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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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bereits vorher drei Schalttage ausgelassen hatte, so betrug die Abweichung
desselben von der astronomischen Zeit im Jahre 1167, als Bacon schrieb,
7 Tage 4 Stunden 43 Minuten 10 Sekunden. Das war namentlich seit den
Alfonsischen Tabellen ziemlich bekannt. Eine Berichtigung des Fehlers mußte
aber nur größere Verwirrung hervorbringen, wenn sie nicht in allen Ländern
gleichmäßig vorgenommen wurde. Kirchenversammlungen hatten daher ein¬
seitige Aenderungen ohne Zuthun des Papstes verboten. Unter solchen Um¬
ständen wagte es selbst Bacon nicht, sich dem Papste gegenüber als Entdecker
des Irrthums im Kalender zu rühmen. Im Gegentheile, er behauptet, daL
jeder Astronom und jeder gewöhnliche Kalendermacher (eomputists.) ihn ken¬
nen. Seine modernen Freunde und darunter der Herausgeber des vorliegenden
Wertes versichern uns dessen ungeachtet mir größester Zuversicht, daß Bacon
nach endlose" Berechnungen zuerst den Fehler des Kalenders entdeckt, während
die übrigen Gelehrten es nicht sahen, wie "Jahreszeiten und Kalender, gleich
den Zeigern einer Uhr, selten nach derselben Richtung wiesen". Welche Ueber¬
treibung! Im dreizehnten Jahrhundert oder ungefähr um die Zeit wurden
der Compaß, die Uhren, Brillen und Ferngläser in Europa bekannt. Bacon
hat aber keine dieser Erfindungen gemacht. Durch die Luft fliegen, aus dem
Grunde des Meeres umherwandeln. Heere und Städte mit einem kleinen In¬
strumente vernichten, Alles das schwebte seinem Geiste in phantastischem Lichte
vor. Aber die Mittel dazu aufzusuchen, sich in das Detail zu vertiefen, aus
dem das Ganze zusamniengescht werden muß, das war nicht seine Sache.
Er hätte fliegen mögen, ehe er gehen konnte. Hätte Bacon mehr Welttennt-
mß besessen, so wäre er vorzüglich dazu geeignet gewesen, andern, mühsam
und bescheiden arbeitenden Gelehrten ihre Entdeckungen und ihren Ruhm zu
entwenden. Selbst zu erfinden war er unfähig. Der Erfinder des Compasses
kann er schon darum nicht gewesen sein, weil derselbe erweislich vor ihm in
Gebrauch gewesen. Da bereits Saladin Kaiser Friedrich dem Zweiten eine
Uhr zum Geschenke gemacht, so ist es etwas mehr als unwahrscheinlich, daß
Bacon sie zuerst verfertigt. Es bleiben also nur die Brillen und Ferngläser
übrig. Optik war die Lieblingswissenschaft von Bacon. Er hat sich viel mit
ihr beschäftigt und spricht ost von ihr. Wenn wir indessen die Stellen S.
110 ff.. 116. 534 ff u. f. W. mit Plinius Hist. Rat. 126, 26, 127,
2 und mit Seneca Quant. Rat. 1, 5, 6 vergleichen, so finden wir, daß Bacon
auch in dieser Hinsicht aller Originalität entbehrt. Er wiederholt nur und
fast wörtlich, was die Alten bereits von der Spiegelung der Glaskugeln und
Kugelausschnitte gesagt. Wenn er etwas von dem Seinigen hinzufügt, so
sind es wiederum unverständige Uebertreibungen, wie z. B. die Behauptung,
daß Cäsar vermöge solcher Glaskugeln von Gallien aus die Bewegungen
der Soldaten im Innern von England habe sehen können. Das zeigt, wie


<"lcnzbote" III, W60, 12

bereits vorher drei Schalttage ausgelassen hatte, so betrug die Abweichung
desselben von der astronomischen Zeit im Jahre 1167, als Bacon schrieb,
7 Tage 4 Stunden 43 Minuten 10 Sekunden. Das war namentlich seit den
Alfonsischen Tabellen ziemlich bekannt. Eine Berichtigung des Fehlers mußte
aber nur größere Verwirrung hervorbringen, wenn sie nicht in allen Ländern
gleichmäßig vorgenommen wurde. Kirchenversammlungen hatten daher ein¬
seitige Aenderungen ohne Zuthun des Papstes verboten. Unter solchen Um¬
ständen wagte es selbst Bacon nicht, sich dem Papste gegenüber als Entdecker
des Irrthums im Kalender zu rühmen. Im Gegentheile, er behauptet, daL
jeder Astronom und jeder gewöhnliche Kalendermacher (eomputists.) ihn ken¬
nen. Seine modernen Freunde und darunter der Herausgeber des vorliegenden
Wertes versichern uns dessen ungeachtet mir größester Zuversicht, daß Bacon
nach endlose» Berechnungen zuerst den Fehler des Kalenders entdeckt, während
die übrigen Gelehrten es nicht sahen, wie „Jahreszeiten und Kalender, gleich
den Zeigern einer Uhr, selten nach derselben Richtung wiesen". Welche Ueber¬
treibung! Im dreizehnten Jahrhundert oder ungefähr um die Zeit wurden
der Compaß, die Uhren, Brillen und Ferngläser in Europa bekannt. Bacon
hat aber keine dieser Erfindungen gemacht. Durch die Luft fliegen, aus dem
Grunde des Meeres umherwandeln. Heere und Städte mit einem kleinen In¬
strumente vernichten, Alles das schwebte seinem Geiste in phantastischem Lichte
vor. Aber die Mittel dazu aufzusuchen, sich in das Detail zu vertiefen, aus
dem das Ganze zusamniengescht werden muß, das war nicht seine Sache.
Er hätte fliegen mögen, ehe er gehen konnte. Hätte Bacon mehr Welttennt-
mß besessen, so wäre er vorzüglich dazu geeignet gewesen, andern, mühsam
und bescheiden arbeitenden Gelehrten ihre Entdeckungen und ihren Ruhm zu
entwenden. Selbst zu erfinden war er unfähig. Der Erfinder des Compasses
kann er schon darum nicht gewesen sein, weil derselbe erweislich vor ihm in
Gebrauch gewesen. Da bereits Saladin Kaiser Friedrich dem Zweiten eine
Uhr zum Geschenke gemacht, so ist es etwas mehr als unwahrscheinlich, daß
Bacon sie zuerst verfertigt. Es bleiben also nur die Brillen und Ferngläser
übrig. Optik war die Lieblingswissenschaft von Bacon. Er hat sich viel mit
ihr beschäftigt und spricht ost von ihr. Wenn wir indessen die Stellen S.
110 ff.. 116. 534 ff u. f. W. mit Plinius Hist. Rat. 126, 26, 127,
2 und mit Seneca Quant. Rat. 1, 5, 6 vergleichen, so finden wir, daß Bacon
auch in dieser Hinsicht aller Originalität entbehrt. Er wiederholt nur und
fast wörtlich, was die Alten bereits von der Spiegelung der Glaskugeln und
Kugelausschnitte gesagt. Wenn er etwas von dem Seinigen hinzufügt, so
sind es wiederum unverständige Uebertreibungen, wie z. B. die Behauptung,
daß Cäsar vermöge solcher Glaskugeln von Gallien aus die Bewegungen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/101>, abgerufen am 24.07.2024.