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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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merkte, sehr wichtig sei gegenwärtig eine Beachtung der Zustände in Venetien
und der dort allenfalls zu erwartenden Bewegung, wenn die Herzogthümer
erst zur Abstimmung aufgefordert werden. Sollte sich Sardinien in eine der¬
artige Bewegung einmischen, so könnte das Ergebniß für den Frieden Euro¬
pas gefährlich werden, und ein blutiger Conflict entstehn. -- Ich erwiderte,
daß Ew. Lordschaft der sardinischen Negierung die Nothwendigkeit ans Herz
gelegt haben, keinen Schritt in der Annexationöfrage vor Einberufung der
Versammlungen zu thun und allen.Versuchen zu Ruhestörungen im Venctinni-
sehen entgegen zu wirken; ferner daß Ihrer Maj, Regierung Bestreben dahin
gehe, eine friedliche Lösung der italienischen Wirren zu vermitteln und daß
sie, im Falle des Gelingens ihrer gegenwärtigen Bemühungen, wol mit gutem
Recht erwarten dürfte, daß Preußen der eventuellen neuen Ordnung in Ita¬
lien seine Anerkennung nicht versagen werde. -- Baron Schleinitz wollte der
britischen Regierung für ihre Bemühung gern volle Anerkennung gezollt
wissen, doch könne er nicht bestimmen, wie der Prinz-Regent betreffs der zu
treffenden Arrangements denken werde. Er gab mir zu verstehen, daß Preu¬
ßens Politik vom Gange der Ereignisse abhängen müsse, und sagte Nichts,
das zu der Vermuthung führen könnte, daß, wofern Oestreich in seine" vere
tianischen Besitzungen unangefochten gelassen würde, Preußen schließlich einer
Gebietsvergrößerung Sardiniens seine Anerkennung versagen dürste . . .
Se. Exc. mag wol glauben, daß das von Ihrer Maj. Regierung vorgeschlagene
Arrangement für die Verhältnisse Cement-Italiens passen und zu einer fried¬
lichen Lösung führen könne, aber er verhehlt nicht seine Mißbilligung des
Princips, die Bevölkerung der italienischen Herzogthümer zur Enscheidung
über ihren zukünftigen Monarchen aufzufordern, und ich darf wol hinzufügen,
daß Preußens Mißbilligung noch entschiedener sein würde, wenn von allge¬
meinem Stimmrecht in dieser Frage die Rede sein sollte.".

Lord Bloomsield an Russell, 3. März. -- "Baron Schleinitz benachrich¬
tigte mich, er habe einen Besuch, den ihm der Fürst de la Tour d'Anveigne
heute früh abstattete, dazu benutzt, um auf die vorgeschlagene Einverleibung
von Savoyen und Nizza anzuspielen. Se. Exc. scheint dem französischen Ge¬
sandten gesagt zu haben, daß es in Deutschland nur eine Meinung entschie¬
denen Widerstandes gegen das Project gebe, daß Preußen sich bisher auf die
kaiserlichen Versicherungen des nach Beendigung des Krieges in Mailand ver¬
öffentlichten Manifestes verlassen habe, in welchem jeder Vergrößerungsgcdanke
abgelehnt worden war; daß er aber jetzt, da die Sache in der Thronrede des
Kaisers Erwähnung fand, nicht länger schweigen könne, und daß er vertrauens¬
voll hoffe, es werde ohne vorgängige Erörterung der Großmächte kein Schritt
weiter in dieser Angelegenheit geschehen. -- Baron Schleinitz scheint auch dem
französischen Gesandten bemerkt zu haben, daß die gegenwärtige Negierung


merkte, sehr wichtig sei gegenwärtig eine Beachtung der Zustände in Venetien
und der dort allenfalls zu erwartenden Bewegung, wenn die Herzogthümer
erst zur Abstimmung aufgefordert werden. Sollte sich Sardinien in eine der¬
artige Bewegung einmischen, so könnte das Ergebniß für den Frieden Euro¬
pas gefährlich werden, und ein blutiger Conflict entstehn. — Ich erwiderte,
daß Ew. Lordschaft der sardinischen Negierung die Nothwendigkeit ans Herz
gelegt haben, keinen Schritt in der Annexationöfrage vor Einberufung der
Versammlungen zu thun und allen.Versuchen zu Ruhestörungen im Venctinni-
sehen entgegen zu wirken; ferner daß Ihrer Maj, Regierung Bestreben dahin
gehe, eine friedliche Lösung der italienischen Wirren zu vermitteln und daß
sie, im Falle des Gelingens ihrer gegenwärtigen Bemühungen, wol mit gutem
Recht erwarten dürfte, daß Preußen der eventuellen neuen Ordnung in Ita¬
lien seine Anerkennung nicht versagen werde. — Baron Schleinitz wollte der
britischen Regierung für ihre Bemühung gern volle Anerkennung gezollt
wissen, doch könne er nicht bestimmen, wie der Prinz-Regent betreffs der zu
treffenden Arrangements denken werde. Er gab mir zu verstehen, daß Preu¬
ßens Politik vom Gange der Ereignisse abhängen müsse, und sagte Nichts,
das zu der Vermuthung führen könnte, daß, wofern Oestreich in seine» vere
tianischen Besitzungen unangefochten gelassen würde, Preußen schließlich einer
Gebietsvergrößerung Sardiniens seine Anerkennung versagen dürste . . .
Se. Exc. mag wol glauben, daß das von Ihrer Maj. Regierung vorgeschlagene
Arrangement für die Verhältnisse Cement-Italiens passen und zu einer fried¬
lichen Lösung führen könne, aber er verhehlt nicht seine Mißbilligung des
Princips, die Bevölkerung der italienischen Herzogthümer zur Enscheidung
über ihren zukünftigen Monarchen aufzufordern, und ich darf wol hinzufügen,
daß Preußens Mißbilligung noch entschiedener sein würde, wenn von allge¬
meinem Stimmrecht in dieser Frage die Rede sein sollte.".

Lord Bloomsield an Russell, 3. März. — „Baron Schleinitz benachrich¬
tigte mich, er habe einen Besuch, den ihm der Fürst de la Tour d'Anveigne
heute früh abstattete, dazu benutzt, um auf die vorgeschlagene Einverleibung
von Savoyen und Nizza anzuspielen. Se. Exc. scheint dem französischen Ge¬
sandten gesagt zu haben, daß es in Deutschland nur eine Meinung entschie¬
denen Widerstandes gegen das Project gebe, daß Preußen sich bisher auf die
kaiserlichen Versicherungen des nach Beendigung des Krieges in Mailand ver¬
öffentlichten Manifestes verlassen habe, in welchem jeder Vergrößerungsgcdanke
abgelehnt worden war; daß er aber jetzt, da die Sache in der Thronrede des
Kaisers Erwähnung fand, nicht länger schweigen könne, und daß er vertrauens¬
voll hoffe, es werde ohne vorgängige Erörterung der Großmächte kein Schritt
weiter in dieser Angelegenheit geschehen. — Baron Schleinitz scheint auch dem
französischen Gesandten bemerkt zu haben, daß die gegenwärtige Negierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/496>, abgerufen am 23.07.2024.