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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ein specielles Ueberwachungs-Conn6. welches aus jenem geschickten Tranchir-
meister und zwei Generaladjutanten bestand, deren politische Talente und lite¬
rarische Arbeiten bis dahin sich auf die Unterzeichnung einer Anzahl von
Wechseln beschränkt hatte, die sie ihren vielen Gläubigern ausgestellt. Dieses
Conn6 sollte zugleich durch Gründung von Zeitschriften, zu welchem Behuf
ihm bedeutende Mittel zur Verfügung gestellt waren, der öffentlichen Meinung
eine den Absichten der Regierung -- will sagen der Bureaukratie -- ange¬
messene Richtung geben. Aber zur Ehre der gegenwärtigen russischen Literatur
fand sich trotz der hohen Honorare, die man bot, nicht ein einziger Schrift¬
steller von Talent, der es über sich genommen hätte, dem Unternehmen seine
Mitwirkung zu leihen. Der Unterrichtsminister, der die Censur als einen
Hemmschuh seiner ministeriellen Laufbahn betrachtete, suchte sich derselben da¬
durch zu entledigen, daß er die Errichtung eines eigenen Censurministeriums
vorschlug. Der Plan wurde genehmigt, und der Baron K. versah einige
Tage die Stelle eines Borstandes dieses neuen Verwaltungszweigcs. Da der¬
selbe jedoch große Summen erforderte und in den Kassen des Staates die
kläglichste Ebbe herrschte, mußte man ihn, nachdem er kaum vollständig ein¬
gerichtet worden, aufgeben, und die Oberleitung der Censur siel wieder dem
Unterrichtsministerium zu.

Die Censur für fremde Bücher und Zeitungen war unter Nikolaus streng
bis zur Abgeschmacktheit. Jetzt schwankt sie, wie ein intermittirendes Fieber.
Zwischen Strenge und Milde. Logik und Sinnlosigkeit. Noch immer bestehen
alle möglichen Vorsichtsmaßregeln gegen die Einschleppung der Pest westlicher
Aufklärung über die Grenze. Aber trotzdem circuliren in Rußland alle mög¬
lichen verbotenen Schriften. Die Ausdehnung der Grenzen und die Käuf¬
lichkeit der Beamten macht jeden Versuch einer strengen Controle zunichte.
Die verbotenen Bücher sind allerdings sehr theuer, aber nichtsdestoweniger sieht
man selbst Leute, die durchaus nichts lesen, sich eine Bibliothek solcher Bücher
schaffen, da es zum guten Ton gehört, sie zu besitzen. Wenn die russische Ne¬
gierung fortfährt, die Presse im Innern des Landes zu unterdrücken, so wird
das natürliche Ergebniß dieses Verfahrens sein, daß die russischen Schriftsteller
und Journalisten auswandern und sich im Auslande russische Zeitungen und
Wochenschriften entwickeln. Es gibt hier bereits fünf oder sechs russische
Druckereien und die hier gedruckten Schriften gehen in Masse über die Grenze.
Bekannt sind die Publicationen Herzens, sein "Polarstern", seine ..Stimme
aus Nußland", seine "Glocke" (Kökökök), in denen er alle Ungerechtigkeiten und
Unklughciten der russischen Verwaltung, die zu seiner Kunde gelangen, an
den Pranger stellt, so daß namentlich die "Glocke" den barbarischen Zuständen
gegenüber, in welchem sich die russischen Gerichte befinden, wie ein Appellhof
der öffentlichen Meinung zu betrachten ist. Herzen ist vortrefflich unterrichtet,


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ein specielles Ueberwachungs-Conn6. welches aus jenem geschickten Tranchir-
meister und zwei Generaladjutanten bestand, deren politische Talente und lite¬
rarische Arbeiten bis dahin sich auf die Unterzeichnung einer Anzahl von
Wechseln beschränkt hatte, die sie ihren vielen Gläubigern ausgestellt. Dieses
Conn6 sollte zugleich durch Gründung von Zeitschriften, zu welchem Behuf
ihm bedeutende Mittel zur Verfügung gestellt waren, der öffentlichen Meinung
eine den Absichten der Regierung — will sagen der Bureaukratie -- ange¬
messene Richtung geben. Aber zur Ehre der gegenwärtigen russischen Literatur
fand sich trotz der hohen Honorare, die man bot, nicht ein einziger Schrift¬
steller von Talent, der es über sich genommen hätte, dem Unternehmen seine
Mitwirkung zu leihen. Der Unterrichtsminister, der die Censur als einen
Hemmschuh seiner ministeriellen Laufbahn betrachtete, suchte sich derselben da¬
durch zu entledigen, daß er die Errichtung eines eigenen Censurministeriums
vorschlug. Der Plan wurde genehmigt, und der Baron K. versah einige
Tage die Stelle eines Borstandes dieses neuen Verwaltungszweigcs. Da der¬
selbe jedoch große Summen erforderte und in den Kassen des Staates die
kläglichste Ebbe herrschte, mußte man ihn, nachdem er kaum vollständig ein¬
gerichtet worden, aufgeben, und die Oberleitung der Censur siel wieder dem
Unterrichtsministerium zu.

Die Censur für fremde Bücher und Zeitungen war unter Nikolaus streng
bis zur Abgeschmacktheit. Jetzt schwankt sie, wie ein intermittirendes Fieber.
Zwischen Strenge und Milde. Logik und Sinnlosigkeit. Noch immer bestehen
alle möglichen Vorsichtsmaßregeln gegen die Einschleppung der Pest westlicher
Aufklärung über die Grenze. Aber trotzdem circuliren in Rußland alle mög¬
lichen verbotenen Schriften. Die Ausdehnung der Grenzen und die Käuf¬
lichkeit der Beamten macht jeden Versuch einer strengen Controle zunichte.
Die verbotenen Bücher sind allerdings sehr theuer, aber nichtsdestoweniger sieht
man selbst Leute, die durchaus nichts lesen, sich eine Bibliothek solcher Bücher
schaffen, da es zum guten Ton gehört, sie zu besitzen. Wenn die russische Ne¬
gierung fortfährt, die Presse im Innern des Landes zu unterdrücken, so wird
das natürliche Ergebniß dieses Verfahrens sein, daß die russischen Schriftsteller
und Journalisten auswandern und sich im Auslande russische Zeitungen und
Wochenschriften entwickeln. Es gibt hier bereits fünf oder sechs russische
Druckereien und die hier gedruckten Schriften gehen in Masse über die Grenze.
Bekannt sind die Publicationen Herzens, sein „Polarstern", seine ..Stimme
aus Nußland", seine „Glocke" (Kökökök), in denen er alle Ungerechtigkeiten und
Unklughciten der russischen Verwaltung, die zu seiner Kunde gelangen, an
den Pranger stellt, so daß namentlich die „Glocke" den barbarischen Zuständen
gegenüber, in welchem sich die russischen Gerichte befinden, wie ein Appellhof
der öffentlichen Meinung zu betrachten ist. Herzen ist vortrefflich unterrichtet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/159>, abgerufen am 24.07.2024.