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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Piemont den Hauptgegner sand. Der snrdinische Vertreter auf dem Kongreß
Graf d'Agli6 setzte in einer Denkschrift Lord Castlereagh die Gefahren aus¬
einander, welche die Einengung seines Staates haben müsse. "Man hat," heißt
es in derselbe", "dem turiner Hofe den Wunsch sich zu vergrößern vorgeworfen,
aber wenn der wiener Hof in seiner Absicht beharrte, alle Gebiete zu behalten,
die er jetzt in Italien innehat, würde er denselben Vorwurf verdienen. Die
Fürsten des Hauses Savoyen, zwischen zwei mächtige Nachbarn, welche stets
ihre Staaten eifersüchtig bewachen, gestellt, haben natürlicherweise nach Mitteln
suchen müssen, sich zu verstärken und zu vergrößern, je mehr sich ihre Nach¬
barn ausdehnten und je mehr das Militärsystcm sich in einem Maße ausbil¬
dete, wie das in frühern Jahrhunderten unbekannt war. Früher hatte Pie¬
mont. gegen Frankreich durch die Alpen einigermaßen sicher gestellt, wenigstens
auf der italienischen Seite durch die Schwäche seiner Nachbarstaaten keinen
Grund der Beunruhigung. Allerdings war auch damals das Haus Oestreich
ein mächtiger Nachbar, aber weder durch die Ausdehnung seiner Besitzungen,
noch durch deren Lage furchtbar. Das Herzogthum Mailand war von den an¬
dern östreichischen Erbstanten getrennt, die Zahl der Truppen während des
Friedenszustandes gering, in Kriegszeiten aber machte diese Entfernung es Pie¬
mont möglich, sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Da der König von
Sardinien früher nichts von seiner italienischen Seite zu fürchten hatte, konnte
er alle seine Sorge auf Vertheidigung seiner natürlichen Alpengrenze gegen
Frankreich verwenden. Nun aber hat jene Sicherheit ein Ende; es geht über
Piemonts Kräfte, im Frieden 40 bis 50.000 Mann zu halten, Oestreich kann
also mit seinen bloßen Garnisonen in Italien jederzeit Turin selbst überfallen.
Während der acht Jahrhunderte, welche das Haus Savoyen in Piemont herrscht,
war es von seiner italienischen Seite nie einer solchen Gesnhr ausgesetzt; es
liegt vor Augen, bis zu welchem Grad der Rang und die Unabhängigkeit des
einzigen in Italien regierenden italienischen Fürsten herabgesetzt wäre, wenn
sich Oestreich diese Spolien bleibend aneignen dürfte. Wenn nun aber jetzt
eine schon furchtbare Macht die Absicht kund gibt, sich den besten und größten
Theil Italiens anzueignen und sein Gebiet bis zur Grenze Piemonts aus¬
zudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der turiner Hof machen würde
um eine Gebietserweiterung und Hilfsquellen, welche der Gefahr, von der er
bedroht ist, entsprechen, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen. In diesem Fall ist
Vergrößerung nicht Ehrgeiz, sondern eine Garantie, ein unentbehrliches Mittel
seine Unabhängigkeit zu bewahren. Dagegen sind die Absichten Oestreichs
durch keine Nothwendigkeit gerechtfertigt und berühren weder seine Sicherheit
noch seine Unabhängigkeit. Man darf selbst weitergehn und ohne Zaudern
behaupten, daß die in Frage stehende Vergrößerung, obschon an sich beträcht¬
lich, tem andres Resultat haben würde, als die Knechtung (aLSki-visssmönt)


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Piemont den Hauptgegner sand. Der snrdinische Vertreter auf dem Kongreß
Graf d'Agli6 setzte in einer Denkschrift Lord Castlereagh die Gefahren aus¬
einander, welche die Einengung seines Staates haben müsse. „Man hat," heißt
es in derselbe», „dem turiner Hofe den Wunsch sich zu vergrößern vorgeworfen,
aber wenn der wiener Hof in seiner Absicht beharrte, alle Gebiete zu behalten,
die er jetzt in Italien innehat, würde er denselben Vorwurf verdienen. Die
Fürsten des Hauses Savoyen, zwischen zwei mächtige Nachbarn, welche stets
ihre Staaten eifersüchtig bewachen, gestellt, haben natürlicherweise nach Mitteln
suchen müssen, sich zu verstärken und zu vergrößern, je mehr sich ihre Nach¬
barn ausdehnten und je mehr das Militärsystcm sich in einem Maße ausbil¬
dete, wie das in frühern Jahrhunderten unbekannt war. Früher hatte Pie¬
mont. gegen Frankreich durch die Alpen einigermaßen sicher gestellt, wenigstens
auf der italienischen Seite durch die Schwäche seiner Nachbarstaaten keinen
Grund der Beunruhigung. Allerdings war auch damals das Haus Oestreich
ein mächtiger Nachbar, aber weder durch die Ausdehnung seiner Besitzungen,
noch durch deren Lage furchtbar. Das Herzogthum Mailand war von den an¬
dern östreichischen Erbstanten getrennt, die Zahl der Truppen während des
Friedenszustandes gering, in Kriegszeiten aber machte diese Entfernung es Pie¬
mont möglich, sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Da der König von
Sardinien früher nichts von seiner italienischen Seite zu fürchten hatte, konnte
er alle seine Sorge auf Vertheidigung seiner natürlichen Alpengrenze gegen
Frankreich verwenden. Nun aber hat jene Sicherheit ein Ende; es geht über
Piemonts Kräfte, im Frieden 40 bis 50.000 Mann zu halten, Oestreich kann
also mit seinen bloßen Garnisonen in Italien jederzeit Turin selbst überfallen.
Während der acht Jahrhunderte, welche das Haus Savoyen in Piemont herrscht,
war es von seiner italienischen Seite nie einer solchen Gesnhr ausgesetzt; es
liegt vor Augen, bis zu welchem Grad der Rang und die Unabhängigkeit des
einzigen in Italien regierenden italienischen Fürsten herabgesetzt wäre, wenn
sich Oestreich diese Spolien bleibend aneignen dürfte. Wenn nun aber jetzt
eine schon furchtbare Macht die Absicht kund gibt, sich den besten und größten
Theil Italiens anzueignen und sein Gebiet bis zur Grenze Piemonts aus¬
zudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der turiner Hof machen würde
um eine Gebietserweiterung und Hilfsquellen, welche der Gefahr, von der er
bedroht ist, entsprechen, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen. In diesem Fall ist
Vergrößerung nicht Ehrgeiz, sondern eine Garantie, ein unentbehrliches Mittel
seine Unabhängigkeit zu bewahren. Dagegen sind die Absichten Oestreichs
durch keine Nothwendigkeit gerechtfertigt und berühren weder seine Sicherheit
noch seine Unabhängigkeit. Man darf selbst weitergehn und ohne Zaudern
behaupten, daß die in Frage stehende Vergrößerung, obschon an sich beträcht¬
lich, tem andres Resultat haben würde, als die Knechtung (aLSki-visssmönt)


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[0111] Piemont den Hauptgegner sand. Der snrdinische Vertreter auf dem Kongreß Graf d'Agli6 setzte in einer Denkschrift Lord Castlereagh die Gefahren aus¬ einander, welche die Einengung seines Staates haben müsse. „Man hat," heißt es in derselbe», „dem turiner Hofe den Wunsch sich zu vergrößern vorgeworfen, aber wenn der wiener Hof in seiner Absicht beharrte, alle Gebiete zu behalten, die er jetzt in Italien innehat, würde er denselben Vorwurf verdienen. Die Fürsten des Hauses Savoyen, zwischen zwei mächtige Nachbarn, welche stets ihre Staaten eifersüchtig bewachen, gestellt, haben natürlicherweise nach Mitteln suchen müssen, sich zu verstärken und zu vergrößern, je mehr sich ihre Nach¬ barn ausdehnten und je mehr das Militärsystcm sich in einem Maße ausbil¬ dete, wie das in frühern Jahrhunderten unbekannt war. Früher hatte Pie¬ mont. gegen Frankreich durch die Alpen einigermaßen sicher gestellt, wenigstens auf der italienischen Seite durch die Schwäche seiner Nachbarstaaten keinen Grund der Beunruhigung. Allerdings war auch damals das Haus Oestreich ein mächtiger Nachbar, aber weder durch die Ausdehnung seiner Besitzungen, noch durch deren Lage furchtbar. Das Herzogthum Mailand war von den an¬ dern östreichischen Erbstanten getrennt, die Zahl der Truppen während des Friedenszustandes gering, in Kriegszeiten aber machte diese Entfernung es Pie¬ mont möglich, sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Da der König von Sardinien früher nichts von seiner italienischen Seite zu fürchten hatte, konnte er alle seine Sorge auf Vertheidigung seiner natürlichen Alpengrenze gegen Frankreich verwenden. Nun aber hat jene Sicherheit ein Ende; es geht über Piemonts Kräfte, im Frieden 40 bis 50.000 Mann zu halten, Oestreich kann also mit seinen bloßen Garnisonen in Italien jederzeit Turin selbst überfallen. Während der acht Jahrhunderte, welche das Haus Savoyen in Piemont herrscht, war es von seiner italienischen Seite nie einer solchen Gesnhr ausgesetzt; es liegt vor Augen, bis zu welchem Grad der Rang und die Unabhängigkeit des einzigen in Italien regierenden italienischen Fürsten herabgesetzt wäre, wenn sich Oestreich diese Spolien bleibend aneignen dürfte. Wenn nun aber jetzt eine schon furchtbare Macht die Absicht kund gibt, sich den besten und größten Theil Italiens anzueignen und sein Gebiet bis zur Grenze Piemonts aus¬ zudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der turiner Hof machen würde um eine Gebietserweiterung und Hilfsquellen, welche der Gefahr, von der er bedroht ist, entsprechen, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen. In diesem Fall ist Vergrößerung nicht Ehrgeiz, sondern eine Garantie, ein unentbehrliches Mittel seine Unabhängigkeit zu bewahren. Dagegen sind die Absichten Oestreichs durch keine Nothwendigkeit gerechtfertigt und berühren weder seine Sicherheit noch seine Unabhängigkeit. Man darf selbst weitergehn und ohne Zaudern behaupten, daß die in Frage stehende Vergrößerung, obschon an sich beträcht¬ lich, tem andres Resultat haben würde, als die Knechtung (aLSki-visssmönt) l3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/111>, abgerufen am 04.07.2024.