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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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gegen Oestreichs Forderungen ward hie und da ein schüchterner Widerstand
durch höfliche Weigerung oder Verzögerung versucht. Im Ganzen wurde trotz
aller Mißbräuche und Unzuträglichkeiten Toscana um seine Regierung von
den meisten Italienern beneidet, das laissei- aller, was sich in Fossombronis
Motto: "Die Welt geht von selbst" zeigte, war doch annehmlicher als die
Fremdherrschaft in Oberitalien oder die stupide Reaction und Bigotterie in
Rom und Neapel. Niebuhr, den niemand eines nivellirenden Liberalismus
beschuldigen wird, der im Gegentheil überall die historischen Traditionen fest¬
hielt, fand sich doch berufen den Verleumdungen über Roms Elend unter der
französischen Herrschaft entgegenzutreten. "Das Pfasfenwesen, so wie es war
und ist, mit der Wurzel auszureißen, war eine nothwendige Amputation und
sie wurde im Ganzen mit Klugheit, Schonung und Mäßigung vorgenommen,"
schreibt er 1818. Dieses alte Unwesen ward im vollsten Maße nach der
Rückkehr des Papstes wieder eingeführt, die exclusivste Regierung des Kle¬
rus machte alle eingeführten Verbesserungen rückgängig, an die Stelle des
Code Napoleon trat wieder ein unförmliches Gewirr von römischem und kano¬
nischen Recht, die Inquisition trieb offen ihr Wesen und lies Hunderte im
Kerker schmachten, in den Finanzen herrschte die größte Willkür, die 1814
übernommenen Staatsschulden wurden nur zu 25°/" anerkannt, die Lotterie
ward als Einnahmequelle mit kirchlichen Ceremonien betrieben, am Sonntag
Vormittag, wo alle andern Geschäfte geschlossen sein mußten, stand die päpst¬
liche Lottobude offen, die Banditenwirthschaft, welche unter Napoleon fast
ausgerottet war. erhob sich zu neuen Schrecken und bedrohte selbst die römi¬
schen Villen. Ebenso schlimm wie das Priesterregiment im Kirchenstaat machte
es der weltliche Despotismus in Neapel. Auch hier hatte die französische
Herrschaft sehr wohlthätig gegen alte eingewurzelte Mißbräuche gewirkt, die
ungemessenen Vorrechte des Adels waren beschränkt, Einheit in die Verwal¬
tung gebracht, die Finanzen befanden sich trotz der großen Opfer 1815 im
besten Zustande. Die Neapolitaner sind wie die Römer schlechte Soldaten,
aber Murat, dessen phantastisches Wesen dem Volke zusagte, hatte seinem
Heere doch eine gewisse Disciplin und sogar Ehrgeiz eingeflößt. In allen
diesen Dingen trat der traurigste Umschlag ein. Die Regierung Ferdinand des
Vierten ist ebenso lang als unheilvoll für sein Land gewesen, er selbst ein
listiger, feiger, sinnlicher, bigotter Charakter hatte die Negierung der Königin
Karoline überlassen; als die Bourbonen Napoleon das Festland räumen mußten,
empfing Sicilien die Dynastie mit offnen Armen, der König mißbrauchte dies
Vertrauen aus die unwürdigste Weise und suchte die Hilfsmittel des Parla¬
mentes, sowie die Subsidien Englands nur zur Wiedereroberung Neapels
und für seine Günstlinge zu verwenden. Die Haltung der sicilianischen Aristo¬
kratie, die sich ihres normännischen Ursprungs und ihrer Aehnlichkeit mit der eng-


gegen Oestreichs Forderungen ward hie und da ein schüchterner Widerstand
durch höfliche Weigerung oder Verzögerung versucht. Im Ganzen wurde trotz
aller Mißbräuche und Unzuträglichkeiten Toscana um seine Regierung von
den meisten Italienern beneidet, das laissei- aller, was sich in Fossombronis
Motto: „Die Welt geht von selbst" zeigte, war doch annehmlicher als die
Fremdherrschaft in Oberitalien oder die stupide Reaction und Bigotterie in
Rom und Neapel. Niebuhr, den niemand eines nivellirenden Liberalismus
beschuldigen wird, der im Gegentheil überall die historischen Traditionen fest¬
hielt, fand sich doch berufen den Verleumdungen über Roms Elend unter der
französischen Herrschaft entgegenzutreten. „Das Pfasfenwesen, so wie es war
und ist, mit der Wurzel auszureißen, war eine nothwendige Amputation und
sie wurde im Ganzen mit Klugheit, Schonung und Mäßigung vorgenommen,"
schreibt er 1818. Dieses alte Unwesen ward im vollsten Maße nach der
Rückkehr des Papstes wieder eingeführt, die exclusivste Regierung des Kle¬
rus machte alle eingeführten Verbesserungen rückgängig, an die Stelle des
Code Napoleon trat wieder ein unförmliches Gewirr von römischem und kano¬
nischen Recht, die Inquisition trieb offen ihr Wesen und lies Hunderte im
Kerker schmachten, in den Finanzen herrschte die größte Willkür, die 1814
übernommenen Staatsschulden wurden nur zu 25°/« anerkannt, die Lotterie
ward als Einnahmequelle mit kirchlichen Ceremonien betrieben, am Sonntag
Vormittag, wo alle andern Geschäfte geschlossen sein mußten, stand die päpst¬
liche Lottobude offen, die Banditenwirthschaft, welche unter Napoleon fast
ausgerottet war. erhob sich zu neuen Schrecken und bedrohte selbst die römi¬
schen Villen. Ebenso schlimm wie das Priesterregiment im Kirchenstaat machte
es der weltliche Despotismus in Neapel. Auch hier hatte die französische
Herrschaft sehr wohlthätig gegen alte eingewurzelte Mißbräuche gewirkt, die
ungemessenen Vorrechte des Adels waren beschränkt, Einheit in die Verwal¬
tung gebracht, die Finanzen befanden sich trotz der großen Opfer 1815 im
besten Zustande. Die Neapolitaner sind wie die Römer schlechte Soldaten,
aber Murat, dessen phantastisches Wesen dem Volke zusagte, hatte seinem
Heere doch eine gewisse Disciplin und sogar Ehrgeiz eingeflößt. In allen
diesen Dingen trat der traurigste Umschlag ein. Die Regierung Ferdinand des
Vierten ist ebenso lang als unheilvoll für sein Land gewesen, er selbst ein
listiger, feiger, sinnlicher, bigotter Charakter hatte die Negierung der Königin
Karoline überlassen; als die Bourbonen Napoleon das Festland räumen mußten,
empfing Sicilien die Dynastie mit offnen Armen, der König mißbrauchte dies
Vertrauen aus die unwürdigste Weise und suchte die Hilfsmittel des Parla¬
mentes, sowie die Subsidien Englands nur zur Wiedereroberung Neapels
und für seine Günstlinge zu verwenden. Die Haltung der sicilianischen Aristo¬
kratie, die sich ihres normännischen Ursprungs und ihrer Aehnlichkeit mit der eng-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/115>, abgerufen am 24.07.2024.