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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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lischen bewußt, den Ausbau der Verfassung eifrig betrieb und dafür große
persönliche Opfer brachte, sowie das faktische Protectorat, welches Lord
W. Bentinck im Namen Großbritanniens übte, hinderte den Despoten seine
Absichten unbeschränkter Regierung auszuführen, deshalb haßte er die Sicilianer
und wandte sich sofort gegen sie als er durch ihre Hilfe wieder in Neapel
eingezogen war. die Tones verließen ihre Schützlinge und die Mißhandlung
der Insel begann, welche bis zum heutigen Tage fortdauerte, Banditen erhiel¬
ten Straflosigkeit, alle unabhängigen Patrioten wurden mit unversöhnlicher
Rache verfolgt. Zu dieser Mißrcgierung bildeten denn doch die Zustände in
Piemont noch einen erfreulichen Gegensatz, zwar trat auch hier eine schroffe
Reaction des Adels und des Klerus mit der Rückkehr der Dynastie ein. aber
die absolute Regierung verfuhr doch bei weitem vernünftiger und Männer
wie Graf Prosper Balbo retteten manche wohlthätige Resultate der Revolu¬
tion, wie das Recht der Käufer von Staats- und Klostergütern, einen
gewissen Schutz der Gewissensfreiheit, die grundsätzlich freie Concurrenz für
die meisten Aemter. Viel zu schaffen machte der Regierung die Einverlei¬
bung von Genua, dessen reiches und unabhängiges Patriciat sich nur grol¬
lend dem militärischen, meist nicht sehr begüterten Adel Piemonts fügte;
Land und Volk des Königreiches aber waren tüchtig und man konnte vor¬
aussehen, daß ihnen eine bedeutende Zukunft bevorstand.

Eine derartige Unterdrückung in ganz Italien konnte nickt ohne verderb¬
liche Folgen bleiben, nimmt man das Sicherheitsventil ab. so schafft sich der
Dampf über kurz oder lang gewaltsam einen Ausgang, will man bei einem
intelligenten Volke keine Repräsentation gestatten, so schafft man geheime
Gesellschaften. So entstand jener Bund der Carbonari, der sich bald
über die ganze Halbinsel verzweigte und sich in alle Stände einnistete, in.
Neapel, wo der Druck am ärgsten war, kam es zuerst zum Ausbruch, die müra-
tistischen Officiere, welchen die müssige Langeweile des Kasernenlcbcns schlecht
behagte, wurden gewonnen und der König durch eine unblutige Militürrevo-
lution gezwungen die spanische Verfassung, das Ideal des radicalen Liberalis¬
mus, zu proclamiren und zu beschwören. Die besonneneren Sicilianer. welche
ihre Verfassung von 1812 zurückverlangten und die Neapolitaner, welche sie
auf das Festland ausdehnen wollten, wurden als Reactionäre verschrien, mit
Sicilien kam es zum Kampfe und die versöhnliche Kapitulation, welche der
treffliche General Florestan Pepe schloß, ward in Neapel verworfen; bald
hörte alle Zucht und Ordnung aus, auf der Straße und im Lande herrschten
die Banditen, in der Kammer die Galerien. Solche Maßlosigkeit arbeitete
Metternich vortrefflich in die Hand, er sah. daß es darauf ankomme, durch
einen entsckcidenden Schlag Oestreichs bedrohten Einfluß in Italien zu stärken
und allmächtig zu machen, die heilige Allianz zeigte sich ihm als gefügiges


lischen bewußt, den Ausbau der Verfassung eifrig betrieb und dafür große
persönliche Opfer brachte, sowie das faktische Protectorat, welches Lord
W. Bentinck im Namen Großbritanniens übte, hinderte den Despoten seine
Absichten unbeschränkter Regierung auszuführen, deshalb haßte er die Sicilianer
und wandte sich sofort gegen sie als er durch ihre Hilfe wieder in Neapel
eingezogen war. die Tones verließen ihre Schützlinge und die Mißhandlung
der Insel begann, welche bis zum heutigen Tage fortdauerte, Banditen erhiel¬
ten Straflosigkeit, alle unabhängigen Patrioten wurden mit unversöhnlicher
Rache verfolgt. Zu dieser Mißrcgierung bildeten denn doch die Zustände in
Piemont noch einen erfreulichen Gegensatz, zwar trat auch hier eine schroffe
Reaction des Adels und des Klerus mit der Rückkehr der Dynastie ein. aber
die absolute Regierung verfuhr doch bei weitem vernünftiger und Männer
wie Graf Prosper Balbo retteten manche wohlthätige Resultate der Revolu¬
tion, wie das Recht der Käufer von Staats- und Klostergütern, einen
gewissen Schutz der Gewissensfreiheit, die grundsätzlich freie Concurrenz für
die meisten Aemter. Viel zu schaffen machte der Regierung die Einverlei¬
bung von Genua, dessen reiches und unabhängiges Patriciat sich nur grol¬
lend dem militärischen, meist nicht sehr begüterten Adel Piemonts fügte;
Land und Volk des Königreiches aber waren tüchtig und man konnte vor¬
aussehen, daß ihnen eine bedeutende Zukunft bevorstand.

Eine derartige Unterdrückung in ganz Italien konnte nickt ohne verderb¬
liche Folgen bleiben, nimmt man das Sicherheitsventil ab. so schafft sich der
Dampf über kurz oder lang gewaltsam einen Ausgang, will man bei einem
intelligenten Volke keine Repräsentation gestatten, so schafft man geheime
Gesellschaften. So entstand jener Bund der Carbonari, der sich bald
über die ganze Halbinsel verzweigte und sich in alle Stände einnistete, in.
Neapel, wo der Druck am ärgsten war, kam es zuerst zum Ausbruch, die müra-
tistischen Officiere, welchen die müssige Langeweile des Kasernenlcbcns schlecht
behagte, wurden gewonnen und der König durch eine unblutige Militürrevo-
lution gezwungen die spanische Verfassung, das Ideal des radicalen Liberalis¬
mus, zu proclamiren und zu beschwören. Die besonneneren Sicilianer. welche
ihre Verfassung von 1812 zurückverlangten und die Neapolitaner, welche sie
auf das Festland ausdehnen wollten, wurden als Reactionäre verschrien, mit
Sicilien kam es zum Kampfe und die versöhnliche Kapitulation, welche der
treffliche General Florestan Pepe schloß, ward in Neapel verworfen; bald
hörte alle Zucht und Ordnung aus, auf der Straße und im Lande herrschten
die Banditen, in der Kammer die Galerien. Solche Maßlosigkeit arbeitete
Metternich vortrefflich in die Hand, er sah. daß es darauf ankomme, durch
einen entsckcidenden Schlag Oestreichs bedrohten Einfluß in Italien zu stärken
und allmächtig zu machen, die heilige Allianz zeigte sich ihm als gefügiges


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[0116] lischen bewußt, den Ausbau der Verfassung eifrig betrieb und dafür große persönliche Opfer brachte, sowie das faktische Protectorat, welches Lord W. Bentinck im Namen Großbritanniens übte, hinderte den Despoten seine Absichten unbeschränkter Regierung auszuführen, deshalb haßte er die Sicilianer und wandte sich sofort gegen sie als er durch ihre Hilfe wieder in Neapel eingezogen war. die Tones verließen ihre Schützlinge und die Mißhandlung der Insel begann, welche bis zum heutigen Tage fortdauerte, Banditen erhiel¬ ten Straflosigkeit, alle unabhängigen Patrioten wurden mit unversöhnlicher Rache verfolgt. Zu dieser Mißrcgierung bildeten denn doch die Zustände in Piemont noch einen erfreulichen Gegensatz, zwar trat auch hier eine schroffe Reaction des Adels und des Klerus mit der Rückkehr der Dynastie ein. aber die absolute Regierung verfuhr doch bei weitem vernünftiger und Männer wie Graf Prosper Balbo retteten manche wohlthätige Resultate der Revolu¬ tion, wie das Recht der Käufer von Staats- und Klostergütern, einen gewissen Schutz der Gewissensfreiheit, die grundsätzlich freie Concurrenz für die meisten Aemter. Viel zu schaffen machte der Regierung die Einverlei¬ bung von Genua, dessen reiches und unabhängiges Patriciat sich nur grol¬ lend dem militärischen, meist nicht sehr begüterten Adel Piemonts fügte; Land und Volk des Königreiches aber waren tüchtig und man konnte vor¬ aussehen, daß ihnen eine bedeutende Zukunft bevorstand. Eine derartige Unterdrückung in ganz Italien konnte nickt ohne verderb¬ liche Folgen bleiben, nimmt man das Sicherheitsventil ab. so schafft sich der Dampf über kurz oder lang gewaltsam einen Ausgang, will man bei einem intelligenten Volke keine Repräsentation gestatten, so schafft man geheime Gesellschaften. So entstand jener Bund der Carbonari, der sich bald über die ganze Halbinsel verzweigte und sich in alle Stände einnistete, in. Neapel, wo der Druck am ärgsten war, kam es zuerst zum Ausbruch, die müra- tistischen Officiere, welchen die müssige Langeweile des Kasernenlcbcns schlecht behagte, wurden gewonnen und der König durch eine unblutige Militürrevo- lution gezwungen die spanische Verfassung, das Ideal des radicalen Liberalis¬ mus, zu proclamiren und zu beschwören. Die besonneneren Sicilianer. welche ihre Verfassung von 1812 zurückverlangten und die Neapolitaner, welche sie auf das Festland ausdehnen wollten, wurden als Reactionäre verschrien, mit Sicilien kam es zum Kampfe und die versöhnliche Kapitulation, welche der treffliche General Florestan Pepe schloß, ward in Neapel verworfen; bald hörte alle Zucht und Ordnung aus, auf der Straße und im Lande herrschten die Banditen, in der Kammer die Galerien. Solche Maßlosigkeit arbeitete Metternich vortrefflich in die Hand, er sah. daß es darauf ankomme, durch einen entsckcidenden Schlag Oestreichs bedrohten Einfluß in Italien zu stärken und allmächtig zu machen, die heilige Allianz zeigte sich ihm als gefügiges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/116>, abgerufen am 24.07.2024.