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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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nach unserm Buche nur das eine Verdienst besaß, daß er geschickt zu tranchiren
verstand.

Man durste den neuen Unterrichtsminister und Vorstand der Censur nicht
allzuhart für seine Energielosigkeit tadeln. War doch die ganze Regierung
ein stetes Schwanken zwischen Licht und Dunkel, zwischen den guten Absichten
des Kaisers und den retrograden Bestrebungen der Beamtenwelt und der Hof¬
partei. Man durfte sich nicht sehr wundern, daß der Minister es zuließ, als
jene Studenten von Kasan ins Exil geschickt wurden, welche einem Professor
Beifall geklatscht hatten. Man durfte sich ferner nicht davor bekreuzigen,
daß er jenes vor Kurzem veröffentlichte lächerliche Rundschreiben nickt ver¬
hinderte, nach welchem niemand ohne specielle Erlaubniß der Negierung in
Rußland reisen sollte, um statistische und ethnographische Daten zu sam¬
meln. Dasselbe wurde erlassen in Folge eines Vorfalls, bei welchem ein
russischer Gelehrter Jakuschkin, der zu den erwähnten Zwecken das Land
in der Tracht des Volkes durchwandert, vou der Polizei in Pskow eingesteckt
und übel behandelt worden war. Der Mann veröffentlichte seine Abenteuer
in öffentlichen Blättern, und die Bureaukratie antwortete in ihrer Entrüstung
darauf mit jenem Circular, welches in allen Stücken chinesischer Mandarine
würdig war. Wirklich erstaunenswerth aber war ein Erlaß des Ministers an
das moskauer Censurcomit6, welcher im Herbst 1859 erging, und in dem jener
Behörde untersagt wurde, die Presse von Diebstählen und Bedrückungen spre¬
chen zu lassen, wo sie nicht juristische Beweise beizubringen vermöchte. In
diesem Actenstück finden sich die Worte: "Die Regierung hält die Oeffentlich-
keit für völlig unnütz und würde sich ihrer Würde etwas zu vergeben glauben,
wenn sie den von der periodischen Presse gegen Mißbräuche vorgebrachten
Klagen und den von derselben mitgetheilten Beispielen solcher Mißbräuche
die mindeste Beachtung zu Theil werden ließe." Wenn ein solches Schriftstück
von einem gebildeten und aufgeklärten Geist, wie der Unterrichtsminister ist,
unterzeichnet werden konnte, so muß man annehmen, daß die höhere Verwal¬
tungssphäre in Nußland den übelsten Einfluß aus die ausübt, welche in sie
eintreten. Und so verhält sichs in der That. Im steten unmittelbaren Ver¬
kehr mit der obern Beamtenwelt und der Hofpartei verdunkelt sich der Blick,
verengt sich der Horizont, verwirrt sich der moralische Sinn, und man hält es
nicht mehr für unwürdig. Grundsätze auszusprechen, die aller Civilisation in
die Augen schlagen.

Die Presse ganz zu Unterdrücken, scheute man sich, da man den Ruf des
Freisinns, den man sich in Europa in den letzten Jahren erworben, nicht ein¬
büßen wollte. Um sie aber wenigstens ganz in seiner Gewalt zu haben, nahm
man seine Zuflucht im December 1858 zu einem eigenthümlichen Mittel.
Nicht zufrieden mit den Argusaugen der verschiedenen Censoren, schuf man


nach unserm Buche nur das eine Verdienst besaß, daß er geschickt zu tranchiren
verstand.

Man durste den neuen Unterrichtsminister und Vorstand der Censur nicht
allzuhart für seine Energielosigkeit tadeln. War doch die ganze Regierung
ein stetes Schwanken zwischen Licht und Dunkel, zwischen den guten Absichten
des Kaisers und den retrograden Bestrebungen der Beamtenwelt und der Hof¬
partei. Man durfte sich nicht sehr wundern, daß der Minister es zuließ, als
jene Studenten von Kasan ins Exil geschickt wurden, welche einem Professor
Beifall geklatscht hatten. Man durfte sich ferner nicht davor bekreuzigen,
daß er jenes vor Kurzem veröffentlichte lächerliche Rundschreiben nickt ver¬
hinderte, nach welchem niemand ohne specielle Erlaubniß der Negierung in
Rußland reisen sollte, um statistische und ethnographische Daten zu sam¬
meln. Dasselbe wurde erlassen in Folge eines Vorfalls, bei welchem ein
russischer Gelehrter Jakuschkin, der zu den erwähnten Zwecken das Land
in der Tracht des Volkes durchwandert, vou der Polizei in Pskow eingesteckt
und übel behandelt worden war. Der Mann veröffentlichte seine Abenteuer
in öffentlichen Blättern, und die Bureaukratie antwortete in ihrer Entrüstung
darauf mit jenem Circular, welches in allen Stücken chinesischer Mandarine
würdig war. Wirklich erstaunenswerth aber war ein Erlaß des Ministers an
das moskauer Censurcomit6, welcher im Herbst 1859 erging, und in dem jener
Behörde untersagt wurde, die Presse von Diebstählen und Bedrückungen spre¬
chen zu lassen, wo sie nicht juristische Beweise beizubringen vermöchte. In
diesem Actenstück finden sich die Worte: „Die Regierung hält die Oeffentlich-
keit für völlig unnütz und würde sich ihrer Würde etwas zu vergeben glauben,
wenn sie den von der periodischen Presse gegen Mißbräuche vorgebrachten
Klagen und den von derselben mitgetheilten Beispielen solcher Mißbräuche
die mindeste Beachtung zu Theil werden ließe." Wenn ein solches Schriftstück
von einem gebildeten und aufgeklärten Geist, wie der Unterrichtsminister ist,
unterzeichnet werden konnte, so muß man annehmen, daß die höhere Verwal¬
tungssphäre in Nußland den übelsten Einfluß aus die ausübt, welche in sie
eintreten. Und so verhält sichs in der That. Im steten unmittelbaren Ver¬
kehr mit der obern Beamtenwelt und der Hofpartei verdunkelt sich der Blick,
verengt sich der Horizont, verwirrt sich der moralische Sinn, und man hält es
nicht mehr für unwürdig. Grundsätze auszusprechen, die aller Civilisation in
die Augen schlagen.

Die Presse ganz zu Unterdrücken, scheute man sich, da man den Ruf des
Freisinns, den man sich in Europa in den letzten Jahren erworben, nicht ein¬
büßen wollte. Um sie aber wenigstens ganz in seiner Gewalt zu haben, nahm
man seine Zuflucht im December 1858 zu einem eigenthümlichen Mittel.
Nicht zufrieden mit den Argusaugen der verschiedenen Censoren, schuf man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/158>, abgerufen am 24.07.2024.