. Mai 1736 Dr. 5ur. wurde, und
gleich darauf nach Frankfurt abging. Seine formelle Entlassung erhielt er erst
im October.

In Frankfurt fand er die Dinge nicht so. wie er sie erwartet. Die Stu¬
denten waren roh, die Kollegien wenig besucht, die Professoren nahmen es
leicht mit ihrer Schuldigkeit, schmeichelten den jungen Leuten und waren ihm
mißgünstig. Diese Mißgunst wurde nicht kleiner, als er 2. Jan. 1737 in seiner
Stellung als Director der Universität es für seine Pflicht hielt, über die Ver¬
säumnisse seiner Collegen zu berichten. Es erfolgte eine heftige Aufregung,
und die nächsten Vorgesetzten waren ihm abhold, da v. Ludewig und Cocccji
in seinem Compendium des öffentlichen Rechts Ketzereien zu finden glaubten.
Am l"i. Mai erhielt er einen officiellen Tadel, daß die Universität nicht vor¬
wärts komme, den 28. Sept. von Cvcceji sogar die dürre Weisung, der Hof
sei mit ihm unzufrieden, er könne gehn. Er beschwerte sich deshalb direct
beim König, der in der That von den Schritten seiner Minister nichts wußte,
und ihn beruhige" ließ (13. Oct.). Man ging damals ernsthaft damit um,
Frankfurt zu heben, um Ausländer und rhr Geld ins Land zu ziehin auch
Wolff und Gottsched suchte man zu gewinnen.

"In Frankfurt lebten wir in der Stille und suchten uns unter einander
zu erbauen; man sagte, in unserm Hause gehe es fast zu, wie in einem Klo¬
ster. . . So bedrängt dieser Zeitlauf für deu äußern Menschen war, so daß ich
zuletzt fast mehr einem Gerippe als einem Menschen ähnlich war, so gesegnet
war er für meinen Geist, und ich gelangte endlich 1737 zu einem bleiben¬
den Zeugniß der Vergebung meiner Sünden und des Guadenstandes bei
Gott."

Nun folgt die merkwürdige Geschichte, über die Moser schon 1741 ein


Weise davor. Auch setzten wir, nuf ernstliches Verlangen des Stadtpfarrers,
die sonntäglichen Erbanungsstunden fort/' — Die Frauen der Beamten mußten
die Redouten besuche»! Moser indessen hatte als „ehrlicher Mann" schon soviel
Credit, das; man es ihm nachsah, wenn er dieser Verordnung aus Gewissens¬
bedenken nicht Folge leistete. — In diese Zeit fallen seine „Rechtlichen Bedenken
von Privatversammlungen der Kinder Gottes", 1734 und sein „Altes und
Neues aus dem Reich Gottes und der übrigen guten und bösen Geister",
19 Thle., 1733—«.

Schon zu Anfang 1730 hatte Moser durch Vermittelung des Juristen
Böhmer in Halle einen Nuf nach Frankfurt a. O., und da ihm die Stutt¬
garter Verhältnisse unerträglich geworden waren, kam er sofort um seine Ent¬
lassung ein. Sie wurde ihm verweigert: er wisse zuviel Geheimes von Staats¬
und Landesangelegenheiten. Er erwiderte, er sei kein Leibeigener, sondern
diene aus Kapitulation; doch zog sich die Sache in die Länge, bis er einen
raschen Entschluß faßte, in Tübingen 2. Mai 1736 Dr. 5ur. wurde, und
gleich darauf nach Frankfurt abging. Seine formelle Entlassung erhielt er erst
im October.

In Frankfurt fand er die Dinge nicht so. wie er sie erwartet. Die Stu¬
denten waren roh, die Kollegien wenig besucht, die Professoren nahmen es
leicht mit ihrer Schuldigkeit, schmeichelten den jungen Leuten und waren ihm
mißgünstig. Diese Mißgunst wurde nicht kleiner, als er 2. Jan. 1737 in seiner
Stellung als Director der Universität es für seine Pflicht hielt, über die Ver¬
säumnisse seiner Collegen zu berichten. Es erfolgte eine heftige Aufregung,
und die nächsten Vorgesetzten waren ihm abhold, da v. Ludewig und Cocccji
in seinem Compendium des öffentlichen Rechts Ketzereien zu finden glaubten.
Am l«i. Mai erhielt er einen officiellen Tadel, daß die Universität nicht vor¬
wärts komme, den 28. Sept. von Cvcceji sogar die dürre Weisung, der Hof
sei mit ihm unzufrieden, er könne gehn. Er beschwerte sich deshalb direct
beim König, der in der That von den Schritten seiner Minister nichts wußte,
und ihn beruhige» ließ (13. Oct.). Man ging damals ernsthaft damit um,
Frankfurt zu heben, um Ausländer und rhr Geld ins Land zu ziehin auch
Wolff und Gottsched suchte man zu gewinnen.

„In Frankfurt lebten wir in der Stille und suchten uns unter einander
zu erbauen; man sagte, in unserm Hause gehe es fast zu, wie in einem Klo¬
ster. . . So bedrängt dieser Zeitlauf für deu äußern Menschen war, so daß ich
zuletzt fast mehr einem Gerippe als einem Menschen ähnlich war, so gesegnet
war er für meinen Geist, und ich gelangte endlich 1737 zu einem bleiben¬
den Zeugniß der Vergebung meiner Sünden und des Guadenstandes bei
Gott."

Nun folgt die merkwürdige Geschichte, über die Moser schon 1741 ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109991"/>
          <p xml:id="ID_503" prev="#ID_502"> Weise davor. Auch setzten wir, nuf ernstliches Verlangen des Stadtpfarrers,<lb/>
die sonntäglichen Erbanungsstunden fort/' &#x2014; Die Frauen der Beamten mußten<lb/>
die Redouten besuche»! Moser indessen hatte als &#x201E;ehrlicher Mann" schon soviel<lb/>
Credit, das; man es ihm nachsah, wenn er dieser Verordnung aus Gewissens¬<lb/>
bedenken nicht Folge leistete. &#x2014; In diese Zeit fallen seine &#x201E;Rechtlichen Bedenken<lb/>
von Privatversammlungen der Kinder Gottes", 1734 und sein &#x201E;Altes und<lb/>
Neues aus dem Reich Gottes und der übrigen guten und bösen Geister",<lb/>
19 Thle., 1733&#x2014;«.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_504"> Schon zu Anfang 1730 hatte Moser durch Vermittelung des Juristen<lb/>
Böhmer in Halle einen Nuf nach Frankfurt a. O., und da ihm die Stutt¬<lb/>
garter Verhältnisse unerträglich geworden waren, kam er sofort um seine Ent¬<lb/>
lassung ein. Sie wurde ihm verweigert: er wisse zuviel Geheimes von Staats¬<lb/>
und Landesangelegenheiten. Er erwiderte, er sei kein Leibeigener, sondern<lb/>
diene aus Kapitulation; doch zog sich die Sache in die Länge, bis er einen<lb/>
raschen Entschluß faßte, in Tübingen 2. Mai 1736 Dr. 5ur. wurde, und<lb/>
gleich darauf nach Frankfurt abging. Seine formelle Entlassung erhielt er erst<lb/>
im October.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_505"> In Frankfurt fand er die Dinge nicht so. wie er sie erwartet. Die Stu¬<lb/>
denten waren roh, die Kollegien wenig besucht, die Professoren nahmen es<lb/>
leicht mit ihrer Schuldigkeit, schmeichelten den jungen Leuten und waren ihm<lb/>
mißgünstig. Diese Mißgunst wurde nicht kleiner, als er 2. Jan. 1737 in seiner<lb/>
Stellung als Director der Universität es für seine Pflicht hielt, über die Ver¬<lb/>
säumnisse seiner Collegen zu berichten. Es erfolgte eine heftige Aufregung,<lb/>
und die nächsten Vorgesetzten waren ihm abhold, da v. Ludewig und Cocccji<lb/>
in seinem Compendium des öffentlichen Rechts Ketzereien zu finden glaubten.<lb/>
Am l«i. Mai erhielt er einen officiellen Tadel, daß die Universität nicht vor¬<lb/>
wärts komme, den 28. Sept. von Cvcceji sogar die dürre Weisung, der Hof<lb/>
sei mit ihm unzufrieden, er könne gehn. Er beschwerte sich deshalb direct<lb/>
beim König, der in der That von den Schritten seiner Minister nichts wußte,<lb/>
und ihn beruhige» ließ (13. Oct.). Man ging damals ernsthaft damit um,<lb/>
Frankfurt zu heben, um Ausländer und rhr Geld ins Land zu ziehin auch<lb/>
Wolff und Gottsched suchte man zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_506"> &#x201E;In Frankfurt lebten wir in der Stille und suchten uns unter einander<lb/>
zu erbauen; man sagte, in unserm Hause gehe es fast zu, wie in einem Klo¬<lb/>
ster. . . So bedrängt dieser Zeitlauf für deu äußern Menschen war, so daß ich<lb/>
zuletzt fast mehr einem Gerippe als einem Menschen ähnlich war, so gesegnet<lb/>
war er für meinen Geist, und ich gelangte endlich 1737 zu einem bleiben¬<lb/>
den Zeugniß der Vergebung meiner Sünden und des Guadenstandes bei<lb/>
Gott."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507" next="#ID_508"> Nun folgt die merkwürdige Geschichte, über die Moser schon 1741 ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Weise davor. Auch setzten wir, nuf ernstliches Verlangen des Stadtpfarrers, die sonntäglichen Erbanungsstunden fort/' — Die Frauen der Beamten mußten die Redouten besuche»! Moser indessen hatte als „ehrlicher Mann" schon soviel Credit, das; man es ihm nachsah, wenn er dieser Verordnung aus Gewissens¬ bedenken nicht Folge leistete. — In diese Zeit fallen seine „Rechtlichen Bedenken von Privatversammlungen der Kinder Gottes", 1734 und sein „Altes und Neues aus dem Reich Gottes und der übrigen guten und bösen Geister", 19 Thle., 1733—«. Schon zu Anfang 1730 hatte Moser durch Vermittelung des Juristen Böhmer in Halle einen Nuf nach Frankfurt a. O., und da ihm die Stutt¬ garter Verhältnisse unerträglich geworden waren, kam er sofort um seine Ent¬ lassung ein. Sie wurde ihm verweigert: er wisse zuviel Geheimes von Staats¬ und Landesangelegenheiten. Er erwiderte, er sei kein Leibeigener, sondern diene aus Kapitulation; doch zog sich die Sache in die Länge, bis er einen raschen Entschluß faßte, in Tübingen 2. Mai 1736 Dr. 5ur. wurde, und gleich darauf nach Frankfurt abging. Seine formelle Entlassung erhielt er erst im October. In Frankfurt fand er die Dinge nicht so. wie er sie erwartet. Die Stu¬ denten waren roh, die Kollegien wenig besucht, die Professoren nahmen es leicht mit ihrer Schuldigkeit, schmeichelten den jungen Leuten und waren ihm mißgünstig. Diese Mißgunst wurde nicht kleiner, als er 2. Jan. 1737 in seiner Stellung als Director der Universität es für seine Pflicht hielt, über die Ver¬ säumnisse seiner Collegen zu berichten. Es erfolgte eine heftige Aufregung, und die nächsten Vorgesetzten waren ihm abhold, da v. Ludewig und Cocccji in seinem Compendium des öffentlichen Rechts Ketzereien zu finden glaubten. Am l«i. Mai erhielt er einen officiellen Tadel, daß die Universität nicht vor¬ wärts komme, den 28. Sept. von Cvcceji sogar die dürre Weisung, der Hof sei mit ihm unzufrieden, er könne gehn. Er beschwerte sich deshalb direct beim König, der in der That von den Schritten seiner Minister nichts wußte, und ihn beruhige» ließ (13. Oct.). Man ging damals ernsthaft damit um, Frankfurt zu heben, um Ausländer und rhr Geld ins Land zu ziehin auch Wolff und Gottsched suchte man zu gewinnen. „In Frankfurt lebten wir in der Stille und suchten uns unter einander zu erbauen; man sagte, in unserm Hause gehe es fast zu, wie in einem Klo¬ ster. . . So bedrängt dieser Zeitlauf für deu äußern Menschen war, so daß ich zuletzt fast mehr einem Gerippe als einem Menschen ähnlich war, so gesegnet war er für meinen Geist, und ich gelangte endlich 1737 zu einem bleiben¬ den Zeugniß der Vergebung meiner Sünden und des Guadenstandes bei Gott." Nun folgt die merkwürdige Geschichte, über die Moser schon 1741 ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/185>, abgerufen am 24.07.2024.