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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Organisation unzweifelhaft spüren, indem sie leichter und schwerer athmen
werden. "Der Mond", sagt Fechner, dessen gründlichen Untersuchungen über
die Stellung des Erdtrabanten zu seiner Gebieterin wir hier folgen"), "ist der
Spielmann, der den Elfen mit leisem, nur von ihnen gehörten und gefühlten
Klang und Hauch zum Tanz auf dem grünen Plan aufspielt; wir sehen blos
sein goldnes Horn."

Falsch ist dagegen, daß der Volksglaube immer vom kalten Mond spricht.
Wenn die Nacht kalt ist, so kommt das nicht vom Monde, sondern von der
Erde. Nur ist die Wärme, die der Mond ausstrahlt, in demselben Maße ge¬
ringer als die der Sonne, in welchem sein Licht schwächer als das Sonnen¬
licht ist, und so erschöpft es sich schon in den Höhen unsrer Atmosphäre und
gelangt nicht zu dem Grunde des unsern Planeten umflutenden Luftmeers, wo
sich der Mensch mit seinem Gefühl und seinem Thermometer bewegt.

Nicht ganz ohne Grund ist, was von dem Einfluß des Mondes auf die
Gewächse geglaubt wird. Schübler fand nach 425jührigen Beobachtungen über
gute und schlechte Weinjahre in Würtemberg einen auffallenden Bezug derselben
zu der 19jährigen Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Haupt¬
punkte des synodischen Umlaufs überhaupt wieder nahe auf dieselben Tage
der einzelnen Monate fallen, zu der nahe damit zusammentreffenden Periode
der Mondsknoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstve.ständlich
wirkt der Mond auch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf
das Gedeihen der Trauben, und so wäre er denn nicht blos bei der Ebbe und
Flut des Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig.
Wer hätte gedacht, daß die keusche Luna mit Bachus dem Zecher eine geheime
Liebschaft hätte?

.Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht blos durch Luft und Meer,
er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich
das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser
Einwirkung. Es ist, als wenn es neben der Ebbe und Flut des Meeres,
auch eine Ebbe und Flut der festen Erdmasse gäbe. Wie die Meeresflut am
höchsten bei Vollmond und Neumond steigt, wächst auch die Häufigkeit der
Erdbeben in dem Maß, in welchem Neumond oder Vollmond heranrückt. Die
Erde hat zwei Meere, ein kaltes wässriges auf der Oberfläche und ein heißes,
aus geschmolzenem Gestein und Metall in ihrem Innern. Die feste Kruste
des Planeten lst nur wie eine dünne Eierschale zwischen beiden eingeschoben.
Wie, das Außenmeer ebbt und flutet, so auch das Innenmeer, und dann,
wenn die Flut des Ictztern am stärksten ist, drängt es am stärksten gegen jene
Schale, und das nennen wir Erdbeben. Allerdings treten diese nicht immer
zu den Zeiten ein, wo der Einfluß des Mondes auf die beiden Meere fern



") Schleiden und der Mond. Von G, Th, Fechner. Leipzig, Gumprecht, 1856.

Organisation unzweifelhaft spüren, indem sie leichter und schwerer athmen
werden. „Der Mond", sagt Fechner, dessen gründlichen Untersuchungen über
die Stellung des Erdtrabanten zu seiner Gebieterin wir hier folgen"), „ist der
Spielmann, der den Elfen mit leisem, nur von ihnen gehörten und gefühlten
Klang und Hauch zum Tanz auf dem grünen Plan aufspielt; wir sehen blos
sein goldnes Horn."

Falsch ist dagegen, daß der Volksglaube immer vom kalten Mond spricht.
Wenn die Nacht kalt ist, so kommt das nicht vom Monde, sondern von der
Erde. Nur ist die Wärme, die der Mond ausstrahlt, in demselben Maße ge¬
ringer als die der Sonne, in welchem sein Licht schwächer als das Sonnen¬
licht ist, und so erschöpft es sich schon in den Höhen unsrer Atmosphäre und
gelangt nicht zu dem Grunde des unsern Planeten umflutenden Luftmeers, wo
sich der Mensch mit seinem Gefühl und seinem Thermometer bewegt.

Nicht ganz ohne Grund ist, was von dem Einfluß des Mondes auf die
Gewächse geglaubt wird. Schübler fand nach 425jührigen Beobachtungen über
gute und schlechte Weinjahre in Würtemberg einen auffallenden Bezug derselben
zu der 19jährigen Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Haupt¬
punkte des synodischen Umlaufs überhaupt wieder nahe auf dieselben Tage
der einzelnen Monate fallen, zu der nahe damit zusammentreffenden Periode
der Mondsknoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstve.ständlich
wirkt der Mond auch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf
das Gedeihen der Trauben, und so wäre er denn nicht blos bei der Ebbe und
Flut des Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig.
Wer hätte gedacht, daß die keusche Luna mit Bachus dem Zecher eine geheime
Liebschaft hätte?

.Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht blos durch Luft und Meer,
er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich
das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser
Einwirkung. Es ist, als wenn es neben der Ebbe und Flut des Meeres,
auch eine Ebbe und Flut der festen Erdmasse gäbe. Wie die Meeresflut am
höchsten bei Vollmond und Neumond steigt, wächst auch die Häufigkeit der
Erdbeben in dem Maß, in welchem Neumond oder Vollmond heranrückt. Die
Erde hat zwei Meere, ein kaltes wässriges auf der Oberfläche und ein heißes,
aus geschmolzenem Gestein und Metall in ihrem Innern. Die feste Kruste
des Planeten lst nur wie eine dünne Eierschale zwischen beiden eingeschoben.
Wie, das Außenmeer ebbt und flutet, so auch das Innenmeer, und dann,
wenn die Flut des Ictztern am stärksten ist, drängt es am stärksten gegen jene
Schale, und das nennen wir Erdbeben. Allerdings treten diese nicht immer
zu den Zeiten ein, wo der Einfluß des Mondes auf die beiden Meere fern



") Schleiden und der Mond. Von G, Th, Fechner. Leipzig, Gumprecht, 1856.
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[0516] Organisation unzweifelhaft spüren, indem sie leichter und schwerer athmen werden. „Der Mond", sagt Fechner, dessen gründlichen Untersuchungen über die Stellung des Erdtrabanten zu seiner Gebieterin wir hier folgen"), „ist der Spielmann, der den Elfen mit leisem, nur von ihnen gehörten und gefühlten Klang und Hauch zum Tanz auf dem grünen Plan aufspielt; wir sehen blos sein goldnes Horn." Falsch ist dagegen, daß der Volksglaube immer vom kalten Mond spricht. Wenn die Nacht kalt ist, so kommt das nicht vom Monde, sondern von der Erde. Nur ist die Wärme, die der Mond ausstrahlt, in demselben Maße ge¬ ringer als die der Sonne, in welchem sein Licht schwächer als das Sonnen¬ licht ist, und so erschöpft es sich schon in den Höhen unsrer Atmosphäre und gelangt nicht zu dem Grunde des unsern Planeten umflutenden Luftmeers, wo sich der Mensch mit seinem Gefühl und seinem Thermometer bewegt. Nicht ganz ohne Grund ist, was von dem Einfluß des Mondes auf die Gewächse geglaubt wird. Schübler fand nach 425jührigen Beobachtungen über gute und schlechte Weinjahre in Würtemberg einen auffallenden Bezug derselben zu der 19jährigen Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Haupt¬ punkte des synodischen Umlaufs überhaupt wieder nahe auf dieselben Tage der einzelnen Monate fallen, zu der nahe damit zusammentreffenden Periode der Mondsknoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstve.ständlich wirkt der Mond auch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf das Gedeihen der Trauben, und so wäre er denn nicht blos bei der Ebbe und Flut des Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig. Wer hätte gedacht, daß die keusche Luna mit Bachus dem Zecher eine geheime Liebschaft hätte? .Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht blos durch Luft und Meer, er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser Einwirkung. Es ist, als wenn es neben der Ebbe und Flut des Meeres, auch eine Ebbe und Flut der festen Erdmasse gäbe. Wie die Meeresflut am höchsten bei Vollmond und Neumond steigt, wächst auch die Häufigkeit der Erdbeben in dem Maß, in welchem Neumond oder Vollmond heranrückt. Die Erde hat zwei Meere, ein kaltes wässriges auf der Oberfläche und ein heißes, aus geschmolzenem Gestein und Metall in ihrem Innern. Die feste Kruste des Planeten lst nur wie eine dünne Eierschale zwischen beiden eingeschoben. Wie, das Außenmeer ebbt und flutet, so auch das Innenmeer, und dann, wenn die Flut des Ictztern am stärksten ist, drängt es am stärksten gegen jene Schale, und das nennen wir Erdbeben. Allerdings treten diese nicht immer zu den Zeiten ein, wo der Einfluß des Mondes auf die beiden Meere fern ") Schleiden und der Mond. Von G, Th, Fechner. Leipzig, Gumprecht, 1856.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/516>, abgerufen am 23.07.2024.