Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bisher auf dem Wege der gemäßigten Reformen vorgegangen waren und auf
demselben einigermaßen gleichen Schritt gehalten hatten. Es ward unver¬
meidlich, daß auch in jenen Staaten die Forderungen der Liberalen sich jetzt
steigern mußten, der englische Gesandte in Turin drückte dem Minister des
Auswärtigen sein Bedauern wegen der Ueberstürzung des Königs von Neapel
aus, äußerte aber zugleich die bestimmte Ansicht, daß die sardinische Re¬
gierung jetzt nur durch ein entschiedenes Vorgehen in freisinnigen Grundsätzen
sich den Vortheil einer späteren Handlung sichern und sich die hervorragende
Stellung unter den liberalen Staaten Italiens bewahren könne. Palmerston
billigte die Sprache vollkommen und sie mag nicht wenig beigetragen haben,
den Petitionen der Verfassungsfreunde Gehör zu verschaffen. Bei dieser Ge¬
legenheit tritt der Name des Grafen Camillo Cavour zum erstenmal in die
Oeffentlichkeit. Aus einer alten Familie, welche streng absolutistischen Grundsätzen
huldigte, entsprossen, hatte er dem Hof und der Armee den Rücken gewandt
und, da es für liberale Politiker keinen Platz in Sardinien gab, in Frankreich
und England staatswissenschaftlicher Studien obgelegen. Er kehrte zurück,
als die ersten Reformen Karl Alberts dem öffentlichen Leben etwas mehr
Luft machten und betheiligte sich an Ackerbauvereinen und der neu von
Balbo gestifteten, volkswirthschaftlichen Zeitschrift Risorgimento. Als eine
genuesische Deputation die Vertreter der turiner Presse zu einer Versammlung
veranlaßte, worin über Reformpetitionen berathschlagt wurde, trug Cavour
auf das Gesuch um Verleihung einer Verfassung an, der turiner Stadtrath
trat bei, am 8. Febr. veröffentlichte eine Proclamation als feierliches Unter¬
pfand des königl. Vertrauens zum Volke und als Ergänzung der bisherigen
Reformen die Grundzüge einer Verfassung, das Fundamentalstatut. Der Gro߬
herzog von Toscana sprach gleichfalls am 11. Februar die Absicht aus "sei¬
nem Volk diejenigen Freiheiten und Bürgschaften mit einer Verfassung zu
geben, für welche es vollkommen reif sei und woraus alle seine Reformen ge¬
zielt." -- Es war klar, daß der Papst einem gleichen Schritte nicht mehr
ausweichen konnte, es war ein Wettrennen in Concessionen unter den Regie¬
rungen, das Mettevnich nicht ganz mit Unrecht als eine Revolution bezeichnete;
er sowohl als das russische Cabinet bereiteten sich aus eine energische Inter¬
vention vor -- als die Nachricht von der Februarrevolution die Welt er¬
schütterte.

.Ganz Italien war in offner Bewegung, als die Nachricht der Februar¬
revolution Europa überraschte; nur das lombardisch-venetianische Königreich
war äußerlich ruhig geblieben, innerlich aber gährte es dort desto heftiger.
Unser Verfasser beginnt den zweiten Band mit einer Skizze des Landes, aus
der hervorgeht, daß die Wohlthaten guter Verwaltung und Pflege der mate¬
riellen Interessen durch Polizei, Klerus und Unterdrückung jedes nationalen


bisher auf dem Wege der gemäßigten Reformen vorgegangen waren und auf
demselben einigermaßen gleichen Schritt gehalten hatten. Es ward unver¬
meidlich, daß auch in jenen Staaten die Forderungen der Liberalen sich jetzt
steigern mußten, der englische Gesandte in Turin drückte dem Minister des
Auswärtigen sein Bedauern wegen der Ueberstürzung des Königs von Neapel
aus, äußerte aber zugleich die bestimmte Ansicht, daß die sardinische Re¬
gierung jetzt nur durch ein entschiedenes Vorgehen in freisinnigen Grundsätzen
sich den Vortheil einer späteren Handlung sichern und sich die hervorragende
Stellung unter den liberalen Staaten Italiens bewahren könne. Palmerston
billigte die Sprache vollkommen und sie mag nicht wenig beigetragen haben,
den Petitionen der Verfassungsfreunde Gehör zu verschaffen. Bei dieser Ge¬
legenheit tritt der Name des Grafen Camillo Cavour zum erstenmal in die
Oeffentlichkeit. Aus einer alten Familie, welche streng absolutistischen Grundsätzen
huldigte, entsprossen, hatte er dem Hof und der Armee den Rücken gewandt
und, da es für liberale Politiker keinen Platz in Sardinien gab, in Frankreich
und England staatswissenschaftlicher Studien obgelegen. Er kehrte zurück,
als die ersten Reformen Karl Alberts dem öffentlichen Leben etwas mehr
Luft machten und betheiligte sich an Ackerbauvereinen und der neu von
Balbo gestifteten, volkswirthschaftlichen Zeitschrift Risorgimento. Als eine
genuesische Deputation die Vertreter der turiner Presse zu einer Versammlung
veranlaßte, worin über Reformpetitionen berathschlagt wurde, trug Cavour
auf das Gesuch um Verleihung einer Verfassung an, der turiner Stadtrath
trat bei, am 8. Febr. veröffentlichte eine Proclamation als feierliches Unter¬
pfand des königl. Vertrauens zum Volke und als Ergänzung der bisherigen
Reformen die Grundzüge einer Verfassung, das Fundamentalstatut. Der Gro߬
herzog von Toscana sprach gleichfalls am 11. Februar die Absicht aus „sei¬
nem Volk diejenigen Freiheiten und Bürgschaften mit einer Verfassung zu
geben, für welche es vollkommen reif sei und woraus alle seine Reformen ge¬
zielt." — Es war klar, daß der Papst einem gleichen Schritte nicht mehr
ausweichen konnte, es war ein Wettrennen in Concessionen unter den Regie¬
rungen, das Mettevnich nicht ganz mit Unrecht als eine Revolution bezeichnete;
er sowohl als das russische Cabinet bereiteten sich aus eine energische Inter¬
vention vor — als die Nachricht von der Februarrevolution die Welt er¬
schütterte.

.Ganz Italien war in offner Bewegung, als die Nachricht der Februar¬
revolution Europa überraschte; nur das lombardisch-venetianische Königreich
war äußerlich ruhig geblieben, innerlich aber gährte es dort desto heftiger.
Unser Verfasser beginnt den zweiten Band mit einer Skizze des Landes, aus
der hervorgeht, daß die Wohlthaten guter Verwaltung und Pflege der mate¬
riellen Interessen durch Polizei, Klerus und Unterdrückung jedes nationalen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109951"/>
          <p xml:id="ID_391" prev="#ID_390"> bisher auf dem Wege der gemäßigten Reformen vorgegangen waren und auf<lb/>
demselben einigermaßen gleichen Schritt gehalten hatten. Es ward unver¬<lb/>
meidlich, daß auch in jenen Staaten die Forderungen der Liberalen sich jetzt<lb/>
steigern mußten, der englische Gesandte in Turin drückte dem Minister des<lb/>
Auswärtigen sein Bedauern wegen der Ueberstürzung des Königs von Neapel<lb/>
aus, äußerte aber zugleich die bestimmte Ansicht, daß die sardinische Re¬<lb/>
gierung jetzt nur durch ein entschiedenes Vorgehen in freisinnigen Grundsätzen<lb/>
sich den Vortheil einer späteren Handlung sichern und sich die hervorragende<lb/>
Stellung unter den liberalen Staaten Italiens bewahren könne. Palmerston<lb/>
billigte die Sprache vollkommen und sie mag nicht wenig beigetragen haben,<lb/>
den Petitionen der Verfassungsfreunde Gehör zu verschaffen. Bei dieser Ge¬<lb/>
legenheit tritt der Name des Grafen Camillo Cavour zum erstenmal in die<lb/>
Oeffentlichkeit. Aus einer alten Familie, welche streng absolutistischen Grundsätzen<lb/>
huldigte, entsprossen, hatte er dem Hof und der Armee den Rücken gewandt<lb/>
und, da es für liberale Politiker keinen Platz in Sardinien gab, in Frankreich<lb/>
und England staatswissenschaftlicher Studien obgelegen. Er kehrte zurück,<lb/>
als die ersten Reformen Karl Alberts dem öffentlichen Leben etwas mehr<lb/>
Luft machten und betheiligte sich an Ackerbauvereinen und der neu von<lb/>
Balbo gestifteten, volkswirthschaftlichen Zeitschrift Risorgimento. Als eine<lb/>
genuesische Deputation die Vertreter der turiner Presse zu einer Versammlung<lb/>
veranlaßte, worin über Reformpetitionen berathschlagt wurde, trug Cavour<lb/>
auf das Gesuch um Verleihung einer Verfassung an, der turiner Stadtrath<lb/>
trat bei, am 8. Febr. veröffentlichte eine Proclamation als feierliches Unter¬<lb/>
pfand des königl. Vertrauens zum Volke und als Ergänzung der bisherigen<lb/>
Reformen die Grundzüge einer Verfassung, das Fundamentalstatut. Der Gro߬<lb/>
herzog von Toscana sprach gleichfalls am 11. Februar die Absicht aus &#x201E;sei¬<lb/>
nem Volk diejenigen Freiheiten und Bürgschaften mit einer Verfassung zu<lb/>
geben, für welche es vollkommen reif sei und woraus alle seine Reformen ge¬<lb/>
zielt." &#x2014; Es war klar, daß der Papst einem gleichen Schritte nicht mehr<lb/>
ausweichen konnte, es war ein Wettrennen in Concessionen unter den Regie¬<lb/>
rungen, das Mettevnich nicht ganz mit Unrecht als eine Revolution bezeichnete;<lb/>
er sowohl als das russische Cabinet bereiteten sich aus eine energische Inter¬<lb/>
vention vor &#x2014; als die Nachricht von der Februarrevolution die Welt er¬<lb/>
schütterte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392" next="#ID_393"> .Ganz Italien war in offner Bewegung, als die Nachricht der Februar¬<lb/>
revolution Europa überraschte; nur das lombardisch-venetianische Königreich<lb/>
war äußerlich ruhig geblieben, innerlich aber gährte es dort desto heftiger.<lb/>
Unser Verfasser beginnt den zweiten Band mit einer Skizze des Landes, aus<lb/>
der hervorgeht, daß die Wohlthaten guter Verwaltung und Pflege der mate¬<lb/>
riellen Interessen durch Polizei, Klerus und Unterdrückung jedes nationalen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] bisher auf dem Wege der gemäßigten Reformen vorgegangen waren und auf demselben einigermaßen gleichen Schritt gehalten hatten. Es ward unver¬ meidlich, daß auch in jenen Staaten die Forderungen der Liberalen sich jetzt steigern mußten, der englische Gesandte in Turin drückte dem Minister des Auswärtigen sein Bedauern wegen der Ueberstürzung des Königs von Neapel aus, äußerte aber zugleich die bestimmte Ansicht, daß die sardinische Re¬ gierung jetzt nur durch ein entschiedenes Vorgehen in freisinnigen Grundsätzen sich den Vortheil einer späteren Handlung sichern und sich die hervorragende Stellung unter den liberalen Staaten Italiens bewahren könne. Palmerston billigte die Sprache vollkommen und sie mag nicht wenig beigetragen haben, den Petitionen der Verfassungsfreunde Gehör zu verschaffen. Bei dieser Ge¬ legenheit tritt der Name des Grafen Camillo Cavour zum erstenmal in die Oeffentlichkeit. Aus einer alten Familie, welche streng absolutistischen Grundsätzen huldigte, entsprossen, hatte er dem Hof und der Armee den Rücken gewandt und, da es für liberale Politiker keinen Platz in Sardinien gab, in Frankreich und England staatswissenschaftlicher Studien obgelegen. Er kehrte zurück, als die ersten Reformen Karl Alberts dem öffentlichen Leben etwas mehr Luft machten und betheiligte sich an Ackerbauvereinen und der neu von Balbo gestifteten, volkswirthschaftlichen Zeitschrift Risorgimento. Als eine genuesische Deputation die Vertreter der turiner Presse zu einer Versammlung veranlaßte, worin über Reformpetitionen berathschlagt wurde, trug Cavour auf das Gesuch um Verleihung einer Verfassung an, der turiner Stadtrath trat bei, am 8. Febr. veröffentlichte eine Proclamation als feierliches Unter¬ pfand des königl. Vertrauens zum Volke und als Ergänzung der bisherigen Reformen die Grundzüge einer Verfassung, das Fundamentalstatut. Der Gro߬ herzog von Toscana sprach gleichfalls am 11. Februar die Absicht aus „sei¬ nem Volk diejenigen Freiheiten und Bürgschaften mit einer Verfassung zu geben, für welche es vollkommen reif sei und woraus alle seine Reformen ge¬ zielt." — Es war klar, daß der Papst einem gleichen Schritte nicht mehr ausweichen konnte, es war ein Wettrennen in Concessionen unter den Regie¬ rungen, das Mettevnich nicht ganz mit Unrecht als eine Revolution bezeichnete; er sowohl als das russische Cabinet bereiteten sich aus eine energische Inter¬ vention vor — als die Nachricht von der Februarrevolution die Welt er¬ schütterte. .Ganz Italien war in offner Bewegung, als die Nachricht der Februar¬ revolution Europa überraschte; nur das lombardisch-venetianische Königreich war äußerlich ruhig geblieben, innerlich aber gährte es dort desto heftiger. Unser Verfasser beginnt den zweiten Band mit einer Skizze des Landes, aus der hervorgeht, daß die Wohlthaten guter Verwaltung und Pflege der mate¬ riellen Interessen durch Polizei, Klerus und Unterdrückung jedes nationalen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/145>, abgerufen am 24.07.2024.