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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Zeichen von Preußens Beruf; so störend, so ernstlich störend er auch in die
gegenwärtige Entwickelung eingreift.

Ein ganz ähnliches Verhältniß findet in dem Militär statt. Auf die
Militüreinrichtung ist der lebendige Patriotismus noch viel mehr begründet
als auf das Beamtenthum, weil sie in viel tiefere Kreise des Volks eindringt
und sich viel sinnlicher darstellt. Wenn man vor der Aushebung auf dem
Lande auch das Gouvernement sehr mißgünstig ansieht und sich derselben
möglichst zu entziehen sucht, so wird die Stimmung doch ganz anders, wenn
man ein paar Jahre des Königs Rock getragen und unter demselben nicht
blos Gehorsam, sondern auch Muth, Ehre und Selbstgefühl gelernt hat. In¬
sofern ist der Kriegsdienst ein sehr bedeutungsvolles sittliches und politisches
Moment. Je länger der wirkliche Dienst dauert, desto inniger wird die Be¬
ziehung zum Landesherrn und zum Corps, freilich auch desto größer die Ent¬
fernung vom bürgerlichen Geschäft. Das ist bei dem neuen Entwurf der
preußischen Kriegsverfassung wohl zu überlegen. Der dreijährige Dienst wird
den specifisch preußischen Geist bedeutend erhöhen; ob er aber dem spätern
bürgerlichen Gewerbe zu Gute kommt, das ist eine andere Frage. Indeß
um zur Hauptsache zu kommen: dieser Einfluß der militärischen Volkserziehung
ist in allen Staaten von einigem Umfang gleich, wenn auch Preußen hier
das Andenken an Friedrich den Großen und die glorreichen Thaten der schwarz¬
weißen Fahne voraus hat. Darum ist es leicht zu begreifen, daß die Regie¬
rungen der Mittelstaaten sich gegen nichts so sehr sträuben als gegen jede
Schmülerung ihrer Souveränctüt in Bezug auf das Heerwesen. Aber eins
müssen sie dabei im Auge halten: der bairische, der sächsische, der hannöversche,
der würtenbergische Soldat ist grade so loyal, grade so baierisch, sächsisch,
hannöverisch, würtembergisch gesinnt, als der preußische preußisch gesinnt ist,
wenn auch vielleicht nicht ganz so stolz. Aber keinem politischen Rechenkünst¬
ler wird es gelingen, indem bnierischen, sächsischen, hannoverischen oder wür-
tembergischen Soldaten jenen mitteldeutschen Patriotismus hervorzurufen,
der zur Organisation einer von den östreichischen und preußischen Truppen ge¬
trennten Reichsarmee nöthig wäre. Dies Durcheinanderwersen wäre nicht
eine Erhöhung, sondern eine Schmälerung der sittlichen Kraft und des sitt¬
lichen Zusammenhangs.

Wir kehren zu unserer ursprünglichen Deduction zurück. Der positive
Boden, von dem wir bei dem Gedanken an eine deutsche Entwicklung aus¬
gehen müssen, ist die Fürstensouveränetät, die nicht blos der Rechtsboden,
sondern die auch factisch im Volk am festesten gewachsen ist. Jeder gedeih¬
liche, berechenbare Fortschritt ist nur durch einen Vertrag unter den Fürsten
denkbar. Alle deutschen Fürsten haben nothwendig den Trieb, ihr bisheriges
unklares Souveränetätsverhältniß zu ihrem Vortheil zu entwickeln oder wenig-


Grenzboten I. Is60, 42

Zeichen von Preußens Beruf; so störend, so ernstlich störend er auch in die
gegenwärtige Entwickelung eingreift.

Ein ganz ähnliches Verhältniß findet in dem Militär statt. Auf die
Militüreinrichtung ist der lebendige Patriotismus noch viel mehr begründet
als auf das Beamtenthum, weil sie in viel tiefere Kreise des Volks eindringt
und sich viel sinnlicher darstellt. Wenn man vor der Aushebung auf dem
Lande auch das Gouvernement sehr mißgünstig ansieht und sich derselben
möglichst zu entziehen sucht, so wird die Stimmung doch ganz anders, wenn
man ein paar Jahre des Königs Rock getragen und unter demselben nicht
blos Gehorsam, sondern auch Muth, Ehre und Selbstgefühl gelernt hat. In¬
sofern ist der Kriegsdienst ein sehr bedeutungsvolles sittliches und politisches
Moment. Je länger der wirkliche Dienst dauert, desto inniger wird die Be¬
ziehung zum Landesherrn und zum Corps, freilich auch desto größer die Ent¬
fernung vom bürgerlichen Geschäft. Das ist bei dem neuen Entwurf der
preußischen Kriegsverfassung wohl zu überlegen. Der dreijährige Dienst wird
den specifisch preußischen Geist bedeutend erhöhen; ob er aber dem spätern
bürgerlichen Gewerbe zu Gute kommt, das ist eine andere Frage. Indeß
um zur Hauptsache zu kommen: dieser Einfluß der militärischen Volkserziehung
ist in allen Staaten von einigem Umfang gleich, wenn auch Preußen hier
das Andenken an Friedrich den Großen und die glorreichen Thaten der schwarz¬
weißen Fahne voraus hat. Darum ist es leicht zu begreifen, daß die Regie¬
rungen der Mittelstaaten sich gegen nichts so sehr sträuben als gegen jede
Schmülerung ihrer Souveränctüt in Bezug auf das Heerwesen. Aber eins
müssen sie dabei im Auge halten: der bairische, der sächsische, der hannöversche,
der würtenbergische Soldat ist grade so loyal, grade so baierisch, sächsisch,
hannöverisch, würtembergisch gesinnt, als der preußische preußisch gesinnt ist,
wenn auch vielleicht nicht ganz so stolz. Aber keinem politischen Rechenkünst¬
ler wird es gelingen, indem bnierischen, sächsischen, hannoverischen oder wür-
tembergischen Soldaten jenen mitteldeutschen Patriotismus hervorzurufen,
der zur Organisation einer von den östreichischen und preußischen Truppen ge¬
trennten Reichsarmee nöthig wäre. Dies Durcheinanderwersen wäre nicht
eine Erhöhung, sondern eine Schmälerung der sittlichen Kraft und des sitt¬
lichen Zusammenhangs.

Wir kehren zu unserer ursprünglichen Deduction zurück. Der positive
Boden, von dem wir bei dem Gedanken an eine deutsche Entwicklung aus¬
gehen müssen, ist die Fürstensouveränetät, die nicht blos der Rechtsboden,
sondern die auch factisch im Volk am festesten gewachsen ist. Jeder gedeih¬
liche, berechenbare Fortschritt ist nur durch einen Vertrag unter den Fürsten
denkbar. Alle deutschen Fürsten haben nothwendig den Trieb, ihr bisheriges
unklares Souveränetätsverhältniß zu ihrem Vortheil zu entwickeln oder wenig-


Grenzboten I. Is60, 42
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[0341] Zeichen von Preußens Beruf; so störend, so ernstlich störend er auch in die gegenwärtige Entwickelung eingreift. Ein ganz ähnliches Verhältniß findet in dem Militär statt. Auf die Militüreinrichtung ist der lebendige Patriotismus noch viel mehr begründet als auf das Beamtenthum, weil sie in viel tiefere Kreise des Volks eindringt und sich viel sinnlicher darstellt. Wenn man vor der Aushebung auf dem Lande auch das Gouvernement sehr mißgünstig ansieht und sich derselben möglichst zu entziehen sucht, so wird die Stimmung doch ganz anders, wenn man ein paar Jahre des Königs Rock getragen und unter demselben nicht blos Gehorsam, sondern auch Muth, Ehre und Selbstgefühl gelernt hat. In¬ sofern ist der Kriegsdienst ein sehr bedeutungsvolles sittliches und politisches Moment. Je länger der wirkliche Dienst dauert, desto inniger wird die Be¬ ziehung zum Landesherrn und zum Corps, freilich auch desto größer die Ent¬ fernung vom bürgerlichen Geschäft. Das ist bei dem neuen Entwurf der preußischen Kriegsverfassung wohl zu überlegen. Der dreijährige Dienst wird den specifisch preußischen Geist bedeutend erhöhen; ob er aber dem spätern bürgerlichen Gewerbe zu Gute kommt, das ist eine andere Frage. Indeß um zur Hauptsache zu kommen: dieser Einfluß der militärischen Volkserziehung ist in allen Staaten von einigem Umfang gleich, wenn auch Preußen hier das Andenken an Friedrich den Großen und die glorreichen Thaten der schwarz¬ weißen Fahne voraus hat. Darum ist es leicht zu begreifen, daß die Regie¬ rungen der Mittelstaaten sich gegen nichts so sehr sträuben als gegen jede Schmülerung ihrer Souveränctüt in Bezug auf das Heerwesen. Aber eins müssen sie dabei im Auge halten: der bairische, der sächsische, der hannöversche, der würtenbergische Soldat ist grade so loyal, grade so baierisch, sächsisch, hannöverisch, würtembergisch gesinnt, als der preußische preußisch gesinnt ist, wenn auch vielleicht nicht ganz so stolz. Aber keinem politischen Rechenkünst¬ ler wird es gelingen, indem bnierischen, sächsischen, hannoverischen oder wür- tembergischen Soldaten jenen mitteldeutschen Patriotismus hervorzurufen, der zur Organisation einer von den östreichischen und preußischen Truppen ge¬ trennten Reichsarmee nöthig wäre. Dies Durcheinanderwersen wäre nicht eine Erhöhung, sondern eine Schmälerung der sittlichen Kraft und des sitt¬ lichen Zusammenhangs. Wir kehren zu unserer ursprünglichen Deduction zurück. Der positive Boden, von dem wir bei dem Gedanken an eine deutsche Entwicklung aus¬ gehen müssen, ist die Fürstensouveränetät, die nicht blos der Rechtsboden, sondern die auch factisch im Volk am festesten gewachsen ist. Jeder gedeih¬ liche, berechenbare Fortschritt ist nur durch einen Vertrag unter den Fürsten denkbar. Alle deutschen Fürsten haben nothwendig den Trieb, ihr bisheriges unklares Souveränetätsverhältniß zu ihrem Vortheil zu entwickeln oder wenig- Grenzboten I. Is60, 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/341>, abgerufen am 23.07.2024.