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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Johann Jacob Moser wurde 18. Jan. 1701 zu Stuttgart geboren;
sein Vater war daselbst Expeditionsrath, die Mutter (1- 1741) stammte aus
einer alten schwäbischen Predigerfamilie. Seine erste Erziehung erfolgte ziem¬
lich unregelmäßig. "Hütte eine der Sache gewachsene Person, welche mein
lebhaftes, aber auch meisterloses Gemüth zu regieren gewußt, meine Studien
dirigirt, so hätte ich es in den Humcmioribus weit gebracht; aber ich lernte
unordentlich, wollte schon damals Bücher schreiben, übersetzte alte römische
Schriftsteller, schrieb ein Antiquitäten- und Medcnllen-Cabinet wie auch einen
weitläufigen Tractat de Autochiria, sammelte eine Menge philosophischer ze.
loci communes u. s. w." -- Als ein Buchdrucker ihm seine Bibliothek von
1200 Bänden, meist theologischen und philosophischen Inhalts, das Stück zum
Kreuzer zum Verlauf anbot, setzte er bei seinem Vater den Ankauf durch, und
verschaffte sich durch eifriges Lesen dieser zufällig zusammengekommenen Masse
eine umfassende, aber buntscheckige Bildung. -- In der Schule war er ziem¬
lich vorlaut; ein Hofmeister, den er mit Fragen quälte, sagte ihm einmal:
tu es molsste ssäulus!

Unmittelbar nach dem Tode seines Vaters 1717 faßte er den Entschluß,
die Universität zu beziehn; man gab ihm eine Arbeit auf über das Thema:
ob ein christlicher Regent mit den Türken ein Bündniß schließen dürfe? und
ertheilte ihm endlich, mit Rücksicht auf seine ansehnliche Familie, die Erlaub¬
niß l ynum ^'g.in in ^ca,clsmig.in xroxerizt, iinpstum Hus eursuirnzuö uoe inlridere
nee retarä^rs potuimus. So kam er nach Tübingen, und ergab sich sofort einem
leidenschaftlichen, aber ungeordneten Fleiß: er ließ sich stets um zwei Uhr
Nachts wecken, bis es endlich seiner Gesundheit schadete. Die wüsten Ge¬
sellschaften der Zeit mitzumachen, hatte er keine Gelegenheit, da er das halbe
Jahr mit zehn Gulden auskommen und über jeden Kreuzer genaue Rechen¬
schaft ablegen mußte.

An den Collegien über römisches Recht -- die nach seiner Beschreibung
in der That sehr ledern gewesen sein müssen -- an den fingirten Rechtsfällen
vom LHo, Raspi", ?illo, Lsmxronic, u. s. w. fand er keinen Geschmack; da¬
gegen wurde er durch ein Lehrbuch aus das deutsche Staatsrecht aufmerksam,
"weil ich lauter brauchbare Dinge und wirkliche Fälle und Begebenheiten
suchte, und selbige in dieser Wissenschaft zu finden vermeinte." Das Avr
selrolas s"ZÄ vns-s äiKeenclum war schon damals sein Grundsatz. -- Bereits
im siebzehnten Jahr gab er ein Buch heraus: veeas UreoloMrum LudinAsusimri
und knüpfte einen gelehrten Briefwechsel an; im neunzehnten erwarb er sich durch
eine Disputation (die er nach seinem eignen Bericht durch unerhörte Dreistig¬
keit zu Ende brachte) die Licenz, durch einen dem Herzog gewidmeten Folian¬
ten: "heraldische und politische Erklärung des würtemvergschen Wappens" eine
außerordentliche Professur der Rechte. Wer der Ansicht ist, in der "guten


Johann Jacob Moser wurde 18. Jan. 1701 zu Stuttgart geboren;
sein Vater war daselbst Expeditionsrath, die Mutter (1- 1741) stammte aus
einer alten schwäbischen Predigerfamilie. Seine erste Erziehung erfolgte ziem¬
lich unregelmäßig. „Hütte eine der Sache gewachsene Person, welche mein
lebhaftes, aber auch meisterloses Gemüth zu regieren gewußt, meine Studien
dirigirt, so hätte ich es in den Humcmioribus weit gebracht; aber ich lernte
unordentlich, wollte schon damals Bücher schreiben, übersetzte alte römische
Schriftsteller, schrieb ein Antiquitäten- und Medcnllen-Cabinet wie auch einen
weitläufigen Tractat de Autochiria, sammelte eine Menge philosophischer ze.
loci communes u. s. w." — Als ein Buchdrucker ihm seine Bibliothek von
1200 Bänden, meist theologischen und philosophischen Inhalts, das Stück zum
Kreuzer zum Verlauf anbot, setzte er bei seinem Vater den Ankauf durch, und
verschaffte sich durch eifriges Lesen dieser zufällig zusammengekommenen Masse
eine umfassende, aber buntscheckige Bildung. — In der Schule war er ziem¬
lich vorlaut; ein Hofmeister, den er mit Fragen quälte, sagte ihm einmal:
tu es molsste ssäulus!

Unmittelbar nach dem Tode seines Vaters 1717 faßte er den Entschluß,
die Universität zu beziehn; man gab ihm eine Arbeit auf über das Thema:
ob ein christlicher Regent mit den Türken ein Bündniß schließen dürfe? und
ertheilte ihm endlich, mit Rücksicht auf seine ansehnliche Familie, die Erlaub¬
niß l ynum ^'g.in in ^ca,clsmig.in xroxerizt, iinpstum Hus eursuirnzuö uoe inlridere
nee retarä^rs potuimus. So kam er nach Tübingen, und ergab sich sofort einem
leidenschaftlichen, aber ungeordneten Fleiß: er ließ sich stets um zwei Uhr
Nachts wecken, bis es endlich seiner Gesundheit schadete. Die wüsten Ge¬
sellschaften der Zeit mitzumachen, hatte er keine Gelegenheit, da er das halbe
Jahr mit zehn Gulden auskommen und über jeden Kreuzer genaue Rechen¬
schaft ablegen mußte.

An den Collegien über römisches Recht — die nach seiner Beschreibung
in der That sehr ledern gewesen sein müssen — an den fingirten Rechtsfällen
vom LHo, Raspi», ?illo, Lsmxronic, u. s. w. fand er keinen Geschmack; da¬
gegen wurde er durch ein Lehrbuch aus das deutsche Staatsrecht aufmerksam,
„weil ich lauter brauchbare Dinge und wirkliche Fälle und Begebenheiten
suchte, und selbige in dieser Wissenschaft zu finden vermeinte." Das Avr
selrolas s«ZÄ vns-s äiKeenclum war schon damals sein Grundsatz. — Bereits
im siebzehnten Jahr gab er ein Buch heraus: veeas UreoloMrum LudinAsusimri
und knüpfte einen gelehrten Briefwechsel an; im neunzehnten erwarb er sich durch
eine Disputation (die er nach seinem eignen Bericht durch unerhörte Dreistig¬
keit zu Ende brachte) die Licenz, durch einen dem Herzog gewidmeten Folian¬
ten: „heraldische und politische Erklärung des würtemvergschen Wappens" eine
außerordentliche Professur der Rechte. Wer der Ansicht ist, in der „guten


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[0176] Johann Jacob Moser wurde 18. Jan. 1701 zu Stuttgart geboren; sein Vater war daselbst Expeditionsrath, die Mutter (1- 1741) stammte aus einer alten schwäbischen Predigerfamilie. Seine erste Erziehung erfolgte ziem¬ lich unregelmäßig. „Hütte eine der Sache gewachsene Person, welche mein lebhaftes, aber auch meisterloses Gemüth zu regieren gewußt, meine Studien dirigirt, so hätte ich es in den Humcmioribus weit gebracht; aber ich lernte unordentlich, wollte schon damals Bücher schreiben, übersetzte alte römische Schriftsteller, schrieb ein Antiquitäten- und Medcnllen-Cabinet wie auch einen weitläufigen Tractat de Autochiria, sammelte eine Menge philosophischer ze. loci communes u. s. w." — Als ein Buchdrucker ihm seine Bibliothek von 1200 Bänden, meist theologischen und philosophischen Inhalts, das Stück zum Kreuzer zum Verlauf anbot, setzte er bei seinem Vater den Ankauf durch, und verschaffte sich durch eifriges Lesen dieser zufällig zusammengekommenen Masse eine umfassende, aber buntscheckige Bildung. — In der Schule war er ziem¬ lich vorlaut; ein Hofmeister, den er mit Fragen quälte, sagte ihm einmal: tu es molsste ssäulus! Unmittelbar nach dem Tode seines Vaters 1717 faßte er den Entschluß, die Universität zu beziehn; man gab ihm eine Arbeit auf über das Thema: ob ein christlicher Regent mit den Türken ein Bündniß schließen dürfe? und ertheilte ihm endlich, mit Rücksicht auf seine ansehnliche Familie, die Erlaub¬ niß l ynum ^'g.in in ^ca,clsmig.in xroxerizt, iinpstum Hus eursuirnzuö uoe inlridere nee retarä^rs potuimus. So kam er nach Tübingen, und ergab sich sofort einem leidenschaftlichen, aber ungeordneten Fleiß: er ließ sich stets um zwei Uhr Nachts wecken, bis es endlich seiner Gesundheit schadete. Die wüsten Ge¬ sellschaften der Zeit mitzumachen, hatte er keine Gelegenheit, da er das halbe Jahr mit zehn Gulden auskommen und über jeden Kreuzer genaue Rechen¬ schaft ablegen mußte. An den Collegien über römisches Recht — die nach seiner Beschreibung in der That sehr ledern gewesen sein müssen — an den fingirten Rechtsfällen vom LHo, Raspi», ?illo, Lsmxronic, u. s. w. fand er keinen Geschmack; da¬ gegen wurde er durch ein Lehrbuch aus das deutsche Staatsrecht aufmerksam, „weil ich lauter brauchbare Dinge und wirkliche Fälle und Begebenheiten suchte, und selbige in dieser Wissenschaft zu finden vermeinte." Das Avr selrolas s«ZÄ vns-s äiKeenclum war schon damals sein Grundsatz. — Bereits im siebzehnten Jahr gab er ein Buch heraus: veeas UreoloMrum LudinAsusimri und knüpfte einen gelehrten Briefwechsel an; im neunzehnten erwarb er sich durch eine Disputation (die er nach seinem eignen Bericht durch unerhörte Dreistig¬ keit zu Ende brachte) die Licenz, durch einen dem Herzog gewidmeten Folian¬ ten: „heraldische und politische Erklärung des würtemvergschen Wappens" eine außerordentliche Professur der Rechte. Wer der Ansicht ist, in der „guten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/176>, abgerufen am 25.07.2024.