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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Preußens es war, welche die in ganz Deutschland während des letzten Krieges
aufgeregten Gefüllte beruhigte, und zwar aus Kosten ihrer Popularität, und
daß aus ihrem bisherigen Stillschweigen nicht aus ihre Gleichgültigkeit betreffs
Savoyens geschlossen werden dürfe, denn sie würde diese Einverleibung mit
dem größten Mißtrauen ansehen. Se. Excellenz bemerkte ferner, es sei einiger¬
maßen sür ihn überraschend, daß von Seiten der französischen Gesandtschaft
an diesem Hofe bis jetzt noch gar keine Anspielung aus die Savoyische Frage
gemacht worden sei; es sei eine europäische Frage, die bereits ernste Dimen¬
sionen angenommen habe, ohne daß bisher Preußen die geringste Mittheilung
darüber gemacht worden wäre. Darauf hat der Fürst de la Tour d'Auvergne
geantwortet, die französische Regierung kenne das in Deutschland herrschende
Gefühl sehr wohl, und dies sei, wie er glaube, der Grund gewesen, weshalb
man die Sache so schwer angriff, und weshalb die französische Regierung eine
Erörterung des Gegenstandes vermied. -- Bevor ich von Baron Schleinitz
Abschied nahm, sagte mir Se. Exe., die Politik Preußens sei der Einverleibung
entschieden entgegen, und seiner Meinung zufolge sollte Frankreich auf alle
Fälle hin aufgefordert werden, keinen Schritt weiter in der Sache zu thun,
bevor nicht eine Konferenz gehalten würde."

Die Sache spricht für sich selbst, sie bedarf kaum eines Commentars.
Psychologisch am merkwürdigsten ist die Klage des Hrn. v. Schleinitz über die
Unpvpularität, die sich Preußen wegen seiner friedfertigen Haltung zugezogen.
Diese Vorstellung scheint ihn sehr lebhast zu beschäftigen: schon im vorigen
Jahr sprach er sich im preußischen Landtag sehr schmerzlich über diese Unpvpu¬
larität aus, ja er ging so weit, zu seinem eignen Schaden, in bloßen Kanne-
gießereien und perfiden Schmähungen eine tiefe moralische Berechtigung zu
suchen. Diese Empfindlichkeit einer blos ideellen Macht gegenüber ist sehr
bezeichnend für einen Staatsmann. Die Popularität ist, je nach den Umständen,
sehr viel oder auch nichts; sie ist sehr viel für den, der ihr den richtigen Stoß
zu geben, und sie rasch entschlossen auszubeuten versteht; sie ist nichts für den,
der sich von ihr leiten, sich gewissermaßen von ihr die Hände binden läßt.
Der rechte Nationalwille, stets ein sehr ernstes, ja in letzter Instanz vielleicht
entscheidendes Moment, äußert sich nicht so einfach in dieser oberflächlichen
Form der Popularität, und es ist sehr schlimm, wenn man "zu bcifallslüstern
ist, um ihn zu verachten" und doch wieder zu vornehm, um ihn zu verstehen.
Es sind in dem letzten halben Jahr große Kundgebungen der öffentlichen
Meinung für Preußen erfolgt; aber wenn man sich damit begnügt, an den¬
selben eine stille Freude zu haben, so wird es bald damit zu Ende sein.

Wie Preußen mit den übrigen Mächten stand, namentlich mit Oestreich
und den deutschen Mittelstaaten, war schon früher allgemein bekannt, die oben
erwähnte Correspondenz läßt uns einen tiefen, aber nur zu traurigen Blick in


Preußens es war, welche die in ganz Deutschland während des letzten Krieges
aufgeregten Gefüllte beruhigte, und zwar aus Kosten ihrer Popularität, und
daß aus ihrem bisherigen Stillschweigen nicht aus ihre Gleichgültigkeit betreffs
Savoyens geschlossen werden dürfe, denn sie würde diese Einverleibung mit
dem größten Mißtrauen ansehen. Se. Excellenz bemerkte ferner, es sei einiger¬
maßen sür ihn überraschend, daß von Seiten der französischen Gesandtschaft
an diesem Hofe bis jetzt noch gar keine Anspielung aus die Savoyische Frage
gemacht worden sei; es sei eine europäische Frage, die bereits ernste Dimen¬
sionen angenommen habe, ohne daß bisher Preußen die geringste Mittheilung
darüber gemacht worden wäre. Darauf hat der Fürst de la Tour d'Auvergne
geantwortet, die französische Regierung kenne das in Deutschland herrschende
Gefühl sehr wohl, und dies sei, wie er glaube, der Grund gewesen, weshalb
man die Sache so schwer angriff, und weshalb die französische Regierung eine
Erörterung des Gegenstandes vermied. — Bevor ich von Baron Schleinitz
Abschied nahm, sagte mir Se. Exe., die Politik Preußens sei der Einverleibung
entschieden entgegen, und seiner Meinung zufolge sollte Frankreich auf alle
Fälle hin aufgefordert werden, keinen Schritt weiter in der Sache zu thun,
bevor nicht eine Konferenz gehalten würde."

Die Sache spricht für sich selbst, sie bedarf kaum eines Commentars.
Psychologisch am merkwürdigsten ist die Klage des Hrn. v. Schleinitz über die
Unpvpularität, die sich Preußen wegen seiner friedfertigen Haltung zugezogen.
Diese Vorstellung scheint ihn sehr lebhast zu beschäftigen: schon im vorigen
Jahr sprach er sich im preußischen Landtag sehr schmerzlich über diese Unpvpu¬
larität aus, ja er ging so weit, zu seinem eignen Schaden, in bloßen Kanne-
gießereien und perfiden Schmähungen eine tiefe moralische Berechtigung zu
suchen. Diese Empfindlichkeit einer blos ideellen Macht gegenüber ist sehr
bezeichnend für einen Staatsmann. Die Popularität ist, je nach den Umständen,
sehr viel oder auch nichts; sie ist sehr viel für den, der ihr den richtigen Stoß
zu geben, und sie rasch entschlossen auszubeuten versteht; sie ist nichts für den,
der sich von ihr leiten, sich gewissermaßen von ihr die Hände binden läßt.
Der rechte Nationalwille, stets ein sehr ernstes, ja in letzter Instanz vielleicht
entscheidendes Moment, äußert sich nicht so einfach in dieser oberflächlichen
Form der Popularität, und es ist sehr schlimm, wenn man „zu bcifallslüstern
ist, um ihn zu verachten" und doch wieder zu vornehm, um ihn zu verstehen.
Es sind in dem letzten halben Jahr große Kundgebungen der öffentlichen
Meinung für Preußen erfolgt; aber wenn man sich damit begnügt, an den¬
selben eine stille Freude zu haben, so wird es bald damit zu Ende sein.

Wie Preußen mit den übrigen Mächten stand, namentlich mit Oestreich
und den deutschen Mittelstaaten, war schon früher allgemein bekannt, die oben
erwähnte Correspondenz läßt uns einen tiefen, aber nur zu traurigen Blick in


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[0497] Preußens es war, welche die in ganz Deutschland während des letzten Krieges aufgeregten Gefüllte beruhigte, und zwar aus Kosten ihrer Popularität, und daß aus ihrem bisherigen Stillschweigen nicht aus ihre Gleichgültigkeit betreffs Savoyens geschlossen werden dürfe, denn sie würde diese Einverleibung mit dem größten Mißtrauen ansehen. Se. Excellenz bemerkte ferner, es sei einiger¬ maßen sür ihn überraschend, daß von Seiten der französischen Gesandtschaft an diesem Hofe bis jetzt noch gar keine Anspielung aus die Savoyische Frage gemacht worden sei; es sei eine europäische Frage, die bereits ernste Dimen¬ sionen angenommen habe, ohne daß bisher Preußen die geringste Mittheilung darüber gemacht worden wäre. Darauf hat der Fürst de la Tour d'Auvergne geantwortet, die französische Regierung kenne das in Deutschland herrschende Gefühl sehr wohl, und dies sei, wie er glaube, der Grund gewesen, weshalb man die Sache so schwer angriff, und weshalb die französische Regierung eine Erörterung des Gegenstandes vermied. — Bevor ich von Baron Schleinitz Abschied nahm, sagte mir Se. Exe., die Politik Preußens sei der Einverleibung entschieden entgegen, und seiner Meinung zufolge sollte Frankreich auf alle Fälle hin aufgefordert werden, keinen Schritt weiter in der Sache zu thun, bevor nicht eine Konferenz gehalten würde." Die Sache spricht für sich selbst, sie bedarf kaum eines Commentars. Psychologisch am merkwürdigsten ist die Klage des Hrn. v. Schleinitz über die Unpvpularität, die sich Preußen wegen seiner friedfertigen Haltung zugezogen. Diese Vorstellung scheint ihn sehr lebhast zu beschäftigen: schon im vorigen Jahr sprach er sich im preußischen Landtag sehr schmerzlich über diese Unpvpu¬ larität aus, ja er ging so weit, zu seinem eignen Schaden, in bloßen Kanne- gießereien und perfiden Schmähungen eine tiefe moralische Berechtigung zu suchen. Diese Empfindlichkeit einer blos ideellen Macht gegenüber ist sehr bezeichnend für einen Staatsmann. Die Popularität ist, je nach den Umständen, sehr viel oder auch nichts; sie ist sehr viel für den, der ihr den richtigen Stoß zu geben, und sie rasch entschlossen auszubeuten versteht; sie ist nichts für den, der sich von ihr leiten, sich gewissermaßen von ihr die Hände binden läßt. Der rechte Nationalwille, stets ein sehr ernstes, ja in letzter Instanz vielleicht entscheidendes Moment, äußert sich nicht so einfach in dieser oberflächlichen Form der Popularität, und es ist sehr schlimm, wenn man „zu bcifallslüstern ist, um ihn zu verachten" und doch wieder zu vornehm, um ihn zu verstehen. Es sind in dem letzten halben Jahr große Kundgebungen der öffentlichen Meinung für Preußen erfolgt; aber wenn man sich damit begnügt, an den¬ selben eine stille Freude zu haben, so wird es bald damit zu Ende sein. Wie Preußen mit den übrigen Mächten stand, namentlich mit Oestreich und den deutschen Mittelstaaten, war schon früher allgemein bekannt, die oben erwähnte Correspondenz läßt uns einen tiefen, aber nur zu traurigen Blick in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/497>, abgerufen am 23.07.2024.