Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bacon nicht einmal auf dem Wege zur Erfindung war. Er kannte die Schwie¬
rigkeiten noch nicht.

Doch genug von Bacon dein "Allwissenden" und dem "Weltverbesserer."
Wir wollen zu etwas Erfreulicherem übergehen und nachsehen, was er als
gewöhnlicher scholastischer Philosoph war.

,,1'ota, saviLntia, ecmoluclitur in sa-orÄ seriptruA, vew ^'us es-mem se Mi-
1os0on'a,in exMeamIa." (S. 81, 53) Alle Weisheit ist in der heiligen Schrift
zu finden, wenn sie durch dos Recht und durch Philosophie erklärt wird. Wir
wüßten kaum, wie das Wesen scholastischer Philosophie in wenig Worten klarer
ausgedrückt werden könnte. Die Scholastik ist der große Versuch, Glauben
und Wissenschaft und Glauben und Kunst in ein harmonisches Ganze zu bilden.
Die Zeit war noch stark im Glauben. Es war kaum ein Argwohn vorhanden,
daß wesentliche Punkte der Religion das Licht der Wissenschaft zu scheuen hät¬
ten. "Es müßte traurig um das Christenthum stehen, wenn es, richtig ver¬
standen, mit der Vernunft in Streit käme." "Die Christen würden sich in
den Augen der Juden und Araber lächerlich machen, wenn sie Behauptungen
aufstellten, die von der Wissenschaft widerlegt werden." Diese und ähnliche
Behauptungen finden wir häusig in den Scholastikern und sie bilden den Grund¬
ton in den Schriften von Roger Bacon. Wie der Glanben an Religion, so
war auch das Vertrauen zur Wissenschaft unbegrenzt. Die Wissenschaft, ob¬
gleich erst seit Kurzem wieder eingeführt, war selbst alt. Sie bestand in wenig
mehr als in den Schützen Griechenlands in verstümmelter Form. Griechische
Originalwerke waren im Abendlande nicht viel bekannt. Sie hatten den weiten
Umweg über Asien und Afrika gemacht und waren erst aus dem Griechischen
ins Arabische und aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt worden. Die
Juden hatten sich auch des literarischen Verkehrs angenommen. Der Jude
Maschalla hatte unter Harun al Raschid dieselbe Rolle als Uebersetzer gespielt,
wie der Jude Andreas ein halbes Jahrtausend später unter Friedrich II.
Manche Fehler hatten sich eingeschlichen. Aber die so oft wiederholte Behaup¬
tung von Bacon. daß die Juden absichtlich den Text entstellt, ist eine Ueber-"
treibuug. Wir sprechen hier von wahren Gelehrten und nicht von wissenschaft¬
lichen Betrügern, an denen es damals wie heut zu Tage nicht fehlte. Die
Gelehrten hätten es leicht aus den römischen Nachahmern griechischer Philoso¬
phie, wie Cicero und Seneca, erkennen können, wenn die Uebersetzer den all¬
gemeinen Sinn geändert hätten.

Dazu kommt, daß die griechische Sprache nicht vollständig unbekannt
im katholischen Europa war. In Sicilien und Süditalien wurde sie noch
gesprochen. Thomas ab Aquino und Wilhelm von Tocco, ein Brabanter,
der später Erzbischof von Corinth wurde, übersetzten Aristoteles direct aus
dem Urtext. Wir brauchen indessen zu keinen Vermuthungen nach Wahr-


Bacon nicht einmal auf dem Wege zur Erfindung war. Er kannte die Schwie¬
rigkeiten noch nicht.

Doch genug von Bacon dein „Allwissenden" und dem „Weltverbesserer."
Wir wollen zu etwas Erfreulicherem übergehen und nachsehen, was er als
gewöhnlicher scholastischer Philosoph war.

,,1'ota, saviLntia, ecmoluclitur in sa-orÄ seriptruA, vew ^'us es-mem se Mi-
1os0on'a,in exMeamIa." (S. 81, 53) Alle Weisheit ist in der heiligen Schrift
zu finden, wenn sie durch dos Recht und durch Philosophie erklärt wird. Wir
wüßten kaum, wie das Wesen scholastischer Philosophie in wenig Worten klarer
ausgedrückt werden könnte. Die Scholastik ist der große Versuch, Glauben
und Wissenschaft und Glauben und Kunst in ein harmonisches Ganze zu bilden.
Die Zeit war noch stark im Glauben. Es war kaum ein Argwohn vorhanden,
daß wesentliche Punkte der Religion das Licht der Wissenschaft zu scheuen hät¬
ten. „Es müßte traurig um das Christenthum stehen, wenn es, richtig ver¬
standen, mit der Vernunft in Streit käme." „Die Christen würden sich in
den Augen der Juden und Araber lächerlich machen, wenn sie Behauptungen
aufstellten, die von der Wissenschaft widerlegt werden." Diese und ähnliche
Behauptungen finden wir häusig in den Scholastikern und sie bilden den Grund¬
ton in den Schriften von Roger Bacon. Wie der Glanben an Religion, so
war auch das Vertrauen zur Wissenschaft unbegrenzt. Die Wissenschaft, ob¬
gleich erst seit Kurzem wieder eingeführt, war selbst alt. Sie bestand in wenig
mehr als in den Schützen Griechenlands in verstümmelter Form. Griechische
Originalwerke waren im Abendlande nicht viel bekannt. Sie hatten den weiten
Umweg über Asien und Afrika gemacht und waren erst aus dem Griechischen
ins Arabische und aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt worden. Die
Juden hatten sich auch des literarischen Verkehrs angenommen. Der Jude
Maschalla hatte unter Harun al Raschid dieselbe Rolle als Uebersetzer gespielt,
wie der Jude Andreas ein halbes Jahrtausend später unter Friedrich II.
Manche Fehler hatten sich eingeschlichen. Aber die so oft wiederholte Behaup¬
tung von Bacon. daß die Juden absichtlich den Text entstellt, ist eine Ueber-"
treibuug. Wir sprechen hier von wahren Gelehrten und nicht von wissenschaft¬
lichen Betrügern, an denen es damals wie heut zu Tage nicht fehlte. Die
Gelehrten hätten es leicht aus den römischen Nachahmern griechischer Philoso¬
phie, wie Cicero und Seneca, erkennen können, wenn die Uebersetzer den all¬
gemeinen Sinn geändert hätten.

Dazu kommt, daß die griechische Sprache nicht vollständig unbekannt
im katholischen Europa war. In Sicilien und Süditalien wurde sie noch
gesprochen. Thomas ab Aquino und Wilhelm von Tocco, ein Brabanter,
der später Erzbischof von Corinth wurde, übersetzten Aristoteles direct aus
dem Urtext. Wir brauchen indessen zu keinen Vermuthungen nach Wahr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109908"/>
          <p xml:id="ID_262" prev="#ID_261"> Bacon nicht einmal auf dem Wege zur Erfindung war. Er kannte die Schwie¬<lb/>
rigkeiten noch nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Doch genug von Bacon dein &#x201E;Allwissenden" und dem &#x201E;Weltverbesserer."<lb/>
Wir wollen zu etwas Erfreulicherem übergehen und nachsehen, was er als<lb/>
gewöhnlicher scholastischer Philosoph war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264"> ,,1'ota, saviLntia, ecmoluclitur in sa-orÄ seriptruA, vew ^'us es-mem se Mi-<lb/>
1os0on'a,in exMeamIa." (S. 81, 53) Alle Weisheit ist in der heiligen Schrift<lb/>
zu finden, wenn sie durch dos Recht und durch Philosophie erklärt wird. Wir<lb/>
wüßten kaum, wie das Wesen scholastischer Philosophie in wenig Worten klarer<lb/>
ausgedrückt werden könnte. Die Scholastik ist der große Versuch, Glauben<lb/>
und Wissenschaft und Glauben und Kunst in ein harmonisches Ganze zu bilden.<lb/>
Die Zeit war noch stark im Glauben. Es war kaum ein Argwohn vorhanden,<lb/>
daß wesentliche Punkte der Religion das Licht der Wissenschaft zu scheuen hät¬<lb/>
ten. &#x201E;Es müßte traurig um das Christenthum stehen, wenn es, richtig ver¬<lb/>
standen, mit der Vernunft in Streit käme." &#x201E;Die Christen würden sich in<lb/>
den Augen der Juden und Araber lächerlich machen, wenn sie Behauptungen<lb/>
aufstellten, die von der Wissenschaft widerlegt werden." Diese und ähnliche<lb/>
Behauptungen finden wir häusig in den Scholastikern und sie bilden den Grund¬<lb/>
ton in den Schriften von Roger Bacon. Wie der Glanben an Religion, so<lb/>
war auch das Vertrauen zur Wissenschaft unbegrenzt. Die Wissenschaft, ob¬<lb/>
gleich erst seit Kurzem wieder eingeführt, war selbst alt. Sie bestand in wenig<lb/>
mehr als in den Schützen Griechenlands in verstümmelter Form. Griechische<lb/>
Originalwerke waren im Abendlande nicht viel bekannt. Sie hatten den weiten<lb/>
Umweg über Asien und Afrika gemacht und waren erst aus dem Griechischen<lb/>
ins Arabische und aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt worden. Die<lb/>
Juden hatten sich auch des literarischen Verkehrs angenommen. Der Jude<lb/>
Maschalla hatte unter Harun al Raschid dieselbe Rolle als Uebersetzer gespielt,<lb/>
wie der Jude Andreas ein halbes Jahrtausend später unter Friedrich II.<lb/>
Manche Fehler hatten sich eingeschlichen. Aber die so oft wiederholte Behaup¬<lb/>
tung von Bacon. daß die Juden absichtlich den Text entstellt, ist eine Ueber-"<lb/>
treibuug. Wir sprechen hier von wahren Gelehrten und nicht von wissenschaft¬<lb/>
lichen Betrügern, an denen es damals wie heut zu Tage nicht fehlte. Die<lb/>
Gelehrten hätten es leicht aus den römischen Nachahmern griechischer Philoso¬<lb/>
phie, wie Cicero und Seneca, erkennen können, wenn die Uebersetzer den all¬<lb/>
gemeinen Sinn geändert hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265" next="#ID_266"> Dazu kommt, daß die griechische Sprache nicht vollständig unbekannt<lb/>
im katholischen Europa war. In Sicilien und Süditalien wurde sie noch<lb/>
gesprochen. Thomas ab Aquino und Wilhelm von Tocco, ein Brabanter,<lb/>
der später Erzbischof von Corinth wurde, übersetzten Aristoteles direct aus<lb/>
dem Urtext.  Wir brauchen indessen zu keinen Vermuthungen nach Wahr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0102] Bacon nicht einmal auf dem Wege zur Erfindung war. Er kannte die Schwie¬ rigkeiten noch nicht. Doch genug von Bacon dein „Allwissenden" und dem „Weltverbesserer." Wir wollen zu etwas Erfreulicherem übergehen und nachsehen, was er als gewöhnlicher scholastischer Philosoph war. ,,1'ota, saviLntia, ecmoluclitur in sa-orÄ seriptruA, vew ^'us es-mem se Mi- 1os0on'a,in exMeamIa." (S. 81, 53) Alle Weisheit ist in der heiligen Schrift zu finden, wenn sie durch dos Recht und durch Philosophie erklärt wird. Wir wüßten kaum, wie das Wesen scholastischer Philosophie in wenig Worten klarer ausgedrückt werden könnte. Die Scholastik ist der große Versuch, Glauben und Wissenschaft und Glauben und Kunst in ein harmonisches Ganze zu bilden. Die Zeit war noch stark im Glauben. Es war kaum ein Argwohn vorhanden, daß wesentliche Punkte der Religion das Licht der Wissenschaft zu scheuen hät¬ ten. „Es müßte traurig um das Christenthum stehen, wenn es, richtig ver¬ standen, mit der Vernunft in Streit käme." „Die Christen würden sich in den Augen der Juden und Araber lächerlich machen, wenn sie Behauptungen aufstellten, die von der Wissenschaft widerlegt werden." Diese und ähnliche Behauptungen finden wir häusig in den Scholastikern und sie bilden den Grund¬ ton in den Schriften von Roger Bacon. Wie der Glanben an Religion, so war auch das Vertrauen zur Wissenschaft unbegrenzt. Die Wissenschaft, ob¬ gleich erst seit Kurzem wieder eingeführt, war selbst alt. Sie bestand in wenig mehr als in den Schützen Griechenlands in verstümmelter Form. Griechische Originalwerke waren im Abendlande nicht viel bekannt. Sie hatten den weiten Umweg über Asien und Afrika gemacht und waren erst aus dem Griechischen ins Arabische und aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt worden. Die Juden hatten sich auch des literarischen Verkehrs angenommen. Der Jude Maschalla hatte unter Harun al Raschid dieselbe Rolle als Uebersetzer gespielt, wie der Jude Andreas ein halbes Jahrtausend später unter Friedrich II. Manche Fehler hatten sich eingeschlichen. Aber die so oft wiederholte Behaup¬ tung von Bacon. daß die Juden absichtlich den Text entstellt, ist eine Ueber-" treibuug. Wir sprechen hier von wahren Gelehrten und nicht von wissenschaft¬ lichen Betrügern, an denen es damals wie heut zu Tage nicht fehlte. Die Gelehrten hätten es leicht aus den römischen Nachahmern griechischer Philoso¬ phie, wie Cicero und Seneca, erkennen können, wenn die Uebersetzer den all¬ gemeinen Sinn geändert hätten. Dazu kommt, daß die griechische Sprache nicht vollständig unbekannt im katholischen Europa war. In Sicilien und Süditalien wurde sie noch gesprochen. Thomas ab Aquino und Wilhelm von Tocco, ein Brabanter, der später Erzbischof von Corinth wurde, übersetzten Aristoteles direct aus dem Urtext. Wir brauchen indessen zu keinen Vermuthungen nach Wahr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/102
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/102>, abgerufen am 24.07.2024.