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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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sich auf die Subalternbeamten und die von ihnen abhängigen Handwerker
concentrirt. Es versteht sich von selbst, daß Ausnahmen auch hier stattfinden,
es ist nur von der Durchschnittserscheinung die Rede. Aus dieser allgemeinen
Regel läßt sich ohne Schwierigkeit erklären, warum die preußische Bureaukra¬
tie in ihren höheren Kreisen bei weitem das größte Selbstgefühl besitzt; denn
in Oestreich, wo der Gesichtskreis noch großer ist, fühlt sie sich dem Adel und
der Geistlichkeit untergeordnet und hat nicht das Bewußtsein einer selbststän-
digen Stellung. Hieraus erklärt sich die Vorstellung, die man mit dem spe¬
cifischen Preußenthum verbindet, und die Abneigung, die man im ganzen
übrigen Deutschland gegen Preußen hegt. Auch diese Abneigung, die in der
That eine merkwürdige Erscheinung ist, hat man aus dem Stammgefühl er¬
klären wollen, obgleich Preußen wahrhaftig keine Stcnnmcinhcit rcprüscntirt;
man darf aber nicht vergessen, daß die neue Provinz Sachsen soviel preußischen
Patriotismus entwickelt als irgend eine der alten. Jenes Mißbehagen hat einen
ganz andern Grund. Einzelne mitwirkende Umstände kommen freilich noch dazu :
die Berliner Badegäste und die Berliner Meßjuden sind keine anziehenden Erschein¬
ungen ; aber die Hauptsache ist doch immer, daß z. B. der Beamte eines Mittcl-
staalS sich sagt: was hat der Preuße von gleicher Bildung und gleichen, Range
vor mir voraus, daß er auf mich herabsieht? Daß der Preuße auf ihn herab¬
sieht, setzt er ohne Weiteres voraus, wenn er auch noch gar keine Erfahrung
darüber gemacht hat. -- Ja er setzt voraus, daß der Preuße auf ihn herab¬
sehen müsse; und was vom Beamten gilt, das findet seine Anwendung auf
jeden Staatsbürger, der sich überhaupt mit Politik beschäftigt, von den Land-
tagsabgeordneten bis zur Bierbank herunter. Denn auch z. B. der badische
Landtagsabgeordncte, charakterfest, einsichtsvoll und gebildet, beredt und pa¬
triotisch, muß sich doch fragen: warum liest alle Welt die preußischen Landtags-
bcrichte? in denen doch viel schlechter geredet wird als hier, im denen sich viel
weniger Einsicht, viel weniger Patriotismus findet. Daß alle Welt die preu¬
ßischen Landtagsberichte liest, setzt er voraus, auch wenn er gar keine Er¬
fahrung darüber hat; er liest sie freilich selber. Und in dem kleinsten
Elub bei Bier und Tabak, wovon redet man anders als von Preußen?
und natürlich findet man fortwährend Grund und zuweilen nur zu guten
Grund, mit dem, was dort geschieht, unzufrieden zu sein. So geht denn von
den niedrigsten bis zu den höchsten Kreisen diese stille Abneigung durch, und
wir können uns lebhaft vorstellen, daß sie am stärksten bei einzelnen wirklichen
Staatsmännern sich äußert, die von großer Befähigung und großem Ehrgeiz
im Stillen Vergleiche zwischen sich und den wirklichen preußischen Staatsmän¬
nern ziehen und sich Gedanken darüber machen, wie ganz anders sie wirken
würden, wenn sie an dieser Stelle ständen.

Mit einem Wort: dieser sogenannte Preußenhaß ist nicht das schlechteste


sich auf die Subalternbeamten und die von ihnen abhängigen Handwerker
concentrirt. Es versteht sich von selbst, daß Ausnahmen auch hier stattfinden,
es ist nur von der Durchschnittserscheinung die Rede. Aus dieser allgemeinen
Regel läßt sich ohne Schwierigkeit erklären, warum die preußische Bureaukra¬
tie in ihren höheren Kreisen bei weitem das größte Selbstgefühl besitzt; denn
in Oestreich, wo der Gesichtskreis noch großer ist, fühlt sie sich dem Adel und
der Geistlichkeit untergeordnet und hat nicht das Bewußtsein einer selbststän-
digen Stellung. Hieraus erklärt sich die Vorstellung, die man mit dem spe¬
cifischen Preußenthum verbindet, und die Abneigung, die man im ganzen
übrigen Deutschland gegen Preußen hegt. Auch diese Abneigung, die in der
That eine merkwürdige Erscheinung ist, hat man aus dem Stammgefühl er¬
klären wollen, obgleich Preußen wahrhaftig keine Stcnnmcinhcit rcprüscntirt;
man darf aber nicht vergessen, daß die neue Provinz Sachsen soviel preußischen
Patriotismus entwickelt als irgend eine der alten. Jenes Mißbehagen hat einen
ganz andern Grund. Einzelne mitwirkende Umstände kommen freilich noch dazu :
die Berliner Badegäste und die Berliner Meßjuden sind keine anziehenden Erschein¬
ungen ; aber die Hauptsache ist doch immer, daß z. B. der Beamte eines Mittcl-
staalS sich sagt: was hat der Preuße von gleicher Bildung und gleichen, Range
vor mir voraus, daß er auf mich herabsieht? Daß der Preuße auf ihn herab¬
sieht, setzt er ohne Weiteres voraus, wenn er auch noch gar keine Erfahrung
darüber gemacht hat. — Ja er setzt voraus, daß der Preuße auf ihn herab¬
sehen müsse; und was vom Beamten gilt, das findet seine Anwendung auf
jeden Staatsbürger, der sich überhaupt mit Politik beschäftigt, von den Land-
tagsabgeordneten bis zur Bierbank herunter. Denn auch z. B. der badische
Landtagsabgeordncte, charakterfest, einsichtsvoll und gebildet, beredt und pa¬
triotisch, muß sich doch fragen: warum liest alle Welt die preußischen Landtags-
bcrichte? in denen doch viel schlechter geredet wird als hier, im denen sich viel
weniger Einsicht, viel weniger Patriotismus findet. Daß alle Welt die preu¬
ßischen Landtagsberichte liest, setzt er voraus, auch wenn er gar keine Er¬
fahrung darüber hat; er liest sie freilich selber. Und in dem kleinsten
Elub bei Bier und Tabak, wovon redet man anders als von Preußen?
und natürlich findet man fortwährend Grund und zuweilen nur zu guten
Grund, mit dem, was dort geschieht, unzufrieden zu sein. So geht denn von
den niedrigsten bis zu den höchsten Kreisen diese stille Abneigung durch, und
wir können uns lebhaft vorstellen, daß sie am stärksten bei einzelnen wirklichen
Staatsmännern sich äußert, die von großer Befähigung und großem Ehrgeiz
im Stillen Vergleiche zwischen sich und den wirklichen preußischen Staatsmän¬
nern ziehen und sich Gedanken darüber machen, wie ganz anders sie wirken
würden, wenn sie an dieser Stelle ständen.

Mit einem Wort: dieser sogenannte Preußenhaß ist nicht das schlechteste


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[0340] sich auf die Subalternbeamten und die von ihnen abhängigen Handwerker concentrirt. Es versteht sich von selbst, daß Ausnahmen auch hier stattfinden, es ist nur von der Durchschnittserscheinung die Rede. Aus dieser allgemeinen Regel läßt sich ohne Schwierigkeit erklären, warum die preußische Bureaukra¬ tie in ihren höheren Kreisen bei weitem das größte Selbstgefühl besitzt; denn in Oestreich, wo der Gesichtskreis noch großer ist, fühlt sie sich dem Adel und der Geistlichkeit untergeordnet und hat nicht das Bewußtsein einer selbststän- digen Stellung. Hieraus erklärt sich die Vorstellung, die man mit dem spe¬ cifischen Preußenthum verbindet, und die Abneigung, die man im ganzen übrigen Deutschland gegen Preußen hegt. Auch diese Abneigung, die in der That eine merkwürdige Erscheinung ist, hat man aus dem Stammgefühl er¬ klären wollen, obgleich Preußen wahrhaftig keine Stcnnmcinhcit rcprüscntirt; man darf aber nicht vergessen, daß die neue Provinz Sachsen soviel preußischen Patriotismus entwickelt als irgend eine der alten. Jenes Mißbehagen hat einen ganz andern Grund. Einzelne mitwirkende Umstände kommen freilich noch dazu : die Berliner Badegäste und die Berliner Meßjuden sind keine anziehenden Erschein¬ ungen ; aber die Hauptsache ist doch immer, daß z. B. der Beamte eines Mittcl- staalS sich sagt: was hat der Preuße von gleicher Bildung und gleichen, Range vor mir voraus, daß er auf mich herabsieht? Daß der Preuße auf ihn herab¬ sieht, setzt er ohne Weiteres voraus, wenn er auch noch gar keine Erfahrung darüber gemacht hat. — Ja er setzt voraus, daß der Preuße auf ihn herab¬ sehen müsse; und was vom Beamten gilt, das findet seine Anwendung auf jeden Staatsbürger, der sich überhaupt mit Politik beschäftigt, von den Land- tagsabgeordneten bis zur Bierbank herunter. Denn auch z. B. der badische Landtagsabgeordncte, charakterfest, einsichtsvoll und gebildet, beredt und pa¬ triotisch, muß sich doch fragen: warum liest alle Welt die preußischen Landtags- bcrichte? in denen doch viel schlechter geredet wird als hier, im denen sich viel weniger Einsicht, viel weniger Patriotismus findet. Daß alle Welt die preu¬ ßischen Landtagsberichte liest, setzt er voraus, auch wenn er gar keine Er¬ fahrung darüber hat; er liest sie freilich selber. Und in dem kleinsten Elub bei Bier und Tabak, wovon redet man anders als von Preußen? und natürlich findet man fortwährend Grund und zuweilen nur zu guten Grund, mit dem, was dort geschieht, unzufrieden zu sein. So geht denn von den niedrigsten bis zu den höchsten Kreisen diese stille Abneigung durch, und wir können uns lebhaft vorstellen, daß sie am stärksten bei einzelnen wirklichen Staatsmännern sich äußert, die von großer Befähigung und großem Ehrgeiz im Stillen Vergleiche zwischen sich und den wirklichen preußischen Staatsmän¬ nern ziehen und sich Gedanken darüber machen, wie ganz anders sie wirken würden, wenn sie an dieser Stelle ständen. Mit einem Wort: dieser sogenannte Preußenhaß ist nicht das schlechteste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/340>, abgerufen am 23.07.2024.