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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Diese Gedanken laufen als rother Faden durch Neuchlins Werk, welches
das Verständniß für dieselben durch ein reiches Material begründet, bei dessen
Bearbeitung kritischer Blick und Gewissenhaftigkeit besonders zu rühmen sind.

Wir glauben die Bedeutung dieser Geschichte nicht besser anerkennen zu
können, als indem wir versuchen, unsern Lesern eine thunlichst genaue Idee
von derselben zu geben, um sie zu ermuntern, das Buch selbst zur Hand zu
nehmen. Um die gegenwärtige Geschichte Italiens zu verstehen, kommt es
hauptsächlich darauf an, einmal das System des wiener Kongresses zu kennen,
gegen welches die jetzige Bewegung gerichtet ist und sodann die Revolutionen
von 1848--49 zu betrachten, um ihr Mißlingen so wie die gegenwärtigen Aus¬
sichten zu beurtheilen.

Wir übergehn also die frühere Geschichte Italiens, von welcher der
Verfasser in der Einleitung eine" Abriß gibt und wenden uns zu dem Staaten-
system, welches der wiener Kongreß geschaffen und das sich bis zu den letzten
Ereignissen gehalten. Neapel blieb in seinen Grenzen unverändert, die Bour-
bonen kehrten zurück, nachdem Murat ein tragisches Ende gefunden, auch die
Fürsten von Toscana und Modena, sowie der Papst erhielten wesentlich ihre
alten Besitzungen zurück, der letztere rettete namentlich durch die Hilfe der
akatholischen Mächte die Legationen von der Begehrlichkeit des Kaisers Franz.
der nur den Gebictsstrich auf dem tialem Ufer des untern Po erwarb. Das
ganze Interesse richtete sich auf die Gebietsvertheilung in Oberitalien, wer
dort herrscht, hält die Geschicke der Halbinsel in seiner Hand. Graf d'Hau-
sonville erzählt, daß Graf Metternich dem französischen Botschafter in Wien
1830 sagte, für ihn sei die Frage Piemonts die Frage von ganz Italien.
Oestreich, sollte für seine Abtretungen in Deutschland und Polen in Italien
entschädigt werden, wo seine Besitzungen vor der Revolution nur in ein¬
zelnen Vorlanden bestanden, welche schlecht mit dem Neichskörper zusammen¬
hingen, durch den wormser Frieden (1743) hatte es noch Stücke der Lombar¬
dei, Tortona und Novara an Piemont verloren und der Tessino vom Lago
Maggiore bis an den Po ward die Grenze gegen seinen westlichen Nachbar,
Venedigs Gebiet war noch unangetastet. Die Revolutionskriege änderten diese
Lage, Piemont ward das Opfer für die Koalition und gleichmäßig von Frank¬
reich und Oestreich mißhandelt, letzteres dagegen breitete sich aus und wurde
hier für seine Verluste in Deutschland und den Niederlanden entschädigt; nach
wechselndem Kriegsglück ging es aus dem Frieden mit dem Erwerb Venedigs und
Dalmatiens hervor, wodurch seine italienischen Besitzungen eine compacte, mit
den übrigen Provinzen wohl zusammenhängende Masse wurden. Nach Süden
zu erwarb es zwar nicht die Legationen, aber außer der Pogrenze das Be¬
satzungsrecht in Ferrara und Comacchio. Sein ganzes Bestreben ging nun
dahin, seine Westgrenze so weit als möglich vorzuschieben, wobei es natürlich an


Diese Gedanken laufen als rother Faden durch Neuchlins Werk, welches
das Verständniß für dieselben durch ein reiches Material begründet, bei dessen
Bearbeitung kritischer Blick und Gewissenhaftigkeit besonders zu rühmen sind.

Wir glauben die Bedeutung dieser Geschichte nicht besser anerkennen zu
können, als indem wir versuchen, unsern Lesern eine thunlichst genaue Idee
von derselben zu geben, um sie zu ermuntern, das Buch selbst zur Hand zu
nehmen. Um die gegenwärtige Geschichte Italiens zu verstehen, kommt es
hauptsächlich darauf an, einmal das System des wiener Kongresses zu kennen,
gegen welches die jetzige Bewegung gerichtet ist und sodann die Revolutionen
von 1848—49 zu betrachten, um ihr Mißlingen so wie die gegenwärtigen Aus¬
sichten zu beurtheilen.

Wir übergehn also die frühere Geschichte Italiens, von welcher der
Verfasser in der Einleitung eine» Abriß gibt und wenden uns zu dem Staaten-
system, welches der wiener Kongreß geschaffen und das sich bis zu den letzten
Ereignissen gehalten. Neapel blieb in seinen Grenzen unverändert, die Bour-
bonen kehrten zurück, nachdem Murat ein tragisches Ende gefunden, auch die
Fürsten von Toscana und Modena, sowie der Papst erhielten wesentlich ihre
alten Besitzungen zurück, der letztere rettete namentlich durch die Hilfe der
akatholischen Mächte die Legationen von der Begehrlichkeit des Kaisers Franz.
der nur den Gebictsstrich auf dem tialem Ufer des untern Po erwarb. Das
ganze Interesse richtete sich auf die Gebietsvertheilung in Oberitalien, wer
dort herrscht, hält die Geschicke der Halbinsel in seiner Hand. Graf d'Hau-
sonville erzählt, daß Graf Metternich dem französischen Botschafter in Wien
1830 sagte, für ihn sei die Frage Piemonts die Frage von ganz Italien.
Oestreich, sollte für seine Abtretungen in Deutschland und Polen in Italien
entschädigt werden, wo seine Besitzungen vor der Revolution nur in ein¬
zelnen Vorlanden bestanden, welche schlecht mit dem Neichskörper zusammen¬
hingen, durch den wormser Frieden (1743) hatte es noch Stücke der Lombar¬
dei, Tortona und Novara an Piemont verloren und der Tessino vom Lago
Maggiore bis an den Po ward die Grenze gegen seinen westlichen Nachbar,
Venedigs Gebiet war noch unangetastet. Die Revolutionskriege änderten diese
Lage, Piemont ward das Opfer für die Koalition und gleichmäßig von Frank¬
reich und Oestreich mißhandelt, letzteres dagegen breitete sich aus und wurde
hier für seine Verluste in Deutschland und den Niederlanden entschädigt; nach
wechselndem Kriegsglück ging es aus dem Frieden mit dem Erwerb Venedigs und
Dalmatiens hervor, wodurch seine italienischen Besitzungen eine compacte, mit
den übrigen Provinzen wohl zusammenhängende Masse wurden. Nach Süden
zu erwarb es zwar nicht die Legationen, aber außer der Pogrenze das Be¬
satzungsrecht in Ferrara und Comacchio. Sein ganzes Bestreben ging nun
dahin, seine Westgrenze so weit als möglich vorzuschieben, wobei es natürlich an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/110>, abgerufen am 04.07.2024.