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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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tcintirt zu sein, gäben Großbritannien als vertragendem Theile ein Recht zur
Einsprache, aber verpflichteten es nicht dazu. So sei die Souveränität Krakaus
durch die wiener Verträge gesichert, sie sei vernichtet und das Gebiet Oestreich
annectirt, aber die englische Regierung, obwol sie dies für eine offne Verletzung
der Verträge hielt, erachtet'sich nicht für gebunden, Krakaus Unabhängigkeit
mit den Waffen zu vertheidigen. Ebenso sei es in dem Falle mit Holland
und Belgien gewesen, gegen die Trennung sei keine Großmacht aufgetreten,
aber als man in Brüssel den Herzog von Nemours gewählt hätte, sei Veto
eingelegt.

In der Ansicht, daß eine Restauration der vertriebenen Fürsten unmög¬
lich sei, wird Lord John Russell bestärkt durch die Briefe seines Gesandten
in Florenz, der meldet, daß überall Ruhe und Ordnung herrsche, daß die er¬
sten Namen des Adels und des Bürgerthums an der Spitze der gegenwärtigen
Ordnung der Dinge stehen und daß schon dies den Fürsten unmöglich mache
wieder zu regieren, selbst wenn sie durch ein Wunder wieder zurückgeführt
würden, indem alle politischen Männer compromittirt seien. Nachdem sich
nun die Versammlungen der Herzogthümer ausdrücklich für die Ausschließung
der bisherigen Dynastien und die Annexion an Sardinien ausgesprochen und
zwar, wie die englischen Agenten in Italien melden, ohne den leisesten Zwang,
erklärt Lord I. Russell in einer Depesche v. 2V. Novbr. an Lord Cooley offen,
daß er die Annexion für die beste Losung hält, die England mit Freuden
verwirklicht sehen würde. Da aber Oestreich und auch Frankreich sich dem
widersetzen, so schlage er vor, Vergrößerung Sardiniens durch Parma, Pia-
cenza und Massa-Carrara, Errichtung eines selbstständigen Staates aus Tos-
cana und Modena. welche sich einen Fürsten wählen sollen, der nicht einer
der Familien der fünf Großmächte angehört. -- Graf Walcwski stimmt dem
erstem zu, sagt aber, daß Frankreich Toscana und Modena die Wiederauf¬
nahme ihrer Souveräne empfehlen müsse und dies auch dem Congreß vor¬
schlagen werde. Lord Cooley erwiderte, warum denn die Wünsche Parmas
nach Vereinigung mit Sardinien befriedigt werden sollen und die Toscana's
und Modenns nicht? -- Oestreich dagegen läßt durch Fürst Metternich in
Paris erklären, daß es weder die Annexion noch die militärische Besetzung
der Herzogthümer durch Sardinien erlauben würde und gesteht zu-, daß es
deshalb seine Truppen in Venetien vermehre, um eventuell dagegen zu intcr-
veniren. Als Lord Loftus Graf Nechberg seine Befriedigung ausspricht, "daß
der Vertrag von Zürich zwischen Oestreich und Frankreich nicht nur den
Uebeln des Krieges ein Ende machen, sondern auch um neue Verwicke¬
lungen zu vermeiden, die innere und äußere Unabhängigkeit Italiens auf eine
feste und dauerhafte Grundlage stellen solle," hofft er zugleich. daß auch
Oestreich den Wünschen der Bevölkerungen Rechnung tragen werde. Graf


tcintirt zu sein, gäben Großbritannien als vertragendem Theile ein Recht zur
Einsprache, aber verpflichteten es nicht dazu. So sei die Souveränität Krakaus
durch die wiener Verträge gesichert, sie sei vernichtet und das Gebiet Oestreich
annectirt, aber die englische Regierung, obwol sie dies für eine offne Verletzung
der Verträge hielt, erachtet'sich nicht für gebunden, Krakaus Unabhängigkeit
mit den Waffen zu vertheidigen. Ebenso sei es in dem Falle mit Holland
und Belgien gewesen, gegen die Trennung sei keine Großmacht aufgetreten,
aber als man in Brüssel den Herzog von Nemours gewählt hätte, sei Veto
eingelegt.

In der Ansicht, daß eine Restauration der vertriebenen Fürsten unmög¬
lich sei, wird Lord John Russell bestärkt durch die Briefe seines Gesandten
in Florenz, der meldet, daß überall Ruhe und Ordnung herrsche, daß die er¬
sten Namen des Adels und des Bürgerthums an der Spitze der gegenwärtigen
Ordnung der Dinge stehen und daß schon dies den Fürsten unmöglich mache
wieder zu regieren, selbst wenn sie durch ein Wunder wieder zurückgeführt
würden, indem alle politischen Männer compromittirt seien. Nachdem sich
nun die Versammlungen der Herzogthümer ausdrücklich für die Ausschließung
der bisherigen Dynastien und die Annexion an Sardinien ausgesprochen und
zwar, wie die englischen Agenten in Italien melden, ohne den leisesten Zwang,
erklärt Lord I. Russell in einer Depesche v. 2V. Novbr. an Lord Cooley offen,
daß er die Annexion für die beste Losung hält, die England mit Freuden
verwirklicht sehen würde. Da aber Oestreich und auch Frankreich sich dem
widersetzen, so schlage er vor, Vergrößerung Sardiniens durch Parma, Pia-
cenza und Massa-Carrara, Errichtung eines selbstständigen Staates aus Tos-
cana und Modena. welche sich einen Fürsten wählen sollen, der nicht einer
der Familien der fünf Großmächte angehört. — Graf Walcwski stimmt dem
erstem zu, sagt aber, daß Frankreich Toscana und Modena die Wiederauf¬
nahme ihrer Souveräne empfehlen müsse und dies auch dem Congreß vor¬
schlagen werde. Lord Cooley erwiderte, warum denn die Wünsche Parmas
nach Vereinigung mit Sardinien befriedigt werden sollen und die Toscana's
und Modenns nicht? — Oestreich dagegen läßt durch Fürst Metternich in
Paris erklären, daß es weder die Annexion noch die militärische Besetzung
der Herzogthümer durch Sardinien erlauben würde und gesteht zu-, daß es
deshalb seine Truppen in Venetien vermehre, um eventuell dagegen zu intcr-
veniren. Als Lord Loftus Graf Nechberg seine Befriedigung ausspricht, „daß
der Vertrag von Zürich zwischen Oestreich und Frankreich nicht nur den
Uebeln des Krieges ein Ende machen, sondern auch um neue Verwicke¬
lungen zu vermeiden, die innere und äußere Unabhängigkeit Italiens auf eine
feste und dauerhafte Grundlage stellen solle," hofft er zugleich. daß auch
Oestreich den Wünschen der Bevölkerungen Rechnung tragen werde. Graf


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[0418] tcintirt zu sein, gäben Großbritannien als vertragendem Theile ein Recht zur Einsprache, aber verpflichteten es nicht dazu. So sei die Souveränität Krakaus durch die wiener Verträge gesichert, sie sei vernichtet und das Gebiet Oestreich annectirt, aber die englische Regierung, obwol sie dies für eine offne Verletzung der Verträge hielt, erachtet'sich nicht für gebunden, Krakaus Unabhängigkeit mit den Waffen zu vertheidigen. Ebenso sei es in dem Falle mit Holland und Belgien gewesen, gegen die Trennung sei keine Großmacht aufgetreten, aber als man in Brüssel den Herzog von Nemours gewählt hätte, sei Veto eingelegt. In der Ansicht, daß eine Restauration der vertriebenen Fürsten unmög¬ lich sei, wird Lord John Russell bestärkt durch die Briefe seines Gesandten in Florenz, der meldet, daß überall Ruhe und Ordnung herrsche, daß die er¬ sten Namen des Adels und des Bürgerthums an der Spitze der gegenwärtigen Ordnung der Dinge stehen und daß schon dies den Fürsten unmöglich mache wieder zu regieren, selbst wenn sie durch ein Wunder wieder zurückgeführt würden, indem alle politischen Männer compromittirt seien. Nachdem sich nun die Versammlungen der Herzogthümer ausdrücklich für die Ausschließung der bisherigen Dynastien und die Annexion an Sardinien ausgesprochen und zwar, wie die englischen Agenten in Italien melden, ohne den leisesten Zwang, erklärt Lord I. Russell in einer Depesche v. 2V. Novbr. an Lord Cooley offen, daß er die Annexion für die beste Losung hält, die England mit Freuden verwirklicht sehen würde. Da aber Oestreich und auch Frankreich sich dem widersetzen, so schlage er vor, Vergrößerung Sardiniens durch Parma, Pia- cenza und Massa-Carrara, Errichtung eines selbstständigen Staates aus Tos- cana und Modena. welche sich einen Fürsten wählen sollen, der nicht einer der Familien der fünf Großmächte angehört. — Graf Walcwski stimmt dem erstem zu, sagt aber, daß Frankreich Toscana und Modena die Wiederauf¬ nahme ihrer Souveräne empfehlen müsse und dies auch dem Congreß vor¬ schlagen werde. Lord Cooley erwiderte, warum denn die Wünsche Parmas nach Vereinigung mit Sardinien befriedigt werden sollen und die Toscana's und Modenns nicht? — Oestreich dagegen läßt durch Fürst Metternich in Paris erklären, daß es weder die Annexion noch die militärische Besetzung der Herzogthümer durch Sardinien erlauben würde und gesteht zu-, daß es deshalb seine Truppen in Venetien vermehre, um eventuell dagegen zu intcr- veniren. Als Lord Loftus Graf Nechberg seine Befriedigung ausspricht, „daß der Vertrag von Zürich zwischen Oestreich und Frankreich nicht nur den Uebeln des Krieges ein Ende machen, sondern auch um neue Verwicke¬ lungen zu vermeiden, die innere und äußere Unabhängigkeit Italiens auf eine feste und dauerhafte Grundlage stellen solle," hofft er zugleich. daß auch Oestreich den Wünschen der Bevölkerungen Rechnung tragen werde. Graf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/418>, abgerufen am 23.07.2024.