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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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diesem Zustand sterben lassen! Daher ich auch mit größter Beklemmung meines
Herzens das Aeußere mitmachte." --

Diese Gemüthsverfassung benutzte man in Wien 1721. ihn unter Ver¬
heißung großer Vortheile zu einem Religionswechsel aufzufordern, da ihm doch
beide Bekenntnisse gleichgiltig seien. Aber er war zu ehrlich, der katholischen
Confession den Vorzug zu geben, weder vom Standpunkt des gesunden Men¬
schenverstandes, noch vom historischen der Schrift; er lehnte mit einer humo¬
ristischen Wendung den Antrag ab. "Damals hatte ich keinen Funken wahrer
Religion, nicht einmal einer natürlichen." 1724 hatte er den Muth, bei einer
Frohnleichnamsprocession in Wien, als rings um ihn alles Volk, der Kaiser
an der Spitze, sich niederwarf, allein aufrecht stehn zu bleiben. Als er bei sei¬
nem Abgang von Wien vom Canzler Grafen Schönborn, der immer sehr gütig
gegen ihn gewesen, Abschied nahm, sagte dieser zu ihm: "Ich habe immer
geglaubt, der gute Geist werde Sie überzeugen, daß Sie in einer irrigen Reli¬
gion seien; sea Spiritus trat udi vult! Versprechen Sie mir wenigstens, daß,
Wenn Sie eine andere Ueberzeugung bekommen sollten, Sie dem guten Geist
nicht widerstreben wollen." Moser bemerkte, daß, wenn es in Religionssache"
auf das Alter ankäme, man zum Judenthum oder vielmehr zum Heidenthum
zurückkehren müsse, denn diese Religion sei die ältere; leistete aber willig das
verlangte Versprechen.

In Stuttgart (1727) -- vielleicht, weil er von den unmittelbaren prak¬
tischen Geschäften dispensirt war -- fing er an, in sich zu gehn.

"Je mehr ich den ganzen Weltbau, mich selbst und alle Creaturen betrach¬
tete, um so mehr Allmacht und Weisheit fand ich darin, und daß alles nicht
von selbst also entstanden sein könne, sondern von einem unendlich großen
Wesen geordnet sein müsse; worin Derhams Astro- und Physikotheologie mich
so bestärkten, daß, ob mir gleich nicht alle Zweifel wegfielen, ich mich doch
selbst für unvernünftig Hütte halten müssen, wenn ich den überwiegenden Grün¬
den hätte widersprechen wollen. Ich glaubte nun eine Gottheit mit großer
Ueberzeugung, und hatte eine natürliche Religion. -- Dr. Luther sagte mit
Recht: es sei was Großes, wenn Jemand den ersten Artikel des Glaubens¬
bekenntnisses mit Wahrheit sprechen könne! und ich setze hinzu: wie viel tau¬
send Christen betrügen sich hierin selbst! -- Nachher machte in Ansehung der
Wahrheit der christlichen Religion eine von dem seligen Spener einem Natura¬
listen ertheilte Antwort einen starken Eindruck bei mir: so Jemand will des.
der mich gesandt hat. Willen thun, der' wird inne werden, ob diese Lehre von
Gott sei. Anfangs deuchte mich diese Forderung unbillig; ich fand aber nach¬
her, daß sie selbst in der Vernunft gegründet, mithin auch einer, so sich der-
selbigen nicht unterwirft, unentschuldbar sei, wenn er verdammt wird, und daß
kein Naturalist, er habe gegen die Wahrheit der christlichen Religion noch so


diesem Zustand sterben lassen! Daher ich auch mit größter Beklemmung meines
Herzens das Aeußere mitmachte." —

Diese Gemüthsverfassung benutzte man in Wien 1721. ihn unter Ver¬
heißung großer Vortheile zu einem Religionswechsel aufzufordern, da ihm doch
beide Bekenntnisse gleichgiltig seien. Aber er war zu ehrlich, der katholischen
Confession den Vorzug zu geben, weder vom Standpunkt des gesunden Men¬
schenverstandes, noch vom historischen der Schrift; er lehnte mit einer humo¬
ristischen Wendung den Antrag ab. „Damals hatte ich keinen Funken wahrer
Religion, nicht einmal einer natürlichen." 1724 hatte er den Muth, bei einer
Frohnleichnamsprocession in Wien, als rings um ihn alles Volk, der Kaiser
an der Spitze, sich niederwarf, allein aufrecht stehn zu bleiben. Als er bei sei¬
nem Abgang von Wien vom Canzler Grafen Schönborn, der immer sehr gütig
gegen ihn gewesen, Abschied nahm, sagte dieser zu ihm: „Ich habe immer
geglaubt, der gute Geist werde Sie überzeugen, daß Sie in einer irrigen Reli¬
gion seien; sea Spiritus trat udi vult! Versprechen Sie mir wenigstens, daß,
Wenn Sie eine andere Ueberzeugung bekommen sollten, Sie dem guten Geist
nicht widerstreben wollen." Moser bemerkte, daß, wenn es in Religionssache»
auf das Alter ankäme, man zum Judenthum oder vielmehr zum Heidenthum
zurückkehren müsse, denn diese Religion sei die ältere; leistete aber willig das
verlangte Versprechen.

In Stuttgart (1727) — vielleicht, weil er von den unmittelbaren prak¬
tischen Geschäften dispensirt war — fing er an, in sich zu gehn.

„Je mehr ich den ganzen Weltbau, mich selbst und alle Creaturen betrach¬
tete, um so mehr Allmacht und Weisheit fand ich darin, und daß alles nicht
von selbst also entstanden sein könne, sondern von einem unendlich großen
Wesen geordnet sein müsse; worin Derhams Astro- und Physikotheologie mich
so bestärkten, daß, ob mir gleich nicht alle Zweifel wegfielen, ich mich doch
selbst für unvernünftig Hütte halten müssen, wenn ich den überwiegenden Grün¬
den hätte widersprechen wollen. Ich glaubte nun eine Gottheit mit großer
Ueberzeugung, und hatte eine natürliche Religion. — Dr. Luther sagte mit
Recht: es sei was Großes, wenn Jemand den ersten Artikel des Glaubens¬
bekenntnisses mit Wahrheit sprechen könne! und ich setze hinzu: wie viel tau¬
send Christen betrügen sich hierin selbst! — Nachher machte in Ansehung der
Wahrheit der christlichen Religion eine von dem seligen Spener einem Natura¬
listen ertheilte Antwort einen starken Eindruck bei mir: so Jemand will des.
der mich gesandt hat. Willen thun, der' wird inne werden, ob diese Lehre von
Gott sei. Anfangs deuchte mich diese Forderung unbillig; ich fand aber nach¬
her, daß sie selbst in der Vernunft gegründet, mithin auch einer, so sich der-
selbigen nicht unterwirft, unentschuldbar sei, wenn er verdammt wird, und daß
kein Naturalist, er habe gegen die Wahrheit der christlichen Religion noch so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/179>, abgerufen am 24.07.2024.