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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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den Topf (oUa,) in eine Vase (ampulla), das siedende Wasser in siedende Brühe
verwandelt, und daß er die Gründe übersieht, aus denen Albert die ganze
Theorie von der Erhitzung des Meeres verwirft. lBac. Op. Maj. S. 85;
Vinc. Spec. Rat. 5. 14; Alb. Mag. Meteor. 3. 16, Abumasar Jutrod. in
Astrol., Luna; Flores Astrol.. Luna cap. 4, 5.)

Diese Beispiele müssen uns genügen. Die Behauptungen von Bacon
sind also nicht ohne Weiteres als wahr hinzunehmen und seine Neuerungen
sind nicht gerade Verbesserungen. Die Anwendung auf Moral und Religion
ist selten glücklich. Wir müssen gestehen, daß wir es ihm gerne erließen, aus
Christ, den zwölf Aposteln und den 24 Aeltesten der Apocalypse "ein sehr
schönes Viereck" zu construiren. (S. 138) Wir können uns auch wenig Vortheil
davon versprechen, wenn Bacon die Untersuchungen von Aristoteles über das
Verhältniß von Ideen zum Raum auf die Engel anwendet und zum Resultate
kommt, daß dieselben "nicht theilbar" sind. (S. 168) Die Welt, erzählt uns
unser Autor im Compendium Philosophie, ist seit 40 Jahren ein allgemeines
Sündenmeer geworden, vom päpstlichen Hofe herunter bis zu den Kaufleuten
und Handwerkern, "die, wie sich das von selbst versteht, in jedem Worte und
in jeder That nichts als Betrug, Lüge und Falschheit üben." Dagegen gibts
nur ein Mittel, das Abendmahl. Denn beim Abendmahl essen u"d trinken
wir Christ, der nicht verdaut und in unsere Substanz verwandelt, sondern
unverändert unserem Korper zugefügt wird. Je mehr wir davon essen, desto
mehr werden wir christlich und göttlich. (S. 401)

Ein Mensch von so bedeutenden Talenten wie Bacon. der Aristoteles
und Seneca studirt, der die Werke vom H. Augustin kannte, der in persönlichem
Verkehr mit Adam de Marino u. A. gestanden hatte, mußte erst tief sinken,
ehe er sich in eine so cynische Ausfassung dessen, was er für heilig, hielt,
verlieren konnte. Sein Beispiel zeigt, daß wissenschaftliche Größe nicht allein
Verstand und Fleiß, sondern auch einen unverdorbenen Charakter voraussetzt.
Er selbst ist der Erste, diesen Satz anzuerkennen. "Wie der Mensch im Leben,
so ist er in der Wissenschaft," ist ein Lieblingsthema von ihm. Er vergißt
es nur. diese Wahrheit auf sich selbst anzuwenden. Solche große Persönlich¬
keiten mit verzerrten, aber starken und scharf ausgeprägten Zügen werden selten
in der Nähe geschätzt, finden indessen 'fast immer Anhänger in der Ferne.
So Bacon. Von seinen Zeitgenossen verhöhnt, hat er in späteren Jahrhun¬
derten eine Schaar von Lobrednern gefunden, die ihn grade wegen dessen,
was Entstellung war, preisen, und ihm einen Dienst zu erweisen glauben,
wenn sie seiue Fehler noch vergrößern. Sie haben ihm alles Wissen, alle
Erfindungen bis zu den Eisenbahnen und Dampfschiffen hin zugeschrieben.
Wir woHen hier nur an das Beispiel vom Kalender erinnern. Zur Zeit Ba-
cons war, wie bekannt, der Julianische Kalender im Gebrauch. Da man


den Topf (oUa,) in eine Vase (ampulla), das siedende Wasser in siedende Brühe
verwandelt, und daß er die Gründe übersieht, aus denen Albert die ganze
Theorie von der Erhitzung des Meeres verwirft. lBac. Op. Maj. S. 85;
Vinc. Spec. Rat. 5. 14; Alb. Mag. Meteor. 3. 16, Abumasar Jutrod. in
Astrol., Luna; Flores Astrol.. Luna cap. 4, 5.)

Diese Beispiele müssen uns genügen. Die Behauptungen von Bacon
sind also nicht ohne Weiteres als wahr hinzunehmen und seine Neuerungen
sind nicht gerade Verbesserungen. Die Anwendung auf Moral und Religion
ist selten glücklich. Wir müssen gestehen, daß wir es ihm gerne erließen, aus
Christ, den zwölf Aposteln und den 24 Aeltesten der Apocalypse „ein sehr
schönes Viereck" zu construiren. (S. 138) Wir können uns auch wenig Vortheil
davon versprechen, wenn Bacon die Untersuchungen von Aristoteles über das
Verhältniß von Ideen zum Raum auf die Engel anwendet und zum Resultate
kommt, daß dieselben „nicht theilbar" sind. (S. 168) Die Welt, erzählt uns
unser Autor im Compendium Philosophie, ist seit 40 Jahren ein allgemeines
Sündenmeer geworden, vom päpstlichen Hofe herunter bis zu den Kaufleuten
und Handwerkern, „die, wie sich das von selbst versteht, in jedem Worte und
in jeder That nichts als Betrug, Lüge und Falschheit üben." Dagegen gibts
nur ein Mittel, das Abendmahl. Denn beim Abendmahl essen u»d trinken
wir Christ, der nicht verdaut und in unsere Substanz verwandelt, sondern
unverändert unserem Korper zugefügt wird. Je mehr wir davon essen, desto
mehr werden wir christlich und göttlich. (S. 401)

Ein Mensch von so bedeutenden Talenten wie Bacon. der Aristoteles
und Seneca studirt, der die Werke vom H. Augustin kannte, der in persönlichem
Verkehr mit Adam de Marino u. A. gestanden hatte, mußte erst tief sinken,
ehe er sich in eine so cynische Ausfassung dessen, was er für heilig, hielt,
verlieren konnte. Sein Beispiel zeigt, daß wissenschaftliche Größe nicht allein
Verstand und Fleiß, sondern auch einen unverdorbenen Charakter voraussetzt.
Er selbst ist der Erste, diesen Satz anzuerkennen. „Wie der Mensch im Leben,
so ist er in der Wissenschaft," ist ein Lieblingsthema von ihm. Er vergißt
es nur. diese Wahrheit auf sich selbst anzuwenden. Solche große Persönlich¬
keiten mit verzerrten, aber starken und scharf ausgeprägten Zügen werden selten
in der Nähe geschätzt, finden indessen 'fast immer Anhänger in der Ferne.
So Bacon. Von seinen Zeitgenossen verhöhnt, hat er in späteren Jahrhun¬
derten eine Schaar von Lobrednern gefunden, die ihn grade wegen dessen,
was Entstellung war, preisen, und ihm einen Dienst zu erweisen glauben,
wenn sie seiue Fehler noch vergrößern. Sie haben ihm alles Wissen, alle
Erfindungen bis zu den Eisenbahnen und Dampfschiffen hin zugeschrieben.
Wir woHen hier nur an das Beispiel vom Kalender erinnern. Zur Zeit Ba-
cons war, wie bekannt, der Julianische Kalender im Gebrauch. Da man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/100>, abgerufen am 24.07.2024.