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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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hatten. In manchen Zweigen (wie z. B. in der Alchemie, d. b. Chemie
und Metallurgie) ist er besonders gut unterrichtet, in allen ist er vollkommen
zu Hause. Seine speciellen Kenntnisse haben ihn dein Verdacht ausgesät,
daß er in seiner Jugend die Hebammcnkunst getrieben. Man hat ihn dage¬
gen förmlich zu vertheidigen gesucht, indem man gewisse Stellen und Schrif¬
ten für unecht erklärt. Wenn man sie indessen mit seinem Vorbilde Aristote¬
les De Generatione vergleicht, so wird man in dieser Beziehung nichts
Ungewöhnliches bei Albertus Magnus finden. Er ist auch Arzt und Physio¬
log. Albertus ist selten originell, aber immer taktvoll. Er ist im Stande,
mit großer Geschicklichkeit sogar die Schärfe der Konsequenz abzubrechen,
um nicht in eine Ungereimtheit zu verfallen. Seine Vollständigkeit, die ihn
in der Zeit der Scholastik so hoch stellte, wird ihm in unseren Tagen der
Theilung der Arbeit zum Vorwurf. Schriftsteller wie Tennemann und Victor
Cousin, der Albertus einen "deutschen" Gelehrten, d. h. einen sinnlosen Kom¬
pilator, einen Büffler, nennt, lesen nicht gerne Werke, die 21 starke Folio¬
bände ausfüllen, und von denen man wenigstens einige kennen muß, um sich
ein Urtheil über den Autor zu bilden. Im Vergleiche mit Albertus ist Bacon
kaum ein Gelehrter nach damaligem Begriffe. Sein Plan ist, daß erst Gram¬
matik und alte Sprachen gelernt werden müssen, denn die Sprache ist die
Grundlage allen Wissens. Seine eigenen Kenntnisse in dieser Beziehung, so
viel er sie rühmt, sind indessen nicht bedeutend und wahrscheinlich nicht grö¬
ßer als die von Albertus, der nicht damit prahlt. Vom Griechischen wußte
er eben so viel, daß er die daher entnommenen Fremdwörter im Lateinischen
erklären konnte. Im Hebräischen war er vollkommen unwissend. Wenn er
Worte wie Latus, Oudus, Lenins für echtes, reines Hebräisch erklärt, so zer¬
bricht man sich den Kopf, woher er das genommen haben mag, bis man die
Vulgata nachsieht (Ezech. 45. ig. 11: 2 Rom. 6, 25! 2 Sam. 11, 12)
und findet, daß Bacon die lateinischen Ausdrücke, die er zum Theil noch falsch
abschreibt, von den hebräischen nicht hat unterscheiden können. Bacon
rühmte sich, die ganze griechische und die ganze hebräische Sprache jedem
Schüler in drei Tagen lehren zu können. Ganz ernste Schriftsteller haben ihm
das in unserer Zeit geglaubt. So dürfen wir denn auch nicht daran zwei¬
feln und machen nur den Zusatz: "so weit er selbst diese Sprachen kannte."
Drei Tage für sein Hebräisch scheinen uus noch zu viel zu sein. Nächst den
Sprachen sollte Logik und Metaphysik folgen und dann zur Mathematik
übergegangen werden. Die Mathematik enthielt Geometrie, Arithmetik, Astro.
moule und Musik. Den Schluß bildete allgemeine und specielle Physik, was
nach Bacon aber wenig mehr als Optik und die Anfangsgründe von Alche¬
mie war. Bacon sagt kein Wort von Politik, Theologie, Geschichte. Natur¬
geschichte n. s. w. Geographie, der damals viel Aufmerksamkeit geschenkt


hatten. In manchen Zweigen (wie z. B. in der Alchemie, d. b. Chemie
und Metallurgie) ist er besonders gut unterrichtet, in allen ist er vollkommen
zu Hause. Seine speciellen Kenntnisse haben ihn dein Verdacht ausgesät,
daß er in seiner Jugend die Hebammcnkunst getrieben. Man hat ihn dage¬
gen förmlich zu vertheidigen gesucht, indem man gewisse Stellen und Schrif¬
ten für unecht erklärt. Wenn man sie indessen mit seinem Vorbilde Aristote¬
les De Generatione vergleicht, so wird man in dieser Beziehung nichts
Ungewöhnliches bei Albertus Magnus finden. Er ist auch Arzt und Physio¬
log. Albertus ist selten originell, aber immer taktvoll. Er ist im Stande,
mit großer Geschicklichkeit sogar die Schärfe der Konsequenz abzubrechen,
um nicht in eine Ungereimtheit zu verfallen. Seine Vollständigkeit, die ihn
in der Zeit der Scholastik so hoch stellte, wird ihm in unseren Tagen der
Theilung der Arbeit zum Vorwurf. Schriftsteller wie Tennemann und Victor
Cousin, der Albertus einen „deutschen" Gelehrten, d. h. einen sinnlosen Kom¬
pilator, einen Büffler, nennt, lesen nicht gerne Werke, die 21 starke Folio¬
bände ausfüllen, und von denen man wenigstens einige kennen muß, um sich
ein Urtheil über den Autor zu bilden. Im Vergleiche mit Albertus ist Bacon
kaum ein Gelehrter nach damaligem Begriffe. Sein Plan ist, daß erst Gram¬
matik und alte Sprachen gelernt werden müssen, denn die Sprache ist die
Grundlage allen Wissens. Seine eigenen Kenntnisse in dieser Beziehung, so
viel er sie rühmt, sind indessen nicht bedeutend und wahrscheinlich nicht grö¬
ßer als die von Albertus, der nicht damit prahlt. Vom Griechischen wußte
er eben so viel, daß er die daher entnommenen Fremdwörter im Lateinischen
erklären konnte. Im Hebräischen war er vollkommen unwissend. Wenn er
Worte wie Latus, Oudus, Lenins für echtes, reines Hebräisch erklärt, so zer¬
bricht man sich den Kopf, woher er das genommen haben mag, bis man die
Vulgata nachsieht (Ezech. 45. ig. 11: 2 Rom. 6, 25! 2 Sam. 11, 12)
und findet, daß Bacon die lateinischen Ausdrücke, die er zum Theil noch falsch
abschreibt, von den hebräischen nicht hat unterscheiden können. Bacon
rühmte sich, die ganze griechische und die ganze hebräische Sprache jedem
Schüler in drei Tagen lehren zu können. Ganz ernste Schriftsteller haben ihm
das in unserer Zeit geglaubt. So dürfen wir denn auch nicht daran zwei¬
feln und machen nur den Zusatz: „so weit er selbst diese Sprachen kannte."
Drei Tage für sein Hebräisch scheinen uus noch zu viel zu sein. Nächst den
Sprachen sollte Logik und Metaphysik folgen und dann zur Mathematik
übergegangen werden. Die Mathematik enthielt Geometrie, Arithmetik, Astro.
moule und Musik. Den Schluß bildete allgemeine und specielle Physik, was
nach Bacon aber wenig mehr als Optik und die Anfangsgründe von Alche¬
mie war. Bacon sagt kein Wort von Politik, Theologie, Geschichte. Natur¬
geschichte n. s. w. Geographie, der damals viel Aufmerksamkeit geschenkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/106>, abgerufen am 24.07.2024.