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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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und die russische Bureaukratie würde sich glücklich preisen, wenn sie seine Feder
gewinnen, wenn sie ihn wenigstens vermögen könnte, zu schweigen.

Wir geben nun einige Auszüge aus dem, was Fürst Dolgorukow über
die russische Militärverwaltung sagt. Bekannt sind die großartigen Unter¬
schleife während des letzten Krieges, nicht weniger bekannt ist in Deutschland,
daß solche Unterschleife schon früher in Rußland an der Tagesordnung waren.
Unsre Schrift zeigt, daß die Hauptschuld an den Spitzen der Verwaltung lag,
zunächst an dem General, welcher von 1827 bis 1852 den Posten eines Kriegs¬
ministers bekleidete und in dieser Stellung durch seine Geldgier einerseits, durch
sein stetes Bestreben, dem Kaiser Angenehmes zu sagen, andrerseits das Un¬
kraut, das sich in diesem Verwaltungsgebiet eingefunden, weiter wuchern ließ.
Dann an dem Kriegsminister, der ihm folgte. Letzterer gilt für einen durch¬
aus rechtlichen Charakter, aber zugleich für einen durchaus unfähigen Kopf.
Er ist, wie unsre Schrift sagt, am glücklichsten, wenn er sich mit nichts Ernst,
haften zu beschäftigen braucht, er verliert sich in Kleinigkeiten, richtet fast nie
den Blick auf Betrachtung des Allgemeinen und Großen und fürchtet nichts
so sehr als Reformen. Während des Krieges ging all sein Bestreben dahin,
erst Nikolaus, dann Alexander über den wahren Stand der Dinge im Dunkel
zu lassen, wie er sagte, um sie nicht zu betrüben, in Wahrheit aber, weil er ihre
Vorwürfe scheute. Gegen das Ende des Krieges hin aber mußtnr die Mi߬
bräuche, welche die Verwaltung sich gestattet, offenbar werden, und man ent¬
deckte eine Welt schmachvollster Betrügerei.

Der General Z., der an der Spitze der Armee-Administration stand, ver¬
waltete sein Amt in Familie: er vergab die einflußreichsten Stellen unter sich
an seinen Schwiegervater und seinen Schwager. Die Truppen erhielten ver¬
dorbenes Brot und verfaultes Fleisch. Einige Obersten drückten, von Z. be¬
stochen, die Augen zu, andere, die sich beklagten, führten, da die gesammte
Bureaukratie auf Z.'s Seite stand, umsonst Beschwerde. Die Chefs der Och¬
sen-Gesellschaften (Wolowii Roty), von Z. gewählt, unterzeichneten, wenn er
ihnen fünfhundert Ochsen lieferte, Empfangsscheine für sechshundert. Man
gestattete ihnen die Zahl durch Wegnahme der Rinder zu vervollständigen,
die sie auf dem Marsche antrafen, und zu gleicher Zeit fanden sich für ein
Trinkgeld Beamte, welche ihnen Certificate über den Tod von Ochsen auf¬
stellten, die sie nie mit sich geführt hatten. Einer dieser Herren führte auf
dem Rückzug von der Donau nach Bessarabien Hunderte von Wersten einen
Ochsen auf einem Wagen mit sich, der laut solchen Certificaten, an jedem Halt¬
punkt, den das Heer berührte, gestorben war. Eines Tages lief in Petersburg
ein officieller Rapport ein, welcher die Errichtung eines Depots von 1800
Ochsen in der Krim meldete. Dieses Depot hat nie wo anders existirt, als
in der Rechnung. Dennoch hat die Regierung zuerst den Kaufpreis für die


und die russische Bureaukratie würde sich glücklich preisen, wenn sie seine Feder
gewinnen, wenn sie ihn wenigstens vermögen könnte, zu schweigen.

Wir geben nun einige Auszüge aus dem, was Fürst Dolgorukow über
die russische Militärverwaltung sagt. Bekannt sind die großartigen Unter¬
schleife während des letzten Krieges, nicht weniger bekannt ist in Deutschland,
daß solche Unterschleife schon früher in Rußland an der Tagesordnung waren.
Unsre Schrift zeigt, daß die Hauptschuld an den Spitzen der Verwaltung lag,
zunächst an dem General, welcher von 1827 bis 1852 den Posten eines Kriegs¬
ministers bekleidete und in dieser Stellung durch seine Geldgier einerseits, durch
sein stetes Bestreben, dem Kaiser Angenehmes zu sagen, andrerseits das Un¬
kraut, das sich in diesem Verwaltungsgebiet eingefunden, weiter wuchern ließ.
Dann an dem Kriegsminister, der ihm folgte. Letzterer gilt für einen durch¬
aus rechtlichen Charakter, aber zugleich für einen durchaus unfähigen Kopf.
Er ist, wie unsre Schrift sagt, am glücklichsten, wenn er sich mit nichts Ernst,
haften zu beschäftigen braucht, er verliert sich in Kleinigkeiten, richtet fast nie
den Blick auf Betrachtung des Allgemeinen und Großen und fürchtet nichts
so sehr als Reformen. Während des Krieges ging all sein Bestreben dahin,
erst Nikolaus, dann Alexander über den wahren Stand der Dinge im Dunkel
zu lassen, wie er sagte, um sie nicht zu betrüben, in Wahrheit aber, weil er ihre
Vorwürfe scheute. Gegen das Ende des Krieges hin aber mußtnr die Mi߬
bräuche, welche die Verwaltung sich gestattet, offenbar werden, und man ent¬
deckte eine Welt schmachvollster Betrügerei.

Der General Z., der an der Spitze der Armee-Administration stand, ver¬
waltete sein Amt in Familie: er vergab die einflußreichsten Stellen unter sich
an seinen Schwiegervater und seinen Schwager. Die Truppen erhielten ver¬
dorbenes Brot und verfaultes Fleisch. Einige Obersten drückten, von Z. be¬
stochen, die Augen zu, andere, die sich beklagten, führten, da die gesammte
Bureaukratie auf Z.'s Seite stand, umsonst Beschwerde. Die Chefs der Och¬
sen-Gesellschaften (Wolowii Roty), von Z. gewählt, unterzeichneten, wenn er
ihnen fünfhundert Ochsen lieferte, Empfangsscheine für sechshundert. Man
gestattete ihnen die Zahl durch Wegnahme der Rinder zu vervollständigen,
die sie auf dem Marsche antrafen, und zu gleicher Zeit fanden sich für ein
Trinkgeld Beamte, welche ihnen Certificate über den Tod von Ochsen auf¬
stellten, die sie nie mit sich geführt hatten. Einer dieser Herren führte auf
dem Rückzug von der Donau nach Bessarabien Hunderte von Wersten einen
Ochsen auf einem Wagen mit sich, der laut solchen Certificaten, an jedem Halt¬
punkt, den das Heer berührte, gestorben war. Eines Tages lief in Petersburg
ein officieller Rapport ein, welcher die Errichtung eines Depots von 1800
Ochsen in der Krim meldete. Dieses Depot hat nie wo anders existirt, als
in der Rechnung. Dennoch hat die Regierung zuerst den Kaufpreis für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/160>, abgerufen am 24.07.2024.