Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

alten Zeit" habe der akademische Hokuspokus stattlicher ausgesehn als heute,
möge den Bericht von den Hanswurstiaden seiner Jnaugural-Disputation in
seiner Selbstbiographie nachlesen,

Professor war er nun, doch fand er keine Zuhörer; statt dessen erwarb
er sich 1721 durch eine ziemlich dreiste Bitte den Charakter eines Regierungs¬
raths, und legte sich zugleich das adlige Prädicat bei, wozu er eine zweifel¬
hafte Berechtigung hatte: seine Familie, deren Stammbaum bis 1450 hinauf¬
geht, und sich durch den Charakter der Ehrlichkeit auszeichnete, war 1573
geadelt worden (Moser v. Filscck); doch hatte der Zweig, zu welchem Moser
gehörte, den Adelstitel nie geführt/) So für jede Gesellschaft ausgerüstet,
ging er im Spätherbst 172l nach Wien, nachdem er sich daselbst durch die
zeitgemäße Abhandlung: Kveeimsn xrvtlromnm.juris imperialis in Nirgnum
Ouckwm Hötrurmö empfohlen, erwarb sich die Gunst des Rcichsvicekcmzlers
Grafen Schönborn, hatte eine Audienz beim Kaiser Karl, den er sehr gut
schildert, und kehrte im Frühling 1722 mit den besten Aussichten und Ver¬
sprechungen zurück. Die Rückreise hatte er benutzt, eilig eine Reihe von
Klosterbibliotheken zu durchstöbern und eine Lidliotlreea, Uanuserixtoi'um
herauszugeben.

In Stuttgart heirathete er 16. Juni 1722 die Tochter eines Geheim-
raths, Rosine Bischer (geb. 14. Mai 1703), mit der er seit zwei Jahren ver¬
lobt war. Der größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann: er ein cnt-
schicdncr Cholerikus, sie das ausgcsprochne Phlegma. Uebrigens sah man
ihn in Stuttgart scheel an, da man ihn beargwohnte, die kaiserliche Gunst
durch Verrath gegen Würtemberg erkauft zusahen, und er erkannte bald, daß
hier seines Bleibens nicht sein werde. Nachdem er also Wetzlar besucht, und
mit seinem entschiednen praktischen Blick die Mängel des Reichskammer¬
gerichts durchschaut, reiste er, mit einem Plan zur Verbesserung desselben in der
Tasche, im Herbst 1724 zum zweitenmal "ach Wien. An Reformen hatte
man hier nicht im Entferntesten gedacht, man wies ihn spöttisch zurück, doch
beschäftigte ihn Schönborn vielfach mit juristischen und politischen Arbeiten,
die er gut, sogar glänzend bezahlte. Nicht blos sein Auskommen wurde da¬
durch gesichert, er wurde eine einflußreiche Person: er erfuhr sehr viel, und
man wandte sich an ihn, wenn man bei dem Vicekanzler etwas durchsetzen
wollte. Nachdem er sich im Sommer 1725 aus einer Reise nach Stuttgart
überzeugt, daß hier nichts für ihn zu hoffen sei, quittirte er den würtem-
bergischen Dienst und holte seine Familie nach Wien ab: zudem hatte die
kaiserliche Residenz auf ihn einen ganz andern Eindruck gemacht, als das



*) 1733 hörte er, wie es scheint, aus religiösen Bedenken, aus, den Adel zu führen;
den 13. Dec. 1703 wurde derselbe durch Kaiser Franz für seine Söhne restituirt; sein ältester
Sohn 1769 durch Kaiser Joseph in den Freihcrrnstand erhoben.

alten Zeit" habe der akademische Hokuspokus stattlicher ausgesehn als heute,
möge den Bericht von den Hanswurstiaden seiner Jnaugural-Disputation in
seiner Selbstbiographie nachlesen,

Professor war er nun, doch fand er keine Zuhörer; statt dessen erwarb
er sich 1721 durch eine ziemlich dreiste Bitte den Charakter eines Regierungs¬
raths, und legte sich zugleich das adlige Prädicat bei, wozu er eine zweifel¬
hafte Berechtigung hatte: seine Familie, deren Stammbaum bis 1450 hinauf¬
geht, und sich durch den Charakter der Ehrlichkeit auszeichnete, war 1573
geadelt worden (Moser v. Filscck); doch hatte der Zweig, zu welchem Moser
gehörte, den Adelstitel nie geführt/) So für jede Gesellschaft ausgerüstet,
ging er im Spätherbst 172l nach Wien, nachdem er sich daselbst durch die
zeitgemäße Abhandlung: Kveeimsn xrvtlromnm.juris imperialis in Nirgnum
Ouckwm Hötrurmö empfohlen, erwarb sich die Gunst des Rcichsvicekcmzlers
Grafen Schönborn, hatte eine Audienz beim Kaiser Karl, den er sehr gut
schildert, und kehrte im Frühling 1722 mit den besten Aussichten und Ver¬
sprechungen zurück. Die Rückreise hatte er benutzt, eilig eine Reihe von
Klosterbibliotheken zu durchstöbern und eine Lidliotlreea, Uanuserixtoi'um
herauszugeben.

In Stuttgart heirathete er 16. Juni 1722 die Tochter eines Geheim-
raths, Rosine Bischer (geb. 14. Mai 1703), mit der er seit zwei Jahren ver¬
lobt war. Der größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann: er ein cnt-
schicdncr Cholerikus, sie das ausgcsprochne Phlegma. Uebrigens sah man
ihn in Stuttgart scheel an, da man ihn beargwohnte, die kaiserliche Gunst
durch Verrath gegen Würtemberg erkauft zusahen, und er erkannte bald, daß
hier seines Bleibens nicht sein werde. Nachdem er also Wetzlar besucht, und
mit seinem entschiednen praktischen Blick die Mängel des Reichskammer¬
gerichts durchschaut, reiste er, mit einem Plan zur Verbesserung desselben in der
Tasche, im Herbst 1724 zum zweitenmal »ach Wien. An Reformen hatte
man hier nicht im Entferntesten gedacht, man wies ihn spöttisch zurück, doch
beschäftigte ihn Schönborn vielfach mit juristischen und politischen Arbeiten,
die er gut, sogar glänzend bezahlte. Nicht blos sein Auskommen wurde da¬
durch gesichert, er wurde eine einflußreiche Person: er erfuhr sehr viel, und
man wandte sich an ihn, wenn man bei dem Vicekanzler etwas durchsetzen
wollte. Nachdem er sich im Sommer 1725 aus einer Reise nach Stuttgart
überzeugt, daß hier nichts für ihn zu hoffen sei, quittirte er den würtem-
bergischen Dienst und holte seine Familie nach Wien ab: zudem hatte die
kaiserliche Residenz auf ihn einen ganz andern Eindruck gemacht, als das



*) 1733 hörte er, wie es scheint, aus religiösen Bedenken, aus, den Adel zu führen;
den 13. Dec. 1703 wurde derselbe durch Kaiser Franz für seine Söhne restituirt; sein ältester
Sohn 1769 durch Kaiser Joseph in den Freihcrrnstand erhoben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109983"/>
          <p xml:id="ID_478" prev="#ID_477"> alten Zeit" habe der akademische Hokuspokus stattlicher ausgesehn als heute,<lb/>
möge den Bericht von den Hanswurstiaden seiner Jnaugural-Disputation in<lb/>
seiner Selbstbiographie nachlesen,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_479"> Professor war er nun, doch fand er keine Zuhörer; statt dessen erwarb<lb/>
er sich 1721 durch eine ziemlich dreiste Bitte den Charakter eines Regierungs¬<lb/>
raths, und legte sich zugleich das adlige Prädicat bei, wozu er eine zweifel¬<lb/>
hafte Berechtigung hatte: seine Familie, deren Stammbaum bis 1450 hinauf¬<lb/>
geht, und sich durch den Charakter der Ehrlichkeit auszeichnete, war 1573<lb/>
geadelt worden (Moser v. Filscck); doch hatte der Zweig, zu welchem Moser<lb/>
gehörte, den Adelstitel nie geführt/) So für jede Gesellschaft ausgerüstet,<lb/>
ging er im Spätherbst 172l nach Wien, nachdem er sich daselbst durch die<lb/>
zeitgemäße Abhandlung: Kveeimsn xrvtlromnm.juris imperialis in Nirgnum<lb/>
Ouckwm Hötrurmö empfohlen, erwarb sich die Gunst des Rcichsvicekcmzlers<lb/>
Grafen Schönborn, hatte eine Audienz beim Kaiser Karl, den er sehr gut<lb/>
schildert, und kehrte im Frühling 1722 mit den besten Aussichten und Ver¬<lb/>
sprechungen zurück. Die Rückreise hatte er benutzt, eilig eine Reihe von<lb/>
Klosterbibliotheken zu durchstöbern und eine Lidliotlreea, Uanuserixtoi'um<lb/>
herauszugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_480" next="#ID_481"> In Stuttgart heirathete er 16. Juni 1722 die Tochter eines Geheim-<lb/>
raths, Rosine Bischer (geb. 14. Mai 1703), mit der er seit zwei Jahren ver¬<lb/>
lobt war. Der größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann: er ein cnt-<lb/>
schicdncr Cholerikus, sie das ausgcsprochne Phlegma. Uebrigens sah man<lb/>
ihn in Stuttgart scheel an, da man ihn beargwohnte, die kaiserliche Gunst<lb/>
durch Verrath gegen Würtemberg erkauft zusahen, und er erkannte bald, daß<lb/>
hier seines Bleibens nicht sein werde. Nachdem er also Wetzlar besucht, und<lb/>
mit seinem entschiednen praktischen Blick die Mängel des Reichskammer¬<lb/>
gerichts durchschaut, reiste er, mit einem Plan zur Verbesserung desselben in der<lb/>
Tasche, im Herbst 1724 zum zweitenmal »ach Wien. An Reformen hatte<lb/>
man hier nicht im Entferntesten gedacht, man wies ihn spöttisch zurück, doch<lb/>
beschäftigte ihn Schönborn vielfach mit juristischen und politischen Arbeiten,<lb/>
die er gut, sogar glänzend bezahlte. Nicht blos sein Auskommen wurde da¬<lb/>
durch gesichert, er wurde eine einflußreiche Person: er erfuhr sehr viel, und<lb/>
man wandte sich an ihn, wenn man bei dem Vicekanzler etwas durchsetzen<lb/>
wollte. Nachdem er sich im Sommer 1725 aus einer Reise nach Stuttgart<lb/>
überzeugt, daß hier nichts für ihn zu hoffen sei, quittirte er den würtem-<lb/>
bergischen Dienst und holte seine Familie nach Wien ab: zudem hatte die<lb/>
kaiserliche Residenz auf ihn einen ganz andern Eindruck gemacht, als das</p><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> *) 1733 hörte er, wie es scheint, aus religiösen Bedenken, aus, den Adel zu führen;<lb/>
den 13. Dec. 1703 wurde derselbe durch Kaiser Franz für seine Söhne restituirt; sein ältester<lb/>
Sohn 1769 durch Kaiser Joseph in den Freihcrrnstand erhoben.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] alten Zeit" habe der akademische Hokuspokus stattlicher ausgesehn als heute, möge den Bericht von den Hanswurstiaden seiner Jnaugural-Disputation in seiner Selbstbiographie nachlesen, Professor war er nun, doch fand er keine Zuhörer; statt dessen erwarb er sich 1721 durch eine ziemlich dreiste Bitte den Charakter eines Regierungs¬ raths, und legte sich zugleich das adlige Prädicat bei, wozu er eine zweifel¬ hafte Berechtigung hatte: seine Familie, deren Stammbaum bis 1450 hinauf¬ geht, und sich durch den Charakter der Ehrlichkeit auszeichnete, war 1573 geadelt worden (Moser v. Filscck); doch hatte der Zweig, zu welchem Moser gehörte, den Adelstitel nie geführt/) So für jede Gesellschaft ausgerüstet, ging er im Spätherbst 172l nach Wien, nachdem er sich daselbst durch die zeitgemäße Abhandlung: Kveeimsn xrvtlromnm.juris imperialis in Nirgnum Ouckwm Hötrurmö empfohlen, erwarb sich die Gunst des Rcichsvicekcmzlers Grafen Schönborn, hatte eine Audienz beim Kaiser Karl, den er sehr gut schildert, und kehrte im Frühling 1722 mit den besten Aussichten und Ver¬ sprechungen zurück. Die Rückreise hatte er benutzt, eilig eine Reihe von Klosterbibliotheken zu durchstöbern und eine Lidliotlreea, Uanuserixtoi'um herauszugeben. In Stuttgart heirathete er 16. Juni 1722 die Tochter eines Geheim- raths, Rosine Bischer (geb. 14. Mai 1703), mit der er seit zwei Jahren ver¬ lobt war. Der größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann: er ein cnt- schicdncr Cholerikus, sie das ausgcsprochne Phlegma. Uebrigens sah man ihn in Stuttgart scheel an, da man ihn beargwohnte, die kaiserliche Gunst durch Verrath gegen Würtemberg erkauft zusahen, und er erkannte bald, daß hier seines Bleibens nicht sein werde. Nachdem er also Wetzlar besucht, und mit seinem entschiednen praktischen Blick die Mängel des Reichskammer¬ gerichts durchschaut, reiste er, mit einem Plan zur Verbesserung desselben in der Tasche, im Herbst 1724 zum zweitenmal »ach Wien. An Reformen hatte man hier nicht im Entferntesten gedacht, man wies ihn spöttisch zurück, doch beschäftigte ihn Schönborn vielfach mit juristischen und politischen Arbeiten, die er gut, sogar glänzend bezahlte. Nicht blos sein Auskommen wurde da¬ durch gesichert, er wurde eine einflußreiche Person: er erfuhr sehr viel, und man wandte sich an ihn, wenn man bei dem Vicekanzler etwas durchsetzen wollte. Nachdem er sich im Sommer 1725 aus einer Reise nach Stuttgart überzeugt, daß hier nichts für ihn zu hoffen sei, quittirte er den würtem- bergischen Dienst und holte seine Familie nach Wien ab: zudem hatte die kaiserliche Residenz auf ihn einen ganz andern Eindruck gemacht, als das *) 1733 hörte er, wie es scheint, aus religiösen Bedenken, aus, den Adel zu führen; den 13. Dec. 1703 wurde derselbe durch Kaiser Franz für seine Söhne restituirt; sein ältester Sohn 1769 durch Kaiser Joseph in den Freihcrrnstand erhoben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/177>, abgerufen am 24.07.2024.