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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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sie ihre Weisheit hergenommen, als von den heidnischen Philosophen? Bacon
behauptet ohne alles Bedenken, daß wir ohne das Studium der Philosophie
keine echten Christe" und auch feine so tugendhaften Menschen sein tonnen, als
die heidnischen Philosophen ohne Kenntniß der Bibel waren, (z. B. S. 50)
"Denn," fügt er an einer andern Stelle hinzu, "die ganze Natur, materielle
sowol als geistige, vom höchsten Himmel bis zu den Tiefen der Erde, bildet den
Gegenstand der heiligen Schrift; und da es das Wert der Philosophie ist, die
Natur zu erklären, so kann Theologie nur zugleich mit Philosophie verstanden
und aufgefaßt werden." (S. 82) "Das Wort hat eine wundersame Kraft," heißt
es weiter; wenn es indessen unphilosophisch gebraucht wird, "sinkt es zu der
betrügerischen Kunst von Hexen und Vetteln hinab und hat keine andere Wir¬
kung, als daß der Teufel sein Spiel treibt." (S. 98).

Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß die Ge¬
bildeten im dreizehnten Jahrhundert das Christenthum nur in Verbindung mit
classischer Literatur auffaßten. Hatte sich doch der Streit zwischen Abülard
und Se. Bernhard bereits in denselben Grenzen bewegt. Abälard verwarf
nicht die Religion und Se. Bernhard war kein Verächter der Philosophie.
Bischof Neander will in ihm sogar einen Vorläufer der Reformation mit pau-
linischen Tendenzen erkennen. Wir sind anderer Ansicht. Wir glauben, daß
Katholiken ganz aufgeklärt sein können, wie sie es damals nicht selten waren,
und daß Aufklärung kein Zeichen von Protestantismus ist. Wie dem aber
auch sei. der Unterschied zwischen den beiden berühmten Gegnern bestand nur
darin, daß Se. Bernhard der Theologie und Abälnrd der Philosophie die erste
Rolle einräumen wollte. Se. Bernhard sagte: Lredo ut iuwUiMm. Denn
volles Wissen ist uns in unserem jetzigen Zustande noch unmöglich. Religion
ist eine vorläufige Offenbarung, an die wir uns zu halten haben, bis wir
in unserer Erkenntniß weiter fortgeschritten sind, und dann die Wahrheit als
Wissen erkennen. Abülard im Gegentheile sagte: intelligo ut erectam, erst
begreifen und dann glauben. Denn Reden, die weder der Sprechende noch
der Hörer versteht, sind leerer Wortkram, an den Niemand glauben kann, wie
viel Mühe er sich auch geben mag. Diese Verschiedenheit der Auffassung hatte
sich seitdem nicht erweitert, sondern eher verengt. Wenn wir die sogenannten
Realisten im Allgemeinen als die Nachfolger von Se. Bernhard ansehen kön¬
nen, so finden wir, daß sie sich hauptsächlich auf Plato stützen, dessen Jdeenlehre
wirklicher, "realer" Existenz auch außerhalb der sinnlichen Natur zu sein schien.
Die Dogmen der Kirche konnten damals in orthodoxer Weise erklärt werden.
Ihre Gegner, die sogenannten Nominalisten, weil sie die allgemeinen Ideen nur
für "Nomina," für bloße Abstraktionen von der concreten Natur erklärten, hielten
sich an Aristoteles, dessen physikalischen Werke ihrer Ansicht besonders entsprachen.
Der philosophisch-religiöse Streit innerhalb der Scholastik war in seinen wehend-


sie ihre Weisheit hergenommen, als von den heidnischen Philosophen? Bacon
behauptet ohne alles Bedenken, daß wir ohne das Studium der Philosophie
keine echten Christe» und auch feine so tugendhaften Menschen sein tonnen, als
die heidnischen Philosophen ohne Kenntniß der Bibel waren, (z. B. S. 50)
„Denn," fügt er an einer andern Stelle hinzu, „die ganze Natur, materielle
sowol als geistige, vom höchsten Himmel bis zu den Tiefen der Erde, bildet den
Gegenstand der heiligen Schrift; und da es das Wert der Philosophie ist, die
Natur zu erklären, so kann Theologie nur zugleich mit Philosophie verstanden
und aufgefaßt werden." (S. 82) „Das Wort hat eine wundersame Kraft," heißt
es weiter; wenn es indessen unphilosophisch gebraucht wird, „sinkt es zu der
betrügerischen Kunst von Hexen und Vetteln hinab und hat keine andere Wir¬
kung, als daß der Teufel sein Spiel treibt." (S. 98).

Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß die Ge¬
bildeten im dreizehnten Jahrhundert das Christenthum nur in Verbindung mit
classischer Literatur auffaßten. Hatte sich doch der Streit zwischen Abülard
und Se. Bernhard bereits in denselben Grenzen bewegt. Abälard verwarf
nicht die Religion und Se. Bernhard war kein Verächter der Philosophie.
Bischof Neander will in ihm sogar einen Vorläufer der Reformation mit pau-
linischen Tendenzen erkennen. Wir sind anderer Ansicht. Wir glauben, daß
Katholiken ganz aufgeklärt sein können, wie sie es damals nicht selten waren,
und daß Aufklärung kein Zeichen von Protestantismus ist. Wie dem aber
auch sei. der Unterschied zwischen den beiden berühmten Gegnern bestand nur
darin, daß Se. Bernhard der Theologie und Abälnrd der Philosophie die erste
Rolle einräumen wollte. Se. Bernhard sagte: Lredo ut iuwUiMm. Denn
volles Wissen ist uns in unserem jetzigen Zustande noch unmöglich. Religion
ist eine vorläufige Offenbarung, an die wir uns zu halten haben, bis wir
in unserer Erkenntniß weiter fortgeschritten sind, und dann die Wahrheit als
Wissen erkennen. Abülard im Gegentheile sagte: intelligo ut erectam, erst
begreifen und dann glauben. Denn Reden, die weder der Sprechende noch
der Hörer versteht, sind leerer Wortkram, an den Niemand glauben kann, wie
viel Mühe er sich auch geben mag. Diese Verschiedenheit der Auffassung hatte
sich seitdem nicht erweitert, sondern eher verengt. Wenn wir die sogenannten
Realisten im Allgemeinen als die Nachfolger von Se. Bernhard ansehen kön¬
nen, so finden wir, daß sie sich hauptsächlich auf Plato stützen, dessen Jdeenlehre
wirklicher, „realer" Existenz auch außerhalb der sinnlichen Natur zu sein schien.
Die Dogmen der Kirche konnten damals in orthodoxer Weise erklärt werden.
Ihre Gegner, die sogenannten Nominalisten, weil sie die allgemeinen Ideen nur
für „Nomina," für bloße Abstraktionen von der concreten Natur erklärten, hielten
sich an Aristoteles, dessen physikalischen Werke ihrer Ansicht besonders entsprachen.
Der philosophisch-religiöse Streit innerhalb der Scholastik war in seinen wehend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/104>, abgerufen am 24.07.2024.