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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ein Kind geboren in des Mondes Stunde, heißt es ferner, wird unstet
in seine", Wandel, läßt sich niemand meistern, thut sich selbst leicht den Tod
an, hat selten Glück in zeitlichen Dingen; denn es mag seines Glücks nicht
erwarten, stirbt meist in jungen Jahren, hat dunkle Augen, schielt gewöhn¬
lich, wird oft krank, geht geduckt, ist kalter Natur, selten fröhlich. Es ist
wahrhaftig, wird leicht zornig, vergeht ihm aber bald, begehrt nicht fremdes
Gut, ist gern ein Kaufmann oder Schiffer, sein Angesicht ist bleich, es wird
zeitig grau und darf von Glück sagen, wenn es im Angesicht nicht ein Zeichen
überkommt.

Wieder eine andere Quelle, die sich genauer über die Sache verbreitet,
sagt folgendes: Der Mond thut uns von allen Gestirnen am meisten, beides
Uebles und Gutes, weil er uns am nächsten ist. Wer in der Zeit, wo der
Mond seinen Schein von der Sonne empfängt, geboren ist, es sei Mann oder
Weib, deß Angesicht wird voll sein, seine Farbe gibt gar lichten Schein, ge¬
mengt mit Farben roth und weiß; sein Haupt ist nicht zu groß, seine Stirn
weder zu kurz noch zu lang, sein Leichnam wohlgemacht und schlank, thut
alleweg den Leuten Gutes, gefällt jedermann vor andern Leuten, ist gesprächig,
witzig, gütig, seine Augen sind nicht sehr schwarz, seine Augenbrauen stoßen
über den Augen zusammen, er hat kleine Zehen an den Füßen u. s. w. Wer
im wachsenden Mond geboren wird, ist von schönem, lichtem, aber kleinem
Antlitz, bekommt nur einen kleinen Bart, geht gern müßig, reist gern über
Land und Meer, lebt gern von fremdem Brot und ist karg. Welche aber im
abnehmenden Mond geboren werden, die sind gewißlich Thoren, dieweil sie
leben, und wenn ihnen soll Weisheit Widersahren, so müssen sie sich zuweisen
und alten Leuten thun oder sie sind verdorben.

Damit hätten wir das Wesentlichste des Aberglaubens vom Monde zu¬
sammengestellt und können nun in der Kürze die Frage zu lösen versuchen, wie
viel davon Aberglaube, Uebertreibung, Willkür, Mißverständniß, Verkehrung
begründeter Thatsachen ist. Eine begründete Thatsache ist die bekannte, daß zur
Zeit der Svzygicn (Neumond und Vollmond) die Flut höher steigt, als wäh¬
rend der Viertel. Gewiß ist dann, daß der Mond Einfluß auf die wässrigen
Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am meisten regnet, wenn er bald voll
werden will, und wenn er der Erde am nächsten ist, daß es hingegen meist
heiteres Wetter gibt, wenn er bald neu werden will und von der Erde am
fernsten ist. Bewiesen ist ferner, daß der Mond auf die Bildung und Ver-
theilung der Wolken wirkt, daß er diese, namentlich bei Vollmond, wenn sie
am Horizont herausziehen, zertheilt, und daß er selbst in gewisser Beziehung
zu den Gewittern steht. Sicher ist sodann, daß sein Wechsel einen Druck auf
die Luft ausübt, von dem zwar das Barometer wenig, die Lunge der Men¬
schen nichts empfindet, den aber die Elfen und Luftgeister mit ihrer zarteren


Ein Kind geboren in des Mondes Stunde, heißt es ferner, wird unstet
in seine», Wandel, läßt sich niemand meistern, thut sich selbst leicht den Tod
an, hat selten Glück in zeitlichen Dingen; denn es mag seines Glücks nicht
erwarten, stirbt meist in jungen Jahren, hat dunkle Augen, schielt gewöhn¬
lich, wird oft krank, geht geduckt, ist kalter Natur, selten fröhlich. Es ist
wahrhaftig, wird leicht zornig, vergeht ihm aber bald, begehrt nicht fremdes
Gut, ist gern ein Kaufmann oder Schiffer, sein Angesicht ist bleich, es wird
zeitig grau und darf von Glück sagen, wenn es im Angesicht nicht ein Zeichen
überkommt.

Wieder eine andere Quelle, die sich genauer über die Sache verbreitet,
sagt folgendes: Der Mond thut uns von allen Gestirnen am meisten, beides
Uebles und Gutes, weil er uns am nächsten ist. Wer in der Zeit, wo der
Mond seinen Schein von der Sonne empfängt, geboren ist, es sei Mann oder
Weib, deß Angesicht wird voll sein, seine Farbe gibt gar lichten Schein, ge¬
mengt mit Farben roth und weiß; sein Haupt ist nicht zu groß, seine Stirn
weder zu kurz noch zu lang, sein Leichnam wohlgemacht und schlank, thut
alleweg den Leuten Gutes, gefällt jedermann vor andern Leuten, ist gesprächig,
witzig, gütig, seine Augen sind nicht sehr schwarz, seine Augenbrauen stoßen
über den Augen zusammen, er hat kleine Zehen an den Füßen u. s. w. Wer
im wachsenden Mond geboren wird, ist von schönem, lichtem, aber kleinem
Antlitz, bekommt nur einen kleinen Bart, geht gern müßig, reist gern über
Land und Meer, lebt gern von fremdem Brot und ist karg. Welche aber im
abnehmenden Mond geboren werden, die sind gewißlich Thoren, dieweil sie
leben, und wenn ihnen soll Weisheit Widersahren, so müssen sie sich zuweisen
und alten Leuten thun oder sie sind verdorben.

Damit hätten wir das Wesentlichste des Aberglaubens vom Monde zu¬
sammengestellt und können nun in der Kürze die Frage zu lösen versuchen, wie
viel davon Aberglaube, Uebertreibung, Willkür, Mißverständniß, Verkehrung
begründeter Thatsachen ist. Eine begründete Thatsache ist die bekannte, daß zur
Zeit der Svzygicn (Neumond und Vollmond) die Flut höher steigt, als wäh¬
rend der Viertel. Gewiß ist dann, daß der Mond Einfluß auf die wässrigen
Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am meisten regnet, wenn er bald voll
werden will, und wenn er der Erde am nächsten ist, daß es hingegen meist
heiteres Wetter gibt, wenn er bald neu werden will und von der Erde am
fernsten ist. Bewiesen ist ferner, daß der Mond auf die Bildung und Ver-
theilung der Wolken wirkt, daß er diese, namentlich bei Vollmond, wenn sie
am Horizont herausziehen, zertheilt, und daß er selbst in gewisser Beziehung
zu den Gewittern steht. Sicher ist sodann, daß sein Wechsel einen Druck auf
die Luft ausübt, von dem zwar das Barometer wenig, die Lunge der Men¬
schen nichts empfindet, den aber die Elfen und Luftgeister mit ihrer zarteren


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[0515] Ein Kind geboren in des Mondes Stunde, heißt es ferner, wird unstet in seine», Wandel, läßt sich niemand meistern, thut sich selbst leicht den Tod an, hat selten Glück in zeitlichen Dingen; denn es mag seines Glücks nicht erwarten, stirbt meist in jungen Jahren, hat dunkle Augen, schielt gewöhn¬ lich, wird oft krank, geht geduckt, ist kalter Natur, selten fröhlich. Es ist wahrhaftig, wird leicht zornig, vergeht ihm aber bald, begehrt nicht fremdes Gut, ist gern ein Kaufmann oder Schiffer, sein Angesicht ist bleich, es wird zeitig grau und darf von Glück sagen, wenn es im Angesicht nicht ein Zeichen überkommt. Wieder eine andere Quelle, die sich genauer über die Sache verbreitet, sagt folgendes: Der Mond thut uns von allen Gestirnen am meisten, beides Uebles und Gutes, weil er uns am nächsten ist. Wer in der Zeit, wo der Mond seinen Schein von der Sonne empfängt, geboren ist, es sei Mann oder Weib, deß Angesicht wird voll sein, seine Farbe gibt gar lichten Schein, ge¬ mengt mit Farben roth und weiß; sein Haupt ist nicht zu groß, seine Stirn weder zu kurz noch zu lang, sein Leichnam wohlgemacht und schlank, thut alleweg den Leuten Gutes, gefällt jedermann vor andern Leuten, ist gesprächig, witzig, gütig, seine Augen sind nicht sehr schwarz, seine Augenbrauen stoßen über den Augen zusammen, er hat kleine Zehen an den Füßen u. s. w. Wer im wachsenden Mond geboren wird, ist von schönem, lichtem, aber kleinem Antlitz, bekommt nur einen kleinen Bart, geht gern müßig, reist gern über Land und Meer, lebt gern von fremdem Brot und ist karg. Welche aber im abnehmenden Mond geboren werden, die sind gewißlich Thoren, dieweil sie leben, und wenn ihnen soll Weisheit Widersahren, so müssen sie sich zuweisen und alten Leuten thun oder sie sind verdorben. Damit hätten wir das Wesentlichste des Aberglaubens vom Monde zu¬ sammengestellt und können nun in der Kürze die Frage zu lösen versuchen, wie viel davon Aberglaube, Uebertreibung, Willkür, Mißverständniß, Verkehrung begründeter Thatsachen ist. Eine begründete Thatsache ist die bekannte, daß zur Zeit der Svzygicn (Neumond und Vollmond) die Flut höher steigt, als wäh¬ rend der Viertel. Gewiß ist dann, daß der Mond Einfluß auf die wässrigen Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am meisten regnet, wenn er bald voll werden will, und wenn er der Erde am nächsten ist, daß es hingegen meist heiteres Wetter gibt, wenn er bald neu werden will und von der Erde am fernsten ist. Bewiesen ist ferner, daß der Mond auf die Bildung und Ver- theilung der Wolken wirkt, daß er diese, namentlich bei Vollmond, wenn sie am Horizont herausziehen, zertheilt, und daß er selbst in gewisser Beziehung zu den Gewittern steht. Sicher ist sodann, daß sein Wechsel einen Druck auf die Luft ausübt, von dem zwar das Barometer wenig, die Lunge der Men¬ schen nichts empfindet, den aber die Elfen und Luftgeister mit ihrer zarteren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/515>, abgerufen am 23.07.2024.