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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Italiens und die Zerstörung des Gleichgewichts in Südeuropa, ohne Oestreich
wahre und dauernde Vortheile zu bringen. Diese Behauptung, so auffallend
sie auch scheinen mag. ist auf Verminst und Erfahrung gegründet; die natür¬
lichen Grenzen zwischen Italien und Deutschland sind zu klar, als das, diese
beiden Lander jemals zu einem verschmölze" werden könnten. Die Bewohner
der Oestreich untergebenen italienischen Provinzen können sich heute so wenig
als vor hundert Jahren den Deutschen assiniilu'en." Um nun also ein besseres
Gleichgewicht in Oberitalien herzustellen, legte d'Aglie eine Karte vor. welche
Oestreich bei Eröffnung des Krieges 1809 mit Zustimmung seiner Alliirten
(also namentlich Englands) dem sardinischen Hofe zu Erzweckung einer guten
Grenze zwischen Oestreich und Piemont vorgelegt hatte. Die Grenzlinie zwi¬
schen Oestreich und Piemont folgt darauf den großen Gewässern, dem Garda-
see. dem Laufe des Mincio bis zu seiner Einmündung in den Po bei Gover-
nolo, so daß die Festung Mantua an Piemont, Verona an Oestreich fiele;
südlich vom Po liefe die Grenze Piemonts etwas weiter zurück von der Mün¬
dung bis zur Quelle der Enza, wodurch also grade Parma an Piemont gefallen
wäre; jenseits des Apennins sollte die Magra bis zu ihrer Mündung bei Sar-
zanci die Grenze bilden. Diese Länder und Bevölkerungen alle haben einen
gemeinsamen oberitalienischen Charakter. Ans diese Weise hätte Sardinien
etwa ein Fünftel von Italien besessen. Aber der Einfluß Metternichs ver¬
eitelte die günstigen Dispositionen, die England früher für Sardinien ge¬
hegt hatte, Oestreich erlangte nicht nur die ganze Lombardei, sondern
auch das Besatzungsrecht und das Heimfallsrecht auf Piacenza, der ein¬
zigen Festung, welche das Land zwischen dem Tessin und Oglio unmittel¬
bar beherrscht, so lag Piemont offen gegen Oestreich da. Gegen Frankreich
suchten die Congreßmächte es thunlichst zu stärken, es erhielt Nizza und Sa-
voyen zurück und empfing Genua, aus dessen Besitz seine maritime Stellung
erwachsen ist. Die Metternichsche Politik hatte es erreicht Piemont ganz zu
beherrschen, aber freilich war dasselbe dadurch gezwungen, wenn dieser Druck
unerträglich ward, sich auf Frankreich zu stützen. Der Staatskanzler hatte es
zu verhindern gewußt, daß auf dem Kongreß ein italienischer Ausschuß nach
Analogie des deutschen gebildet wurde, denn, sagte er, Deutschland solle aller¬
dings nach den Bestimmungen des pariser Friedens einen Staatenkörper
bilden, während Italien kraft desselben vom Po ab. blos eine Bereinigung
von unabhängigen Staaten darstelle, welche unter dieselbe geographische Be¬
nennung zusammengefaßt seien. Er fürchtete jede Organisation, welche irgend¬
wie den italienischen Staaten eine Unabhängigkeit bieten könnte, nach der
Unterzeichnung der Congreßacte aber begann er eifrig auf den Beitritt der
Regierungen zur heiligen Allianz und zu einem Bunde unter Oestreichs Pro-
tection nach Analogie des Rheinbundes zu arbeiten. Vollständiger Erfolg


Italiens und die Zerstörung des Gleichgewichts in Südeuropa, ohne Oestreich
wahre und dauernde Vortheile zu bringen. Diese Behauptung, so auffallend
sie auch scheinen mag. ist auf Verminst und Erfahrung gegründet; die natür¬
lichen Grenzen zwischen Italien und Deutschland sind zu klar, als das, diese
beiden Lander jemals zu einem verschmölze» werden könnten. Die Bewohner
der Oestreich untergebenen italienischen Provinzen können sich heute so wenig
als vor hundert Jahren den Deutschen assiniilu'en." Um nun also ein besseres
Gleichgewicht in Oberitalien herzustellen, legte d'Aglie eine Karte vor. welche
Oestreich bei Eröffnung des Krieges 1809 mit Zustimmung seiner Alliirten
(also namentlich Englands) dem sardinischen Hofe zu Erzweckung einer guten
Grenze zwischen Oestreich und Piemont vorgelegt hatte. Die Grenzlinie zwi¬
schen Oestreich und Piemont folgt darauf den großen Gewässern, dem Garda-
see. dem Laufe des Mincio bis zu seiner Einmündung in den Po bei Gover-
nolo, so daß die Festung Mantua an Piemont, Verona an Oestreich fiele;
südlich vom Po liefe die Grenze Piemonts etwas weiter zurück von der Mün¬
dung bis zur Quelle der Enza, wodurch also grade Parma an Piemont gefallen
wäre; jenseits des Apennins sollte die Magra bis zu ihrer Mündung bei Sar-
zanci die Grenze bilden. Diese Länder und Bevölkerungen alle haben einen
gemeinsamen oberitalienischen Charakter. Ans diese Weise hätte Sardinien
etwa ein Fünftel von Italien besessen. Aber der Einfluß Metternichs ver¬
eitelte die günstigen Dispositionen, die England früher für Sardinien ge¬
hegt hatte, Oestreich erlangte nicht nur die ganze Lombardei, sondern
auch das Besatzungsrecht und das Heimfallsrecht auf Piacenza, der ein¬
zigen Festung, welche das Land zwischen dem Tessin und Oglio unmittel¬
bar beherrscht, so lag Piemont offen gegen Oestreich da. Gegen Frankreich
suchten die Congreßmächte es thunlichst zu stärken, es erhielt Nizza und Sa-
voyen zurück und empfing Genua, aus dessen Besitz seine maritime Stellung
erwachsen ist. Die Metternichsche Politik hatte es erreicht Piemont ganz zu
beherrschen, aber freilich war dasselbe dadurch gezwungen, wenn dieser Druck
unerträglich ward, sich auf Frankreich zu stützen. Der Staatskanzler hatte es
zu verhindern gewußt, daß auf dem Kongreß ein italienischer Ausschuß nach
Analogie des deutschen gebildet wurde, denn, sagte er, Deutschland solle aller¬
dings nach den Bestimmungen des pariser Friedens einen Staatenkörper
bilden, während Italien kraft desselben vom Po ab. blos eine Bereinigung
von unabhängigen Staaten darstelle, welche unter dieselbe geographische Be¬
nennung zusammengefaßt seien. Er fürchtete jede Organisation, welche irgend¬
wie den italienischen Staaten eine Unabhängigkeit bieten könnte, nach der
Unterzeichnung der Congreßacte aber begann er eifrig auf den Beitritt der
Regierungen zur heiligen Allianz und zu einem Bunde unter Oestreichs Pro-
tection nach Analogie des Rheinbundes zu arbeiten. Vollständiger Erfolg


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[0112] Italiens und die Zerstörung des Gleichgewichts in Südeuropa, ohne Oestreich wahre und dauernde Vortheile zu bringen. Diese Behauptung, so auffallend sie auch scheinen mag. ist auf Verminst und Erfahrung gegründet; die natür¬ lichen Grenzen zwischen Italien und Deutschland sind zu klar, als das, diese beiden Lander jemals zu einem verschmölze» werden könnten. Die Bewohner der Oestreich untergebenen italienischen Provinzen können sich heute so wenig als vor hundert Jahren den Deutschen assiniilu'en." Um nun also ein besseres Gleichgewicht in Oberitalien herzustellen, legte d'Aglie eine Karte vor. welche Oestreich bei Eröffnung des Krieges 1809 mit Zustimmung seiner Alliirten (also namentlich Englands) dem sardinischen Hofe zu Erzweckung einer guten Grenze zwischen Oestreich und Piemont vorgelegt hatte. Die Grenzlinie zwi¬ schen Oestreich und Piemont folgt darauf den großen Gewässern, dem Garda- see. dem Laufe des Mincio bis zu seiner Einmündung in den Po bei Gover- nolo, so daß die Festung Mantua an Piemont, Verona an Oestreich fiele; südlich vom Po liefe die Grenze Piemonts etwas weiter zurück von der Mün¬ dung bis zur Quelle der Enza, wodurch also grade Parma an Piemont gefallen wäre; jenseits des Apennins sollte die Magra bis zu ihrer Mündung bei Sar- zanci die Grenze bilden. Diese Länder und Bevölkerungen alle haben einen gemeinsamen oberitalienischen Charakter. Ans diese Weise hätte Sardinien etwa ein Fünftel von Italien besessen. Aber der Einfluß Metternichs ver¬ eitelte die günstigen Dispositionen, die England früher für Sardinien ge¬ hegt hatte, Oestreich erlangte nicht nur die ganze Lombardei, sondern auch das Besatzungsrecht und das Heimfallsrecht auf Piacenza, der ein¬ zigen Festung, welche das Land zwischen dem Tessin und Oglio unmittel¬ bar beherrscht, so lag Piemont offen gegen Oestreich da. Gegen Frankreich suchten die Congreßmächte es thunlichst zu stärken, es erhielt Nizza und Sa- voyen zurück und empfing Genua, aus dessen Besitz seine maritime Stellung erwachsen ist. Die Metternichsche Politik hatte es erreicht Piemont ganz zu beherrschen, aber freilich war dasselbe dadurch gezwungen, wenn dieser Druck unerträglich ward, sich auf Frankreich zu stützen. Der Staatskanzler hatte es zu verhindern gewußt, daß auf dem Kongreß ein italienischer Ausschuß nach Analogie des deutschen gebildet wurde, denn, sagte er, Deutschland solle aller¬ dings nach den Bestimmungen des pariser Friedens einen Staatenkörper bilden, während Italien kraft desselben vom Po ab. blos eine Bereinigung von unabhängigen Staaten darstelle, welche unter dieselbe geographische Be¬ nennung zusammengefaßt seien. Er fürchtete jede Organisation, welche irgend¬ wie den italienischen Staaten eine Unabhängigkeit bieten könnte, nach der Unterzeichnung der Congreßacte aber begann er eifrig auf den Beitritt der Regierungen zur heiligen Allianz und zu einem Bunde unter Oestreichs Pro- tection nach Analogie des Rheinbundes zu arbeiten. Vollständiger Erfolg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/112>, abgerufen am 04.07.2024.