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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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von Verona sich bitter beklagt, daß Oestreich von England, seinem ältesten
und natürlichsten Bundesgenossen verlassen sei. Der Gesandte entgegnet, es
könne nicht wol von "verlassen" die Rede sein, da seine Negierung niemals
Hoffnung auf Unterstützung gemacht, vielmehr den Krieg dringend widerrathen
habe, worauf der Minister ärgerlich erwidert, Oestreich brauche keinen Nath
von fremden Regierungen. Eine ziemlich bestimmte Antwort Lord John Nnssells
auf diese Anschuldigungen kann nicht beitragen, die Stimmung zu verbessern.
Als nun Mr. Falte, der englische Geschäftsträger, später eine Depesche vorliest,
worin Oestreich zugemuthet wird, der Lehre der Nichtintervention beizustimmen,
tritt Graf Rechberg in seiner malitiösen Weise in einer sehr gewandt geschrie¬
benen Depesche vom 25. August dieser Auffassung heftig entgegen: I^o. iron-
intorveirtion n, rroti-e avis n'est, xas un xi-meixv, mais uir torno öxxrimg.ut
ig, llvMtiou ä'un LiwzM kalt. Dagegen anerkenne das Völkerrecht das Jnter-
ventivnsrecht in zwei Fällen, wenn nämlich die rechtmäßige Regierung eines
Landes selbst die bewaffnete Intervention fordre, und wenn in einem Staate
solche Anarchie herrsche, daß die Sicherheit der Nachbarstaaten bedroht sei. Eine
solche Gefährdung leugne nun zwar Lord John Russell im vorliegenden Falle
für Oestreich, übersehe dabei aber vollständig die Heimfallsrechte des Kaiser¬
hauses auf Toscana, Parma und Modena, welche doch England als Unterzeichner
der wiener Verträge garantirt habe. Er übersehe ferner, indem er gegen eine
östreichische Intervention in Italien Protestire, daß Oestreich italienische Macht
geblieben sei. Was den ausgesprochenen Grundsatz über den Volkswillen be¬
treffe, so müsse er zuerst leugnen, daß sich derselbe in den Herzogthümern, die
von revolutionären Regierungen und sardinischen Emissären terrorisirt würden,
habe frei aussprechen können; der Grundsatz aber, daß jedes Volk das Recht
habe, seine Regierung zu wählen und zu organisiren, folglich auch diejenige
umzustoßen, welche es den Tag zuvor-aufgerichtet, sei zu gefährlich und un¬
zulässig. Ob etwa Lord John Russell ihn aus die jonischen Inseln, die noch
kürzlich die Vereinigung mit Griechenland verlangt oder aus Ostindien an¬
wenden wolle, "on l'om'nion An xvu^le s'ost eueors iLevinmöirt MAniföLtLL
Avec An" dazuo MrticuIiML." Man müsse glauben, Großbritannien
habe zwei verschiedene Maße für sich und für andere. -- Diese Antwort setzt
Lord John natürlich in eine gewisse Aufregung, und er replicirt, Graf Rech¬
berg habe seinen Grundsatz verdreht, er habe nie einer bestehenden Regierung
das Recht bestritten, eine Revolution in ihrem Lande zu unterdrücken, z. B.
dem Großherzog von Toscana in Florenz oder Oestreich in Ungarn. Der Fall
der jonischen Inseln erheische besondre Erörterung, da England das Protecto-
rat ans Wunsch der europäischen Mächte übernommen. , Die Hcimfallsrechte
auf Parma, Modena und Toscana habe England nicht garantirt, Rechte, die
durch die wiener Verträge erworben oder bestätigt seien ohne besonders ga-


von Verona sich bitter beklagt, daß Oestreich von England, seinem ältesten
und natürlichsten Bundesgenossen verlassen sei. Der Gesandte entgegnet, es
könne nicht wol von „verlassen" die Rede sein, da seine Negierung niemals
Hoffnung auf Unterstützung gemacht, vielmehr den Krieg dringend widerrathen
habe, worauf der Minister ärgerlich erwidert, Oestreich brauche keinen Nath
von fremden Regierungen. Eine ziemlich bestimmte Antwort Lord John Nnssells
auf diese Anschuldigungen kann nicht beitragen, die Stimmung zu verbessern.
Als nun Mr. Falte, der englische Geschäftsträger, später eine Depesche vorliest,
worin Oestreich zugemuthet wird, der Lehre der Nichtintervention beizustimmen,
tritt Graf Rechberg in seiner malitiösen Weise in einer sehr gewandt geschrie¬
benen Depesche vom 25. August dieser Auffassung heftig entgegen: I^o. iron-
intorveirtion n, rroti-e avis n'est, xas un xi-meixv, mais uir torno öxxrimg.ut
ig, llvMtiou ä'un LiwzM kalt. Dagegen anerkenne das Völkerrecht das Jnter-
ventivnsrecht in zwei Fällen, wenn nämlich die rechtmäßige Regierung eines
Landes selbst die bewaffnete Intervention fordre, und wenn in einem Staate
solche Anarchie herrsche, daß die Sicherheit der Nachbarstaaten bedroht sei. Eine
solche Gefährdung leugne nun zwar Lord John Russell im vorliegenden Falle
für Oestreich, übersehe dabei aber vollständig die Heimfallsrechte des Kaiser¬
hauses auf Toscana, Parma und Modena, welche doch England als Unterzeichner
der wiener Verträge garantirt habe. Er übersehe ferner, indem er gegen eine
östreichische Intervention in Italien Protestire, daß Oestreich italienische Macht
geblieben sei. Was den ausgesprochenen Grundsatz über den Volkswillen be¬
treffe, so müsse er zuerst leugnen, daß sich derselbe in den Herzogthümern, die
von revolutionären Regierungen und sardinischen Emissären terrorisirt würden,
habe frei aussprechen können; der Grundsatz aber, daß jedes Volk das Recht
habe, seine Regierung zu wählen und zu organisiren, folglich auch diejenige
umzustoßen, welche es den Tag zuvor-aufgerichtet, sei zu gefährlich und un¬
zulässig. Ob etwa Lord John Russell ihn aus die jonischen Inseln, die noch
kürzlich die Vereinigung mit Griechenland verlangt oder aus Ostindien an¬
wenden wolle, „on l'om'nion An xvu^le s'ost eueors iLevinmöirt MAniföLtLL
Avec An« dazuo MrticuIiML." Man müsse glauben, Großbritannien
habe zwei verschiedene Maße für sich und für andere. — Diese Antwort setzt
Lord John natürlich in eine gewisse Aufregung, und er replicirt, Graf Rech¬
berg habe seinen Grundsatz verdreht, er habe nie einer bestehenden Regierung
das Recht bestritten, eine Revolution in ihrem Lande zu unterdrücken, z. B.
dem Großherzog von Toscana in Florenz oder Oestreich in Ungarn. Der Fall
der jonischen Inseln erheische besondre Erörterung, da England das Protecto-
rat ans Wunsch der europäischen Mächte übernommen. , Die Hcimfallsrechte
auf Parma, Modena und Toscana habe England nicht garantirt, Rechte, die
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[0417] von Verona sich bitter beklagt, daß Oestreich von England, seinem ältesten und natürlichsten Bundesgenossen verlassen sei. Der Gesandte entgegnet, es könne nicht wol von „verlassen" die Rede sein, da seine Negierung niemals Hoffnung auf Unterstützung gemacht, vielmehr den Krieg dringend widerrathen habe, worauf der Minister ärgerlich erwidert, Oestreich brauche keinen Nath von fremden Regierungen. Eine ziemlich bestimmte Antwort Lord John Nnssells auf diese Anschuldigungen kann nicht beitragen, die Stimmung zu verbessern. Als nun Mr. Falte, der englische Geschäftsträger, später eine Depesche vorliest, worin Oestreich zugemuthet wird, der Lehre der Nichtintervention beizustimmen, tritt Graf Rechberg in seiner malitiösen Weise in einer sehr gewandt geschrie¬ benen Depesche vom 25. August dieser Auffassung heftig entgegen: I^o. iron- intorveirtion n, rroti-e avis n'est, xas un xi-meixv, mais uir torno öxxrimg.ut ig, llvMtiou ä'un LiwzM kalt. Dagegen anerkenne das Völkerrecht das Jnter- ventivnsrecht in zwei Fällen, wenn nämlich die rechtmäßige Regierung eines Landes selbst die bewaffnete Intervention fordre, und wenn in einem Staate solche Anarchie herrsche, daß die Sicherheit der Nachbarstaaten bedroht sei. Eine solche Gefährdung leugne nun zwar Lord John Russell im vorliegenden Falle für Oestreich, übersehe dabei aber vollständig die Heimfallsrechte des Kaiser¬ hauses auf Toscana, Parma und Modena, welche doch England als Unterzeichner der wiener Verträge garantirt habe. Er übersehe ferner, indem er gegen eine östreichische Intervention in Italien Protestire, daß Oestreich italienische Macht geblieben sei. Was den ausgesprochenen Grundsatz über den Volkswillen be¬ treffe, so müsse er zuerst leugnen, daß sich derselbe in den Herzogthümern, die von revolutionären Regierungen und sardinischen Emissären terrorisirt würden, habe frei aussprechen können; der Grundsatz aber, daß jedes Volk das Recht habe, seine Regierung zu wählen und zu organisiren, folglich auch diejenige umzustoßen, welche es den Tag zuvor-aufgerichtet, sei zu gefährlich und un¬ zulässig. Ob etwa Lord John Russell ihn aus die jonischen Inseln, die noch kürzlich die Vereinigung mit Griechenland verlangt oder aus Ostindien an¬ wenden wolle, „on l'om'nion An xvu^le s'ost eueors iLevinmöirt MAniföLtLL Avec An« dazuo MrticuIiML." Man müsse glauben, Großbritannien habe zwei verschiedene Maße für sich und für andere. — Diese Antwort setzt Lord John natürlich in eine gewisse Aufregung, und er replicirt, Graf Rech¬ berg habe seinen Grundsatz verdreht, er habe nie einer bestehenden Regierung das Recht bestritten, eine Revolution in ihrem Lande zu unterdrücken, z. B. dem Großherzog von Toscana in Florenz oder Oestreich in Ungarn. Der Fall der jonischen Inseln erheische besondre Erörterung, da England das Protecto- rat ans Wunsch der europäischen Mächte übernommen. , Die Hcimfallsrechte auf Parma, Modena und Toscana habe England nicht garantirt, Rechte, die durch die wiener Verträge erworben oder bestätigt seien ohne besonders ga-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/417>, abgerufen am 23.07.2024.