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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Graf Walewski antwortet, der Kaiser Napoleon habe ausdrücklich dem
Kaiser Franz Joseph gesagt, daß er die Verwendung französischer Truppen für
diesen Zweck nicht erlauben könne, und daß er es für unmöglich halte, daß
östreichische Truppen dazu gebraucht würden, er sagt später hierzu, sein Ge¬
bieter würde östreichischer Intervention entgegen sein (voulä oHeet.), bestimmt
aber sei nichts über den Modus der Restauration festgestellt, man hoffe, sie
werde sich von selbst machen.

Lord John Russell widmet nun in einer Depesche an Lord Cooley vom
16. August der Stipulation eine ausführliche Erörterung. Sie will entweder,
meint er, besagen, jeder Widerstand gegen die Rückkehr der Erzherzöge soll
durch Gewalt beseitigt werden, oder: die Fürsten werden zurückkehren, wenn
dieselben mit der Zustimmung der Bevölkerung von Toscana und Modena
zurückkehren könn en.

Er müsse sich entschieden gegen jede gewaltsame Intervention erklären,
ja. England würde dagegen protestiren, eine solche würde das System erneuern,
welches seit vierzig Jahren die Quelle alles Unglücks von Italien sei. ja auch
die Ursache von Oestreichs Schwäche und Gefahr, denn es habe ihm seine
Freunde entfremdet und seinen Feinden Boden gegeben. Ihrer Majestät Ne¬
gierung sei der Ansicht, daß Nichtintervcntion die Regel für die europäischen
Regierungen sein müsse, von der eine Abweichung nur erlaubt, sei, wenn die
Sicherheit des fraglichen Staates oder Lebensinteressen (zMÄwount interest")
es erforderten. In diesem Falle aber sei Intervention weder im Interesse
Europas, noch im wahren Interesse Frankreichs oder Oestreichs, dessen Sicher¬
heit durch die Wahl einer neuen Dynastie in Toscana nicht bedroht sei.
"Die Toscaner haben das Recht, welches dem Volke jedes unabhängigen Staats
zusteht, ihre eignen innern Angelegenheiten zu regeln." In einer spätern De¬
pesche (Nov. 15) erläutert er geschichtlich, daß dies stets die englische Politik
gewesen. Lord Castlereagh habe gegen die Intervention des Laibacher Con-
gresses in Neapel protestirt, ebenso der Herzog von Wellington in Verona gegen
das Einrücken französischer Truppen in Spanien. Canning erklärte, die Grund¬
sätze der Kongresse griffen die Wurzel der britischen Verfassung an, 1825 an¬
erkannte England die südnmeriknnischen Republiken, 1827 Griechenlands Un¬
abhängigkeit, 1830 die Trennung Belgiens von Holland. Die britische Re¬
gierung habe in allen diesen Fällen stetig das Princip verfolgt, jeder Ein¬
mischung ihre Zustimmung zu versagen und die thatsächlich bestehenden Re¬
gierungen zu schützen und wenn nöthig, zu ihrer Befestigung beizutragen.

Graf Walewski lehnte den Grundsatz der Nichtintervcntion als allgemein
bindende Regel ab, obwv'l er in dem vorliegenden Falle seine Zweckmäßigkeit
anerkennt, ganz anders aber wehrt Graf Nechberg sich gegen diese Lehre, er
hat schon in seiner ersten Unterhaltung mit Lord Lvftus nach seiner Rückkehr


Graf Walewski antwortet, der Kaiser Napoleon habe ausdrücklich dem
Kaiser Franz Joseph gesagt, daß er die Verwendung französischer Truppen für
diesen Zweck nicht erlauben könne, und daß er es für unmöglich halte, daß
östreichische Truppen dazu gebraucht würden, er sagt später hierzu, sein Ge¬
bieter würde östreichischer Intervention entgegen sein (voulä oHeet.), bestimmt
aber sei nichts über den Modus der Restauration festgestellt, man hoffe, sie
werde sich von selbst machen.

Lord John Russell widmet nun in einer Depesche an Lord Cooley vom
16. August der Stipulation eine ausführliche Erörterung. Sie will entweder,
meint er, besagen, jeder Widerstand gegen die Rückkehr der Erzherzöge soll
durch Gewalt beseitigt werden, oder: die Fürsten werden zurückkehren, wenn
dieselben mit der Zustimmung der Bevölkerung von Toscana und Modena
zurückkehren könn en.

Er müsse sich entschieden gegen jede gewaltsame Intervention erklären,
ja. England würde dagegen protestiren, eine solche würde das System erneuern,
welches seit vierzig Jahren die Quelle alles Unglücks von Italien sei. ja auch
die Ursache von Oestreichs Schwäche und Gefahr, denn es habe ihm seine
Freunde entfremdet und seinen Feinden Boden gegeben. Ihrer Majestät Ne¬
gierung sei der Ansicht, daß Nichtintervcntion die Regel für die europäischen
Regierungen sein müsse, von der eine Abweichung nur erlaubt, sei, wenn die
Sicherheit des fraglichen Staates oder Lebensinteressen (zMÄwount interest«)
es erforderten. In diesem Falle aber sei Intervention weder im Interesse
Europas, noch im wahren Interesse Frankreichs oder Oestreichs, dessen Sicher¬
heit durch die Wahl einer neuen Dynastie in Toscana nicht bedroht sei.
„Die Toscaner haben das Recht, welches dem Volke jedes unabhängigen Staats
zusteht, ihre eignen innern Angelegenheiten zu regeln." In einer spätern De¬
pesche (Nov. 15) erläutert er geschichtlich, daß dies stets die englische Politik
gewesen. Lord Castlereagh habe gegen die Intervention des Laibacher Con-
gresses in Neapel protestirt, ebenso der Herzog von Wellington in Verona gegen
das Einrücken französischer Truppen in Spanien. Canning erklärte, die Grund¬
sätze der Kongresse griffen die Wurzel der britischen Verfassung an, 1825 an¬
erkannte England die südnmeriknnischen Republiken, 1827 Griechenlands Un¬
abhängigkeit, 1830 die Trennung Belgiens von Holland. Die britische Re¬
gierung habe in allen diesen Fällen stetig das Princip verfolgt, jeder Ein¬
mischung ihre Zustimmung zu versagen und die thatsächlich bestehenden Re¬
gierungen zu schützen und wenn nöthig, zu ihrer Befestigung beizutragen.

Graf Walewski lehnte den Grundsatz der Nichtintervcntion als allgemein
bindende Regel ab, obwv'l er in dem vorliegenden Falle seine Zweckmäßigkeit
anerkennt, ganz anders aber wehrt Graf Nechberg sich gegen diese Lehre, er
hat schon in seiner ersten Unterhaltung mit Lord Lvftus nach seiner Rückkehr


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[0416] Graf Walewski antwortet, der Kaiser Napoleon habe ausdrücklich dem Kaiser Franz Joseph gesagt, daß er die Verwendung französischer Truppen für diesen Zweck nicht erlauben könne, und daß er es für unmöglich halte, daß östreichische Truppen dazu gebraucht würden, er sagt später hierzu, sein Ge¬ bieter würde östreichischer Intervention entgegen sein (voulä oHeet.), bestimmt aber sei nichts über den Modus der Restauration festgestellt, man hoffe, sie werde sich von selbst machen. Lord John Russell widmet nun in einer Depesche an Lord Cooley vom 16. August der Stipulation eine ausführliche Erörterung. Sie will entweder, meint er, besagen, jeder Widerstand gegen die Rückkehr der Erzherzöge soll durch Gewalt beseitigt werden, oder: die Fürsten werden zurückkehren, wenn dieselben mit der Zustimmung der Bevölkerung von Toscana und Modena zurückkehren könn en. Er müsse sich entschieden gegen jede gewaltsame Intervention erklären, ja. England würde dagegen protestiren, eine solche würde das System erneuern, welches seit vierzig Jahren die Quelle alles Unglücks von Italien sei. ja auch die Ursache von Oestreichs Schwäche und Gefahr, denn es habe ihm seine Freunde entfremdet und seinen Feinden Boden gegeben. Ihrer Majestät Ne¬ gierung sei der Ansicht, daß Nichtintervcntion die Regel für die europäischen Regierungen sein müsse, von der eine Abweichung nur erlaubt, sei, wenn die Sicherheit des fraglichen Staates oder Lebensinteressen (zMÄwount interest«) es erforderten. In diesem Falle aber sei Intervention weder im Interesse Europas, noch im wahren Interesse Frankreichs oder Oestreichs, dessen Sicher¬ heit durch die Wahl einer neuen Dynastie in Toscana nicht bedroht sei. „Die Toscaner haben das Recht, welches dem Volke jedes unabhängigen Staats zusteht, ihre eignen innern Angelegenheiten zu regeln." In einer spätern De¬ pesche (Nov. 15) erläutert er geschichtlich, daß dies stets die englische Politik gewesen. Lord Castlereagh habe gegen die Intervention des Laibacher Con- gresses in Neapel protestirt, ebenso der Herzog von Wellington in Verona gegen das Einrücken französischer Truppen in Spanien. Canning erklärte, die Grund¬ sätze der Kongresse griffen die Wurzel der britischen Verfassung an, 1825 an¬ erkannte England die südnmeriknnischen Republiken, 1827 Griechenlands Un¬ abhängigkeit, 1830 die Trennung Belgiens von Holland. Die britische Re¬ gierung habe in allen diesen Fällen stetig das Princip verfolgt, jeder Ein¬ mischung ihre Zustimmung zu versagen und die thatsächlich bestehenden Re¬ gierungen zu schützen und wenn nöthig, zu ihrer Befestigung beizutragen. Graf Walewski lehnte den Grundsatz der Nichtintervcntion als allgemein bindende Regel ab, obwv'l er in dem vorliegenden Falle seine Zweckmäßigkeit anerkennt, ganz anders aber wehrt Graf Nechberg sich gegen diese Lehre, er hat schon in seiner ersten Unterhaltung mit Lord Lvftus nach seiner Rückkehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/416>, abgerufen am 23.07.2024.