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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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liebsten Beziehungen nur eine Fortsetzung der Disputationen zwischen der Aka¬
demie und dem Lyceum.

Bacon war ein Nominalist, obgleich er in seinen wundersamen Launen
nicht selten auch in Realismus, oder wie wir es jetzt nennen würden platoni¬
schen Idealismus umschlägt. Aristoteles war ihn, unfehlbar. Wenn der
Vater der Peripntetiker ihn gelegentlich einmal im Stiche läßt, so ist ge¬
wiß der Jude Andreas daran schuld. Dem Einflüsse von Aristoteles ist es
zuzuschreiben, daß Bacon wie die ganze Schule der Nominalisten einen so
großen Nachdruck aus die "rmiversiws seisntiÄrum" legen. "Omruzs seieri-
Käs sunt, eonnLxak," war ein Axiom bei ihnen. Denn die ganze Schöpfung,
die geistige und die materielle Welt, stammt aus demselben Urquell, hat nur
einen und denselben Zweck und wird von derselben Vernunft erkannt (S. 73).
Wo der Gegenstand selbst eine Einheit ist, kann das Herrnusreißen eines
Stückes nur Unverstand sein. Der gemeine Empyriker mag sich im Besonde¬
ren verlieren, der Weise sieht durch das weite Labyrinth des Details hindurch
immer den Zusammenhang. Es ist demzufolge eine Nothwendigkeit der
Philosophie, alle Fächer des Wissens in sich aufzunehmen. Je mehr sich diese
Ansicht befestigte, desto mehr mußte der alte Streit zwischen Abnlard und
Se. Bernhard seine Bedeutung verlieren. Wo jeder Theil gleich unentbehrlich
ist. da muß er auch gleich wichtig sein. Der Theologie einen Vorrang zuer¬
kennen zu wollen, konnte höchstens ein sentimentaler Versuch der Höflichkeit,
eine leere Etikette sein. Sobald es ans Werk ging, mußte sie sehen, wie sie
sich mit Physik, mit Astronomie, mit Geographie, Geschichte und sprachlicher
Exegese u. s. w., die alle volles Bürgerrecht beanspruchten, zurecht finden
konnte. Wenn sie sich dagegen sträubte, erklärte ihr Bacon. daß das "Erb¬
sünde" sei, denn Erbsünde sei nichts Anderes als menschliche Dummheit.
"Das ist der Unwissenheit der Erbsünde eigen, daß sie verachtet und verleum¬
det, was sie nicht versteht. Die Auserwählten (d. h. die Philosophen) wis¬
sen es aber, daß der Mensch nur dann Gutes üben kann, wenn er es er¬
kennt, und Böses nur dann vermeiden, wenn er es unterscheidet." (S. 71 ff.
S. 10). Diejenigen also, die Theologie aus ihrem Verbände mit den an¬
dern Wissenschaften reißen wollen, arbeiteten an ihrem Ruin und waren Väter
der Sünde.

In der Durchführung des Systems durch die verschiedenen Fächer des
Wissens steht Bacon dem Albertus Magnus unendlich weit nach. Der unver¬
gleichliche Ruhm, den Albertus Jahrhunderte lang genoß und den ihm noch
Tritheim, dieser gründliche Kenner scholastischer Literatur im 16. Jahrhundert
in so reichem Maße spendet, beruht grade auf der Ausführung. Er behan¬
delt alle die Fächer, die Aristoteles untersucht, und fügt hinzu, was christliche
Theologie und römische und arabische Wissenschaft seitdem zu Tage gefördert


liebsten Beziehungen nur eine Fortsetzung der Disputationen zwischen der Aka¬
demie und dem Lyceum.

Bacon war ein Nominalist, obgleich er in seinen wundersamen Launen
nicht selten auch in Realismus, oder wie wir es jetzt nennen würden platoni¬
schen Idealismus umschlägt. Aristoteles war ihn, unfehlbar. Wenn der
Vater der Peripntetiker ihn gelegentlich einmal im Stiche läßt, so ist ge¬
wiß der Jude Andreas daran schuld. Dem Einflüsse von Aristoteles ist es
zuzuschreiben, daß Bacon wie die ganze Schule der Nominalisten einen so
großen Nachdruck aus die „rmiversiws seisntiÄrum" legen. „Omruzs seieri-
Käs sunt, eonnLxak," war ein Axiom bei ihnen. Denn die ganze Schöpfung,
die geistige und die materielle Welt, stammt aus demselben Urquell, hat nur
einen und denselben Zweck und wird von derselben Vernunft erkannt (S. 73).
Wo der Gegenstand selbst eine Einheit ist, kann das Herrnusreißen eines
Stückes nur Unverstand sein. Der gemeine Empyriker mag sich im Besonde¬
ren verlieren, der Weise sieht durch das weite Labyrinth des Details hindurch
immer den Zusammenhang. Es ist demzufolge eine Nothwendigkeit der
Philosophie, alle Fächer des Wissens in sich aufzunehmen. Je mehr sich diese
Ansicht befestigte, desto mehr mußte der alte Streit zwischen Abnlard und
Se. Bernhard seine Bedeutung verlieren. Wo jeder Theil gleich unentbehrlich
ist. da muß er auch gleich wichtig sein. Der Theologie einen Vorrang zuer¬
kennen zu wollen, konnte höchstens ein sentimentaler Versuch der Höflichkeit,
eine leere Etikette sein. Sobald es ans Werk ging, mußte sie sehen, wie sie
sich mit Physik, mit Astronomie, mit Geographie, Geschichte und sprachlicher
Exegese u. s. w., die alle volles Bürgerrecht beanspruchten, zurecht finden
konnte. Wenn sie sich dagegen sträubte, erklärte ihr Bacon. daß das „Erb¬
sünde" sei, denn Erbsünde sei nichts Anderes als menschliche Dummheit.
„Das ist der Unwissenheit der Erbsünde eigen, daß sie verachtet und verleum¬
det, was sie nicht versteht. Die Auserwählten (d. h. die Philosophen) wis¬
sen es aber, daß der Mensch nur dann Gutes üben kann, wenn er es er¬
kennt, und Böses nur dann vermeiden, wenn er es unterscheidet." (S. 71 ff.
S. 10). Diejenigen also, die Theologie aus ihrem Verbände mit den an¬
dern Wissenschaften reißen wollen, arbeiteten an ihrem Ruin und waren Väter
der Sünde.

In der Durchführung des Systems durch die verschiedenen Fächer des
Wissens steht Bacon dem Albertus Magnus unendlich weit nach. Der unver¬
gleichliche Ruhm, den Albertus Jahrhunderte lang genoß und den ihm noch
Tritheim, dieser gründliche Kenner scholastischer Literatur im 16. Jahrhundert
in so reichem Maße spendet, beruht grade auf der Ausführung. Er behan¬
delt alle die Fächer, die Aristoteles untersucht, und fügt hinzu, was christliche
Theologie und römische und arabische Wissenschaft seitdem zu Tage gefördert


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[0105] liebsten Beziehungen nur eine Fortsetzung der Disputationen zwischen der Aka¬ demie und dem Lyceum. Bacon war ein Nominalist, obgleich er in seinen wundersamen Launen nicht selten auch in Realismus, oder wie wir es jetzt nennen würden platoni¬ schen Idealismus umschlägt. Aristoteles war ihn, unfehlbar. Wenn der Vater der Peripntetiker ihn gelegentlich einmal im Stiche läßt, so ist ge¬ wiß der Jude Andreas daran schuld. Dem Einflüsse von Aristoteles ist es zuzuschreiben, daß Bacon wie die ganze Schule der Nominalisten einen so großen Nachdruck aus die „rmiversiws seisntiÄrum" legen. „Omruzs seieri- Käs sunt, eonnLxak," war ein Axiom bei ihnen. Denn die ganze Schöpfung, die geistige und die materielle Welt, stammt aus demselben Urquell, hat nur einen und denselben Zweck und wird von derselben Vernunft erkannt (S. 73). Wo der Gegenstand selbst eine Einheit ist, kann das Herrnusreißen eines Stückes nur Unverstand sein. Der gemeine Empyriker mag sich im Besonde¬ ren verlieren, der Weise sieht durch das weite Labyrinth des Details hindurch immer den Zusammenhang. Es ist demzufolge eine Nothwendigkeit der Philosophie, alle Fächer des Wissens in sich aufzunehmen. Je mehr sich diese Ansicht befestigte, desto mehr mußte der alte Streit zwischen Abnlard und Se. Bernhard seine Bedeutung verlieren. Wo jeder Theil gleich unentbehrlich ist. da muß er auch gleich wichtig sein. Der Theologie einen Vorrang zuer¬ kennen zu wollen, konnte höchstens ein sentimentaler Versuch der Höflichkeit, eine leere Etikette sein. Sobald es ans Werk ging, mußte sie sehen, wie sie sich mit Physik, mit Astronomie, mit Geographie, Geschichte und sprachlicher Exegese u. s. w., die alle volles Bürgerrecht beanspruchten, zurecht finden konnte. Wenn sie sich dagegen sträubte, erklärte ihr Bacon. daß das „Erb¬ sünde" sei, denn Erbsünde sei nichts Anderes als menschliche Dummheit. „Das ist der Unwissenheit der Erbsünde eigen, daß sie verachtet und verleum¬ det, was sie nicht versteht. Die Auserwählten (d. h. die Philosophen) wis¬ sen es aber, daß der Mensch nur dann Gutes üben kann, wenn er es er¬ kennt, und Böses nur dann vermeiden, wenn er es unterscheidet." (S. 71 ff. S. 10). Diejenigen also, die Theologie aus ihrem Verbände mit den an¬ dern Wissenschaften reißen wollen, arbeiteten an ihrem Ruin und waren Väter der Sünde. In der Durchführung des Systems durch die verschiedenen Fächer des Wissens steht Bacon dem Albertus Magnus unendlich weit nach. Der unver¬ gleichliche Ruhm, den Albertus Jahrhunderte lang genoß und den ihm noch Tritheim, dieser gründliche Kenner scholastischer Literatur im 16. Jahrhundert in so reichem Maße spendet, beruht grade auf der Ausführung. Er behan¬ delt alle die Fächer, die Aristoteles untersucht, und fügt hinzu, was christliche Theologie und römische und arabische Wissenschaft seitdem zu Tage gefördert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/105>, abgerufen am 24.07.2024.