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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Lebens neutralisirt wurden. Der feingebildete, reiche lombardische Adel fühlte
sich gedemüthigt unter der Herrschaft ti'r östreichischen Mittelmäßigkeit, welche
lire Verachtung der Welschen nicht verbarg, die Opposition fand einen beson¬
dern Halt an den Frauen. Es begannen Demonstrationen, indem die Italiener,
un, der Tabaksregie Nachtheil zu bringen, das Rauchen untersagten. Officiere
wurden beschimpft, es kam zu Reibungen und Aufläufen, auch in Venedig
regte es sich bedenklich, zwei Tage vor der pariser Revolution ward das Stand¬
recht verkündet. Aber am 18, März brach der Aufstand in Mailand aus, nach
einem hartnäckigen Kampfe zog sich Nadctcky zurück, nicht sowol weil er ge¬
schlagen war, aber weil die Verpflegung seiner Truppen unmöglich ward und
er den Rücken unzureichend gedeckt hatte, dazu drohte der bewaffnete Einmarsch
Karl Alberts. Graf Arche war am 20. März in Turin eingetroffen, um für
Mailand Hilfe zu erbitten, der König zögerte noch, aber die steigende Bewegung
überwand sein Zaudern, vielleicht fürchtete er wirtlich, wenn er die Bewegung
gewähren lasse, könne durch französischen Einfluß die Republik in Mailand aus¬
gerufen werden und er durch Opposition seine Krone verlieren, am 23. März
zeigte der Minister dem Grafen Buol, östreichischen Gesandten, an, daß die
Macht der Ereignisse den König zwänge, in der Lombardei militärisch zu inter-
vcniren, am 24. zog die erste piemontesische Brigade in Mailand ein. In¬
zwischen hatte auch in Venedig, Modena und Parma der Aufstand gesiegt. In
Neapel verlangten die Liberalen stürmisch Theilnahme am Unabhängigkeitskrieg,
das östreichische Gesandtschastswappcn ward abgerissen, Ferdinand der Zweite
fügte sich dem Drang der Zeiten, aber wir vermögen nicht mit dem Verfasser zu
glauben, daß er sich in jener Zeit als Soldat, Italiener und constitutioneller
König fühlte. In Rom wurde die päpstliche Regierung gezwungen, den Durch¬
marsch der Neapolitaner und den Zuzug von Freiwilligen aus dem Kirchen¬
staat zu dulden, der Großherzog von Toscana nahm offen an dem Kampfe
Theil. Aber alle diese Elemente waren nicht organisirt, die einzige Macht, die
eine tüchtige Armee hatte, Piemont, war ungerüstet von den Ereignissen über-
rascht, Radetzky hatte sich auf das berühmte Viereck zwischen dem Mincio und
der Etsch, dessen Winkel von Peschiera, Mantua, Verona und Legnago ge¬
bildet werden, zurückgezogen, hier konnte in fast unangreifbarer Stellung sein
Heer einem nahezu doppelt so starken gegenüberstehen und jeden Augenblick zum
Angriff übergehn, seine Verbindung mit Oestreich sicherte Zobel durch d,e Be¬
setzung von Trient. bei Se. Lucia fand am 6. Mai das erste größere Treffen
statt, beide Theile fochten mit ausgezeichneter Tapferkeit, aber die Oestreicher
behaupteten sich in ihrer Stellung. Hier ist die Haltung der andern Mächte,
vornehmlich Frankreichs und Englands zu betrachten. Die Beziehungen zwi¬
schen Frankreich und Sardinien waren nichts weniger als freundlich und von
Mißtrauen erfüllt. Die damaligen Machthaber in Paris wünschten wol die


Lebens neutralisirt wurden. Der feingebildete, reiche lombardische Adel fühlte
sich gedemüthigt unter der Herrschaft ti'r östreichischen Mittelmäßigkeit, welche
lire Verachtung der Welschen nicht verbarg, die Opposition fand einen beson¬
dern Halt an den Frauen. Es begannen Demonstrationen, indem die Italiener,
un, der Tabaksregie Nachtheil zu bringen, das Rauchen untersagten. Officiere
wurden beschimpft, es kam zu Reibungen und Aufläufen, auch in Venedig
regte es sich bedenklich, zwei Tage vor der pariser Revolution ward das Stand¬
recht verkündet. Aber am 18, März brach der Aufstand in Mailand aus, nach
einem hartnäckigen Kampfe zog sich Nadctcky zurück, nicht sowol weil er ge¬
schlagen war, aber weil die Verpflegung seiner Truppen unmöglich ward und
er den Rücken unzureichend gedeckt hatte, dazu drohte der bewaffnete Einmarsch
Karl Alberts. Graf Arche war am 20. März in Turin eingetroffen, um für
Mailand Hilfe zu erbitten, der König zögerte noch, aber die steigende Bewegung
überwand sein Zaudern, vielleicht fürchtete er wirtlich, wenn er die Bewegung
gewähren lasse, könne durch französischen Einfluß die Republik in Mailand aus¬
gerufen werden und er durch Opposition seine Krone verlieren, am 23. März
zeigte der Minister dem Grafen Buol, östreichischen Gesandten, an, daß die
Macht der Ereignisse den König zwänge, in der Lombardei militärisch zu inter-
vcniren, am 24. zog die erste piemontesische Brigade in Mailand ein. In¬
zwischen hatte auch in Venedig, Modena und Parma der Aufstand gesiegt. In
Neapel verlangten die Liberalen stürmisch Theilnahme am Unabhängigkeitskrieg,
das östreichische Gesandtschastswappcn ward abgerissen, Ferdinand der Zweite
fügte sich dem Drang der Zeiten, aber wir vermögen nicht mit dem Verfasser zu
glauben, daß er sich in jener Zeit als Soldat, Italiener und constitutioneller
König fühlte. In Rom wurde die päpstliche Regierung gezwungen, den Durch¬
marsch der Neapolitaner und den Zuzug von Freiwilligen aus dem Kirchen¬
staat zu dulden, der Großherzog von Toscana nahm offen an dem Kampfe
Theil. Aber alle diese Elemente waren nicht organisirt, die einzige Macht, die
eine tüchtige Armee hatte, Piemont, war ungerüstet von den Ereignissen über-
rascht, Radetzky hatte sich auf das berühmte Viereck zwischen dem Mincio und
der Etsch, dessen Winkel von Peschiera, Mantua, Verona und Legnago ge¬
bildet werden, zurückgezogen, hier konnte in fast unangreifbarer Stellung sein
Heer einem nahezu doppelt so starken gegenüberstehen und jeden Augenblick zum
Angriff übergehn, seine Verbindung mit Oestreich sicherte Zobel durch d,e Be¬
setzung von Trient. bei Se. Lucia fand am 6. Mai das erste größere Treffen
statt, beide Theile fochten mit ausgezeichneter Tapferkeit, aber die Oestreicher
behaupteten sich in ihrer Stellung. Hier ist die Haltung der andern Mächte,
vornehmlich Frankreichs und Englands zu betrachten. Die Beziehungen zwi¬
schen Frankreich und Sardinien waren nichts weniger als freundlich und von
Mißtrauen erfüllt. Die damaligen Machthaber in Paris wünschten wol die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/146>, abgerufen am 24.07.2024.