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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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deuten geschichtlichen Entwickelung derselben, läßt es nicht zum scharfen Be¬
wußtsein der Nechtmüßigkeit oder der Unzulässigkeit neuester Zustände kommen.
Eine jede Thatsache wurde leicht für einen rechtlichen Vorgang und eine jede
geschichtliche Erscheinung für einen folgerichtigen Zustand genommen. Indem
Moser das Dasein eines gemeinen deutschen Nechtsinstituts durch einzelne
Beispiele aus den verschiedenen Ländern zu erweisen sucht, wird ihm die Häu¬
figkeit einer Einrichtung bald gleichbedeutend mit ihrer allgemeinen rechtlichen
Nothwendigkeit. Ja wenn für eine vorliegende Frage mittelst zahlreicher, wenig¬
stens leidlich übereinstimmender Einrichtungen oder Vorgänge aus verschie¬
denen Reichslanden keine Antwort gefunden werden konnte, so begnügte sich
Moser auch mit ganz vereinzelten Fällen. Daß diese möglicherweise durch
Folgewidrigkeit und Irrthum entstanden sein konnten, kümmerte ihn nicht:
denn der lebendige geschichtliche Zusammenhang war ihm fremd, ein Vorgang
aber lag ja vor, welcher doch besser war als gar nichts. --

Etwas davon zeigt sich doch auch in seinem religiösen Leben. Moser versäumt
nie das vermeintliche Eingreifen Gottes in sein Schicksal -- d. h. alle zu¬
fälligen glücklichen Umstände -- als "Thatsachen" sorgfältig aufzuzeichnen;
und wenn er von der Sitte der Herrnhuter, durch Aufschlagen einer Bibel¬
stelle den Willen Gottes zu entnehmen, principiell nicht viel hält, so scheint
es ihm doch angemessen, die Fälle, wo so etwas wirklich eingetroffen, zu
sammeln: es sind eben wieder Thatsachen.

Daß seine Rechtsansicht in der Regel nicht in der Form eines schneiden¬
den Urtheils zu Tage geht, sondern hauptsächlich aus der Anordnung zu ent¬
nehmen ist, und auch bei ausdrücklichen Aussprechen bescheiden und oft nur
als Zweifel auftritt, ist nicht Mangel einer eignen bestimmten Meinung, son¬
dern hauptsächlich Scheu vor der Censur und sonstigem Verdruß. Wer will einem
Schriftsteller eine anscheinend zweifelhafte oder schwankende Formen verdenken,
wenn ihm die Censur wiederholt das Wörtchen nicht ausstreicht, um ihn das Gegen¬
theil seiner Ueberzeugung behaupten zu machen! So hatte Moser sein Staats¬
recht sehr vorsichtig abgefaßt, die verschiedenen Meinungen des Kaisers und
der Stände nur referirt. ohne eigenes Urtheil: dennoch erregte es in Würtem-
berg schon starken Anstoß, daß er die Ansprüche des Kaisers ohne bestimmte
Widerlegung hinstellte. -- Im Dec. 1729 wurden seine Papiere confiscire
und ihm erst "ach anderthalb Jahren zurückgegeben, weil man eine geheime
Correspondenz mit Wien argwöhnte! Trotz seiner im Uebrigen sehr günstigen
Stellung -- er hatte zahlreiche Schüler, zum Theil aus den vornehmsten
Stünden, machte Bekanntschaft mit den ersten Kreisen, und behielt noch
Zeit eine Assessur in Wehlar zu verwalten -- verleideten ihm diese Ver¬
drießlichkeiten doch sein Amt und er legte es 1732 nieder.

Dies gab Gelegenheit zu seiner ersten Bekanntschaft mit dem Grafen


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deuten geschichtlichen Entwickelung derselben, läßt es nicht zum scharfen Be¬
wußtsein der Nechtmüßigkeit oder der Unzulässigkeit neuester Zustände kommen.
Eine jede Thatsache wurde leicht für einen rechtlichen Vorgang und eine jede
geschichtliche Erscheinung für einen folgerichtigen Zustand genommen. Indem
Moser das Dasein eines gemeinen deutschen Nechtsinstituts durch einzelne
Beispiele aus den verschiedenen Ländern zu erweisen sucht, wird ihm die Häu¬
figkeit einer Einrichtung bald gleichbedeutend mit ihrer allgemeinen rechtlichen
Nothwendigkeit. Ja wenn für eine vorliegende Frage mittelst zahlreicher, wenig¬
stens leidlich übereinstimmender Einrichtungen oder Vorgänge aus verschie¬
denen Reichslanden keine Antwort gefunden werden konnte, so begnügte sich
Moser auch mit ganz vereinzelten Fällen. Daß diese möglicherweise durch
Folgewidrigkeit und Irrthum entstanden sein konnten, kümmerte ihn nicht:
denn der lebendige geschichtliche Zusammenhang war ihm fremd, ein Vorgang
aber lag ja vor, welcher doch besser war als gar nichts. —

Etwas davon zeigt sich doch auch in seinem religiösen Leben. Moser versäumt
nie das vermeintliche Eingreifen Gottes in sein Schicksal — d. h. alle zu¬
fälligen glücklichen Umstände — als „Thatsachen" sorgfältig aufzuzeichnen;
und wenn er von der Sitte der Herrnhuter, durch Aufschlagen einer Bibel¬
stelle den Willen Gottes zu entnehmen, principiell nicht viel hält, so scheint
es ihm doch angemessen, die Fälle, wo so etwas wirklich eingetroffen, zu
sammeln: es sind eben wieder Thatsachen.

Daß seine Rechtsansicht in der Regel nicht in der Form eines schneiden¬
den Urtheils zu Tage geht, sondern hauptsächlich aus der Anordnung zu ent¬
nehmen ist, und auch bei ausdrücklichen Aussprechen bescheiden und oft nur
als Zweifel auftritt, ist nicht Mangel einer eignen bestimmten Meinung, son¬
dern hauptsächlich Scheu vor der Censur und sonstigem Verdruß. Wer will einem
Schriftsteller eine anscheinend zweifelhafte oder schwankende Formen verdenken,
wenn ihm die Censur wiederholt das Wörtchen nicht ausstreicht, um ihn das Gegen¬
theil seiner Ueberzeugung behaupten zu machen! So hatte Moser sein Staats¬
recht sehr vorsichtig abgefaßt, die verschiedenen Meinungen des Kaisers und
der Stände nur referirt. ohne eigenes Urtheil: dennoch erregte es in Würtem-
berg schon starken Anstoß, daß er die Ansprüche des Kaisers ohne bestimmte
Widerlegung hinstellte. — Im Dec. 1729 wurden seine Papiere confiscire
und ihm erst »ach anderthalb Jahren zurückgegeben, weil man eine geheime
Correspondenz mit Wien argwöhnte! Trotz seiner im Uebrigen sehr günstigen
Stellung — er hatte zahlreiche Schüler, zum Theil aus den vornehmsten
Stünden, machte Bekanntschaft mit den ersten Kreisen, und behielt noch
Zeit eine Assessur in Wehlar zu verwalten — verleideten ihm diese Ver¬
drießlichkeiten doch sein Amt und er legte es 1732 nieder.

Dies gab Gelegenheit zu seiner ersten Bekanntschaft mit dem Grafen


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[0183] deuten geschichtlichen Entwickelung derselben, läßt es nicht zum scharfen Be¬ wußtsein der Nechtmüßigkeit oder der Unzulässigkeit neuester Zustände kommen. Eine jede Thatsache wurde leicht für einen rechtlichen Vorgang und eine jede geschichtliche Erscheinung für einen folgerichtigen Zustand genommen. Indem Moser das Dasein eines gemeinen deutschen Nechtsinstituts durch einzelne Beispiele aus den verschiedenen Ländern zu erweisen sucht, wird ihm die Häu¬ figkeit einer Einrichtung bald gleichbedeutend mit ihrer allgemeinen rechtlichen Nothwendigkeit. Ja wenn für eine vorliegende Frage mittelst zahlreicher, wenig¬ stens leidlich übereinstimmender Einrichtungen oder Vorgänge aus verschie¬ denen Reichslanden keine Antwort gefunden werden konnte, so begnügte sich Moser auch mit ganz vereinzelten Fällen. Daß diese möglicherweise durch Folgewidrigkeit und Irrthum entstanden sein konnten, kümmerte ihn nicht: denn der lebendige geschichtliche Zusammenhang war ihm fremd, ein Vorgang aber lag ja vor, welcher doch besser war als gar nichts. — Etwas davon zeigt sich doch auch in seinem religiösen Leben. Moser versäumt nie das vermeintliche Eingreifen Gottes in sein Schicksal — d. h. alle zu¬ fälligen glücklichen Umstände — als „Thatsachen" sorgfältig aufzuzeichnen; und wenn er von der Sitte der Herrnhuter, durch Aufschlagen einer Bibel¬ stelle den Willen Gottes zu entnehmen, principiell nicht viel hält, so scheint es ihm doch angemessen, die Fälle, wo so etwas wirklich eingetroffen, zu sammeln: es sind eben wieder Thatsachen. Daß seine Rechtsansicht in der Regel nicht in der Form eines schneiden¬ den Urtheils zu Tage geht, sondern hauptsächlich aus der Anordnung zu ent¬ nehmen ist, und auch bei ausdrücklichen Aussprechen bescheiden und oft nur als Zweifel auftritt, ist nicht Mangel einer eignen bestimmten Meinung, son¬ dern hauptsächlich Scheu vor der Censur und sonstigem Verdruß. Wer will einem Schriftsteller eine anscheinend zweifelhafte oder schwankende Formen verdenken, wenn ihm die Censur wiederholt das Wörtchen nicht ausstreicht, um ihn das Gegen¬ theil seiner Ueberzeugung behaupten zu machen! So hatte Moser sein Staats¬ recht sehr vorsichtig abgefaßt, die verschiedenen Meinungen des Kaisers und der Stände nur referirt. ohne eigenes Urtheil: dennoch erregte es in Würtem- berg schon starken Anstoß, daß er die Ansprüche des Kaisers ohne bestimmte Widerlegung hinstellte. — Im Dec. 1729 wurden seine Papiere confiscire und ihm erst »ach anderthalb Jahren zurückgegeben, weil man eine geheime Correspondenz mit Wien argwöhnte! Trotz seiner im Uebrigen sehr günstigen Stellung — er hatte zahlreiche Schüler, zum Theil aus den vornehmsten Stünden, machte Bekanntschaft mit den ersten Kreisen, und behielt noch Zeit eine Assessur in Wehlar zu verwalten — verleideten ihm diese Ver¬ drießlichkeiten doch sein Amt und er legte es 1732 nieder. Dies gab Gelegenheit zu seiner ersten Bekanntschaft mit dem Grafen 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/183>, abgerufen am 24.07.2024.