Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.Zinzendorf, der ihm 1732 eine Stelle in Dänemark verschaffen wollte, und Als Herzog Carl Alexander 1733 zur Regierung kam, wurde Moser "Auch in Stuttgart genossen wir eines genauen Unterrichts nicht! hingegen Zinzendorf, der ihm 1732 eine Stelle in Dänemark verschaffen wollte, und Als Herzog Carl Alexander 1733 zur Regierung kam, wurde Moser „Auch in Stuttgart genossen wir eines genauen Unterrichts nicht! hingegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109990"/> <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499"> Zinzendorf, der ihm 1732 eine Stelle in Dänemark verschaffen wollte, und<lb/> 1733 Tübingen selbst besuchte. „Um diese Zeit hatte eines herrnhutischen<lb/> Töpfers Umgang mit meiner Frau vielen Segen; es kam bei uns zu einem<lb/> ganzen Ernst, daß wir unsere Seelen erretten wollten. Es war um selbige<lb/> Zeit überhaupt in Tübingen und in ganz Würtemberg eine große Erweckung<lb/> und vieler Segen. Manche rechtschaffene Prediger thaten ihr Amt redlich,<lb/> manche, so noch von denen im Anfang dieses Jahrhunderts Erweckten übrig<lb/> aber wieder eingeschlafen waren, machten sich von Neuem auf. Mein und<lb/> meiner Gattin Herzensfreude war, wenn wir wieder von Jemand hörten,<lb/> der einen guten Sinn habe oder sich bekehren »volle; wir suchten ihre Be¬<lb/> kanntschaft, reisten ihnen nach; es war uns höchst angenehm, wenn uns der¬<lb/> gleichen Personen besuchten, sie mochten noch so geringen Standes sein. Wir<lb/> scheuten uns auch nicht, unsern Sinn freimüthig und öffentlich vor Jedermann<lb/> zu bekennen, und nahmen die damit verbundene Schmach von den Weltlenker<lb/> willig aus uns." — Die Familie hielt sonntäglich häusliche Erbauungsstunden,<lb/> an denen Viele Theil nahmen. — „Bei aller Redlichkeit unsers Herzens fehlte es<lb/> uns dennoch an genügsamer Erkenntniß unsers Herzens, der Sünde, der Gnade, der<lb/> Heilsordnung, des Unterschiedes des alten und neuen Testamentes u. s. w.:<lb/> daher verfielen wir im Anfang, auch wol hernach, zuweilen auf Nebendinge;<lb/> in das Wissen und das Gebet mengte sich Selbstgefälligkeit und Bckehrsucht;<lb/> es fehlte auch nicht an mancherlei Gelegenheiten, da wir durch Andere auf<lb/> Irrwege hätten gebracht werden können, und es war Barmherzigkeit von Gott,<lb/> daß wir bei solchen Umständen ohne Schaden durchkamen. Weil es uns an<lb/> hinlänglichem Unterricht fehlte, so blieben wir noch vier Jahr in einem ge¬<lb/> setzlichen Zustand." — Was das heißen soll, wird sich bald ergeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_501"> Als Herzog Carl Alexander 1733 zur Regierung kam, wurde Moser<lb/> wieder als Regierungsrath nach Stuttgart berufen. Der neue Herr ging von<lb/> großartigen Reformplänen aus, alle innern Einrichtungen sollten geordnet, mit<lb/> allen Nachbarn die Streitigkeiten ausgeglichen werden, alles sollte auf einmal<lb/> geschehn. Selbst Mosers ungeheure Arbeitskraft, der man alle unangenehme<lb/> Geschäfte, namentlich in Religionssachen zuschob, reichte nicht aus, eine sinn¬<lb/> lose Aufgabe zu bewältigen, obgleich er auch hier sein Talent zeigte, unter<lb/> Umständen sehr energisch durchzugrcifen. Die großen Pläne geriethen, zum<lb/> Theil wegen äußerer Noth (die Franzosen bedrohten 1734 Würtemberg, das<lb/> sich zu eng an Oestreich anschloß), bald ins Stocken, Moser erhielt schon 1735<lb/> längern Urlaub, die Archive des Cardinal Schönborn zu Oberbein zu ordnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_502" next="#ID_503"> „Auch in Stuttgart genossen wir eines genauen Unterrichts nicht! hingegen<lb/> schlossen meine Verwandten, auch andre redliche Seelen beiderlei Geschlechts<lb/> mit uns eine etwas nähere Geistcsgcmeinschaft: wir gingen mit einander zum<lb/> Abendmahl, bereiteten uns gemeinschaftlich darauf, und dankten auf gleiche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
Zinzendorf, der ihm 1732 eine Stelle in Dänemark verschaffen wollte, und
1733 Tübingen selbst besuchte. „Um diese Zeit hatte eines herrnhutischen
Töpfers Umgang mit meiner Frau vielen Segen; es kam bei uns zu einem
ganzen Ernst, daß wir unsere Seelen erretten wollten. Es war um selbige
Zeit überhaupt in Tübingen und in ganz Würtemberg eine große Erweckung
und vieler Segen. Manche rechtschaffene Prediger thaten ihr Amt redlich,
manche, so noch von denen im Anfang dieses Jahrhunderts Erweckten übrig
aber wieder eingeschlafen waren, machten sich von Neuem auf. Mein und
meiner Gattin Herzensfreude war, wenn wir wieder von Jemand hörten,
der einen guten Sinn habe oder sich bekehren »volle; wir suchten ihre Be¬
kanntschaft, reisten ihnen nach; es war uns höchst angenehm, wenn uns der¬
gleichen Personen besuchten, sie mochten noch so geringen Standes sein. Wir
scheuten uns auch nicht, unsern Sinn freimüthig und öffentlich vor Jedermann
zu bekennen, und nahmen die damit verbundene Schmach von den Weltlenker
willig aus uns." — Die Familie hielt sonntäglich häusliche Erbauungsstunden,
an denen Viele Theil nahmen. — „Bei aller Redlichkeit unsers Herzens fehlte es
uns dennoch an genügsamer Erkenntniß unsers Herzens, der Sünde, der Gnade, der
Heilsordnung, des Unterschiedes des alten und neuen Testamentes u. s. w.:
daher verfielen wir im Anfang, auch wol hernach, zuweilen auf Nebendinge;
in das Wissen und das Gebet mengte sich Selbstgefälligkeit und Bckehrsucht;
es fehlte auch nicht an mancherlei Gelegenheiten, da wir durch Andere auf
Irrwege hätten gebracht werden können, und es war Barmherzigkeit von Gott,
daß wir bei solchen Umständen ohne Schaden durchkamen. Weil es uns an
hinlänglichem Unterricht fehlte, so blieben wir noch vier Jahr in einem ge¬
setzlichen Zustand." — Was das heißen soll, wird sich bald ergeben.
Als Herzog Carl Alexander 1733 zur Regierung kam, wurde Moser
wieder als Regierungsrath nach Stuttgart berufen. Der neue Herr ging von
großartigen Reformplänen aus, alle innern Einrichtungen sollten geordnet, mit
allen Nachbarn die Streitigkeiten ausgeglichen werden, alles sollte auf einmal
geschehn. Selbst Mosers ungeheure Arbeitskraft, der man alle unangenehme
Geschäfte, namentlich in Religionssachen zuschob, reichte nicht aus, eine sinn¬
lose Aufgabe zu bewältigen, obgleich er auch hier sein Talent zeigte, unter
Umständen sehr energisch durchzugrcifen. Die großen Pläne geriethen, zum
Theil wegen äußerer Noth (die Franzosen bedrohten 1734 Würtemberg, das
sich zu eng an Oestreich anschloß), bald ins Stocken, Moser erhielt schon 1735
längern Urlaub, die Archive des Cardinal Schönborn zu Oberbein zu ordnen.
„Auch in Stuttgart genossen wir eines genauen Unterrichts nicht! hingegen
schlossen meine Verwandten, auch andre redliche Seelen beiderlei Geschlechts
mit uns eine etwas nähere Geistcsgcmeinschaft: wir gingen mit einander zum
Abendmahl, bereiteten uns gemeinschaftlich darauf, und dankten auf gleiche
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