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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Der Fürst hoffte, die Mächte würden auf seine Frage schon darum be¬
jahend antworten, da keine der andern durch gewaltsame Veränderung Ge¬
legenheit zur Vergrößerung werde bieten wollen. Von den italienischen Re¬
gierungen zu Hilfe gerufen, hoffte er Frankreich nicht als Feind zu begegnen.

Treffend antwortete Palmerston darauf, er erkenne die Bestimmung des
wiener Congresses an, finde aber in der Souveränetät der italienischen Fürsten
auch das Recht derselben garantirt, die nöthigen Reformen ungehindert von
außen durchzuführen. Diese seien namentlich im Kirchenstaat und in Neapel
hoch nöthig. Damit hier nicht die Verzweiflung Vieler einen Ausbruch herbei¬
führe, möchte Oestreich seinen Einfluß bei dem neapolitanischen Hofe für
Reformen anwenden. --

Es war nicht zu verwundern, wenn die Italiener danach auf England
hofften und erst durch die Wirklichkeit bitter darüber aufgeklärt werden mu߬
ten, was es heiße, wenn ein schwächerer auf Lord Palmerston rechne.

Im Herbste des Jahres 1847 war ganz Italien in der größten Gährung
und gewaltsame Erschütterungen schienen allen Klarsehenden unvermeidlich.
Zuerst erhob sich Sicilien, Die Konstitutionellen der Insel und des Festlandes
hatten sich verständigt, um durch Demostratiouen die Regierung zu liberalen
Maßregeln zu drängen.. Als dies in den letzten Monaten des Jahres ohne
Erfolg versucht war, brach Anfang Januar 1848 der Aufstand in Palermo
aus, die Wiedererlangung der Verfassung von 1812 ward die Losung, die
Concessionen des Statthalters, der eine gewisse Selbständigkeit versprach,
wurden zurückgewiesen und nach mehrwochentlichen Kampfe mußten die Trup¬
pen die Stadt räumen, die ersten Namen der sicilischen Aristokratie standen
an der Spitze der provisorischen Negierung. Die Nachricht dieser Ereignisse
mußte auf Neapel zurückwirken. Ferdinand der Zweite, der bisher starr jedes
Zugeständniß abgewiesen, war am 18. Januar schon geneigt eine Consulta
und Milderung der Preßgesetze zu bewilligen, und er, der bei seiner Thron¬
besteigung seinem Oheim Ludwig Philipp auf dessen liberale Rathschläge ge¬
antwortet, er sei entschlossen das Grundgesetz, welches die Basis der neapoli¬
tanischen Regierung gebildet, die absolute Regierung allein von Gottes
Gnaden aufrecht zu halten, capitulirte rasch vor einer Demonstration und gab
eine Verfassung nach französischem Zuschnitt, die am 10. Februar- verkündet
ward. Mit diesem Hinüberspringen aus dem Despotismus in das Extrem
eines Schablonenhaften Liberalismus, dem damals alles zujauchzte, verletzte
aber der König Sicilien, das an seiner historischen Verfassung festhielt, ans
das lebhafteste und vielleicht sah sein nicht gewöhnlicher Scharfblick schon den
Zwiespalt, den er dadurch säete und den er seinerzeit zur Herstellung der un¬
eingeschränkten Machtvollkommenheit benutzen konnte. Er erschwerte aber mit
diesem Sprunge auch sehr die Stellung der italienischen Regierungen, welche


Der Fürst hoffte, die Mächte würden auf seine Frage schon darum be¬
jahend antworten, da keine der andern durch gewaltsame Veränderung Ge¬
legenheit zur Vergrößerung werde bieten wollen. Von den italienischen Re¬
gierungen zu Hilfe gerufen, hoffte er Frankreich nicht als Feind zu begegnen.

Treffend antwortete Palmerston darauf, er erkenne die Bestimmung des
wiener Congresses an, finde aber in der Souveränetät der italienischen Fürsten
auch das Recht derselben garantirt, die nöthigen Reformen ungehindert von
außen durchzuführen. Diese seien namentlich im Kirchenstaat und in Neapel
hoch nöthig. Damit hier nicht die Verzweiflung Vieler einen Ausbruch herbei¬
führe, möchte Oestreich seinen Einfluß bei dem neapolitanischen Hofe für
Reformen anwenden. —

Es war nicht zu verwundern, wenn die Italiener danach auf England
hofften und erst durch die Wirklichkeit bitter darüber aufgeklärt werden mu߬
ten, was es heiße, wenn ein schwächerer auf Lord Palmerston rechne.

Im Herbste des Jahres 1847 war ganz Italien in der größten Gährung
und gewaltsame Erschütterungen schienen allen Klarsehenden unvermeidlich.
Zuerst erhob sich Sicilien, Die Konstitutionellen der Insel und des Festlandes
hatten sich verständigt, um durch Demostratiouen die Regierung zu liberalen
Maßregeln zu drängen.. Als dies in den letzten Monaten des Jahres ohne
Erfolg versucht war, brach Anfang Januar 1848 der Aufstand in Palermo
aus, die Wiedererlangung der Verfassung von 1812 ward die Losung, die
Concessionen des Statthalters, der eine gewisse Selbständigkeit versprach,
wurden zurückgewiesen und nach mehrwochentlichen Kampfe mußten die Trup¬
pen die Stadt räumen, die ersten Namen der sicilischen Aristokratie standen
an der Spitze der provisorischen Negierung. Die Nachricht dieser Ereignisse
mußte auf Neapel zurückwirken. Ferdinand der Zweite, der bisher starr jedes
Zugeständniß abgewiesen, war am 18. Januar schon geneigt eine Consulta
und Milderung der Preßgesetze zu bewilligen, und er, der bei seiner Thron¬
besteigung seinem Oheim Ludwig Philipp auf dessen liberale Rathschläge ge¬
antwortet, er sei entschlossen das Grundgesetz, welches die Basis der neapoli¬
tanischen Regierung gebildet, die absolute Regierung allein von Gottes
Gnaden aufrecht zu halten, capitulirte rasch vor einer Demonstration und gab
eine Verfassung nach französischem Zuschnitt, die am 10. Februar- verkündet
ward. Mit diesem Hinüberspringen aus dem Despotismus in das Extrem
eines Schablonenhaften Liberalismus, dem damals alles zujauchzte, verletzte
aber der König Sicilien, das an seiner historischen Verfassung festhielt, ans
das lebhafteste und vielleicht sah sein nicht gewöhnlicher Scharfblick schon den
Zwiespalt, den er dadurch säete und den er seinerzeit zur Herstellung der un¬
eingeschränkten Machtvollkommenheit benutzen konnte. Er erschwerte aber mit
diesem Sprunge auch sehr die Stellung der italienischen Regierungen, welche


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[0144] Der Fürst hoffte, die Mächte würden auf seine Frage schon darum be¬ jahend antworten, da keine der andern durch gewaltsame Veränderung Ge¬ legenheit zur Vergrößerung werde bieten wollen. Von den italienischen Re¬ gierungen zu Hilfe gerufen, hoffte er Frankreich nicht als Feind zu begegnen. Treffend antwortete Palmerston darauf, er erkenne die Bestimmung des wiener Congresses an, finde aber in der Souveränetät der italienischen Fürsten auch das Recht derselben garantirt, die nöthigen Reformen ungehindert von außen durchzuführen. Diese seien namentlich im Kirchenstaat und in Neapel hoch nöthig. Damit hier nicht die Verzweiflung Vieler einen Ausbruch herbei¬ führe, möchte Oestreich seinen Einfluß bei dem neapolitanischen Hofe für Reformen anwenden. — Es war nicht zu verwundern, wenn die Italiener danach auf England hofften und erst durch die Wirklichkeit bitter darüber aufgeklärt werden mu߬ ten, was es heiße, wenn ein schwächerer auf Lord Palmerston rechne. Im Herbste des Jahres 1847 war ganz Italien in der größten Gährung und gewaltsame Erschütterungen schienen allen Klarsehenden unvermeidlich. Zuerst erhob sich Sicilien, Die Konstitutionellen der Insel und des Festlandes hatten sich verständigt, um durch Demostratiouen die Regierung zu liberalen Maßregeln zu drängen.. Als dies in den letzten Monaten des Jahres ohne Erfolg versucht war, brach Anfang Januar 1848 der Aufstand in Palermo aus, die Wiedererlangung der Verfassung von 1812 ward die Losung, die Concessionen des Statthalters, der eine gewisse Selbständigkeit versprach, wurden zurückgewiesen und nach mehrwochentlichen Kampfe mußten die Trup¬ pen die Stadt räumen, die ersten Namen der sicilischen Aristokratie standen an der Spitze der provisorischen Negierung. Die Nachricht dieser Ereignisse mußte auf Neapel zurückwirken. Ferdinand der Zweite, der bisher starr jedes Zugeständniß abgewiesen, war am 18. Januar schon geneigt eine Consulta und Milderung der Preßgesetze zu bewilligen, und er, der bei seiner Thron¬ besteigung seinem Oheim Ludwig Philipp auf dessen liberale Rathschläge ge¬ antwortet, er sei entschlossen das Grundgesetz, welches die Basis der neapoli¬ tanischen Regierung gebildet, die absolute Regierung allein von Gottes Gnaden aufrecht zu halten, capitulirte rasch vor einer Demonstration und gab eine Verfassung nach französischem Zuschnitt, die am 10. Februar- verkündet ward. Mit diesem Hinüberspringen aus dem Despotismus in das Extrem eines Schablonenhaften Liberalismus, dem damals alles zujauchzte, verletzte aber der König Sicilien, das an seiner historischen Verfassung festhielt, ans das lebhafteste und vielleicht sah sein nicht gewöhnlicher Scharfblick schon den Zwiespalt, den er dadurch säete und den er seinerzeit zur Herstellung der un¬ eingeschränkten Machtvollkommenheit benutzen konnte. Er erschwerte aber mit diesem Sprunge auch sehr die Stellung der italienischen Regierungen, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/144>, abgerufen am 24.07.2024.