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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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fleus nichts davon einzubüßen. Bei Preußen ist dieser Trieb am stärksten;
doch regt sich ebenso bei den Mittelstaaten das Verlangen, die Kleinstaaten
unter ihre Obhut zu nehmen, wozu sich diese selbst nicht verstehen werden und
was Preußen aus denselben Gründen nicht zugeben sann, welche die Mittel¬
städten bestimmen, es zu verlangen. Von allen Seiten von gefährlichen Geg-
nern umringt, ist Deutschland demnach in Gefahr, daß die innere Zwietracht
von seinen Gegnern ausgebeutet wird. Jedes Mittel, einer solchen Gefahr
zu entgehen, der Gefahr eines Rheinbundes oder einer altenfritzischen Politik,
müßte im eigenen wie im Interesse des Ganzen von den deutscheu Regierungen
eifrig ergriffen werden.

Preußen hat bisher theils im Bündniß mit Oestreich theils im Zollverein
die Mittel gesucht, sich wenigstens einigermaßen für seine unerträgliche geo¬
graphische Lage zu entschädigen. Das Bündniß mit Oestreich ist mehr als
gelockert, der Zollverein ist in Gefahr, unter Mitwirkung Oestreichs gesprengt
zu werden, am Bundestag hat man es durch eine constante Mehrheit voll¬
kommen wehrlos gemacht. In dieser Lage kann es nicht bleiben, das werden
die deutschen Regierungen ebenso gut einsehen, wie es das preußische Volk ein¬
sieht. Es bereitet jetzt eine neue Heeresorganisation vor, die den militärischen
Geist des gesammten Volks bedeutend erhöhen und die bewegungsfähige, zum
Angriff verwendbare Mannschaft bedeutend vermehren wird. Es steht zu den
auswärtigen Mächten jetzt so, daß sowol Rußland als Frankreich als England
im Collisionsfall ein Bündniß mit Preußen dem Bündniß mit Oestreich vor¬
ziehen würden, welches letztere die bedenklichsten Zeichen von innerm und äußerm
Verfall offenbart.

Unter diesen Umständen bietet Preußen, angesichts des immer näher
und näher heranziehenden Unwetters, Oestreich und den übrigen deutschen
Staaten einen engern Bund. Es verlangt, daß im Fall eines Krieges die
norddeutschen Bundescontingente mit Preußen, die süddeutschen mit Oestreich
vereinigt werden sollen; es verlangt, daß dieses Gesetz zwar nur im Kriege
angewandt, aber im Frieden bereits festgestellt werden soll. -- Was bietet es
dafür? -- Ausgesprochen hat es sich, so viel wir wissen, darüber nicht, aber
die natürlichen Folgen liegen auf der Hand. Durch diese Reform der Bundes-
kriegsversassung, die, wie sich von selbst versteht, durch ein enges Bündniß
mit Oestreich befestigt wird, erhält Deutschland eine unangreifbare Position;
wird der Besitzstand Oestreichs gesichert; es werden die Souveränetätsrechte der
einzelnen Fürsten nur so weit eingeschränkt, als sie überhaupt nicht auszuüben
sind, und was die Hauptsache ist, es wird ihnen die Garantie dafür gegeben,
daß Preußen seine Stellung als Großmacht nicht von seiner Stellung als
Vundesmacht trennt, und daß es den nothwendig in ihm liegenden Trieb, sich
zu erweitern, auf die militärische Hegemonie einschränkt.


fleus nichts davon einzubüßen. Bei Preußen ist dieser Trieb am stärksten;
doch regt sich ebenso bei den Mittelstaaten das Verlangen, die Kleinstaaten
unter ihre Obhut zu nehmen, wozu sich diese selbst nicht verstehen werden und
was Preußen aus denselben Gründen nicht zugeben sann, welche die Mittel¬
städten bestimmen, es zu verlangen. Von allen Seiten von gefährlichen Geg-
nern umringt, ist Deutschland demnach in Gefahr, daß die innere Zwietracht
von seinen Gegnern ausgebeutet wird. Jedes Mittel, einer solchen Gefahr
zu entgehen, der Gefahr eines Rheinbundes oder einer altenfritzischen Politik,
müßte im eigenen wie im Interesse des Ganzen von den deutscheu Regierungen
eifrig ergriffen werden.

Preußen hat bisher theils im Bündniß mit Oestreich theils im Zollverein
die Mittel gesucht, sich wenigstens einigermaßen für seine unerträgliche geo¬
graphische Lage zu entschädigen. Das Bündniß mit Oestreich ist mehr als
gelockert, der Zollverein ist in Gefahr, unter Mitwirkung Oestreichs gesprengt
zu werden, am Bundestag hat man es durch eine constante Mehrheit voll¬
kommen wehrlos gemacht. In dieser Lage kann es nicht bleiben, das werden
die deutschen Regierungen ebenso gut einsehen, wie es das preußische Volk ein¬
sieht. Es bereitet jetzt eine neue Heeresorganisation vor, die den militärischen
Geist des gesammten Volks bedeutend erhöhen und die bewegungsfähige, zum
Angriff verwendbare Mannschaft bedeutend vermehren wird. Es steht zu den
auswärtigen Mächten jetzt so, daß sowol Rußland als Frankreich als England
im Collisionsfall ein Bündniß mit Preußen dem Bündniß mit Oestreich vor¬
ziehen würden, welches letztere die bedenklichsten Zeichen von innerm und äußerm
Verfall offenbart.

Unter diesen Umständen bietet Preußen, angesichts des immer näher
und näher heranziehenden Unwetters, Oestreich und den übrigen deutschen
Staaten einen engern Bund. Es verlangt, daß im Fall eines Krieges die
norddeutschen Bundescontingente mit Preußen, die süddeutschen mit Oestreich
vereinigt werden sollen; es verlangt, daß dieses Gesetz zwar nur im Kriege
angewandt, aber im Frieden bereits festgestellt werden soll. — Was bietet es
dafür? — Ausgesprochen hat es sich, so viel wir wissen, darüber nicht, aber
die natürlichen Folgen liegen auf der Hand. Durch diese Reform der Bundes-
kriegsversassung, die, wie sich von selbst versteht, durch ein enges Bündniß
mit Oestreich befestigt wird, erhält Deutschland eine unangreifbare Position;
wird der Besitzstand Oestreichs gesichert; es werden die Souveränetätsrechte der
einzelnen Fürsten nur so weit eingeschränkt, als sie überhaupt nicht auszuüben
sind, und was die Hauptsache ist, es wird ihnen die Garantie dafür gegeben,
daß Preußen seine Stellung als Großmacht nicht von seiner Stellung als
Vundesmacht trennt, und daß es den nothwendig in ihm liegenden Trieb, sich
zu erweitern, auf die militärische Hegemonie einschränkt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/342>, abgerufen am 25.08.2024.