Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.wurde von dem und dem Mann ein Buel) geschrieben, welches von den christ- Da also durch seine Ansicht von der menschlichen Freiheit weder für die Um zu verstehen, was er eigentlich damit meint, müssen wir etwas tiefer Das Willensvermögen der Menschen unterscheidet sich von dem Willens- Wie ganz anders Buckle die Sache betrachtet, ergibt sich aus seiner wurde von dem und dem Mann ein Buel) geschrieben, welches von den christ- Da also durch seine Ansicht von der menschlichen Freiheit weder für die Um zu verstehen, was er eigentlich damit meint, müssen wir etwas tiefer Das Willensvermögen der Menschen unterscheidet sich von dem Willens- Wie ganz anders Buckle die Sache betrachtet, ergibt sich aus seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109036"/> <p xml:id="ID_891" prev="#ID_890"> wurde von dem und dem Mann ein Buel) geschrieben, welches von den christ-<lb/> lichen Vorurtheilen so und so viel überwand, so und so viel beibehielt, dann<lb/> nach einigen Jahren folgte ein neues Buch, welches mehr Vorurtheile über¬<lb/> wand und weniger beibehielt u. s. w. In dieser Methode liegt nichts Neues;<lb/> und daß er eigentlich versuchen sollte, die Nothwendigkeit dieses Factums<lb/> aus physiologischen Gesetzen nachzuweisen, das hat Buckle ganz vergessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_892"> Da also durch seine Ansicht von der menschlichen Freiheit weder für die<lb/> Geschichtsschreibung noch für die Geschichtsforschung irgend etwas gewonnen<lb/> wird, so haben wir wol Grund, bei ihr eine andere Tendenz vorauszusetzen;<lb/> und die hat sie in der That, und zwar, so wenig wir die gute Gesinnung<lb/> des Verfassers in Zweifel stellen wollen, eine höchst schädliche und verwerfliche<lb/> Tendenz. Es handelt sich nämlich, wie bei unsern Materialisten überhaupt,<lb/> darum, die Würde des menschlichen Handelns herabzusetzen und die Sittlich¬<lb/> keit als etwas für den höheren Gesichtspunkt Gleichgültiges oder unter Um¬<lb/> ständen wohl sogar Schädliches darzustellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_893"> Um zu verstehen, was er eigentlich damit meint, müssen wir etwas tiefer<lb/> zurückgehen. Er geht bei diesen Untersuchungen häusig auf Kant zurück, und<lb/> wundert sich nicht wenig darüber, daß ein so logischer Denker den Begriff der<lb/> Freiheit, den er eigentlich hätte leugnen sollen, als einen transscendentalen<lb/> Begriff fortbestehn ließ. Kant wußte aber sehr wohl was er damit meinte.</p><lb/> <p xml:id="ID_894"> Das Willensvermögen der Menschen unterscheidet sich von dem Willens-<lb/> vermögen der Thiere wenigstens in einem sehr erheblichen Umstand: während<lb/> dieses dem unmittelbaren Antriebe des einzelnen Falls folgen muß, kann<lb/> jenes sich nach allgemeinen Begriffen, nach Regeln, nach Maximen bestimmen.<lb/> Dies Vermögen ist nichts Anderes als die Freiheit. Es wird nicht außerhalb,<lb/> sondern in der Natur stehen und daher für andere Geister auflösbar sein; für<lb/> unser Denken dagegen ist es nicht auflösbar, und wir haben auch praktisch<lb/> nicht das geringste Interesse, es aufzulösen. Das menschliche Handeln, seine<lb/> Sitten, aber auch seine Vergnügungen, seine Kunst u. s. w. gehen alle von<lb/> diesem transscendentalen Begriff der Freiheit aus, von dem Begriff eines recht¬<lb/> lich zurechnungsfähigen Wesens, das, gemüthlich und künstlerisch betrachtet,<lb/> mit seinen Schicksalen und Thaten unsere Theilnahme in Anspruch nimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_895" next="#ID_896"> Wie ganz anders Buckle die Sache betrachtet, ergibt sich aus seiner<lb/> weitern Deduction (Seite 22): „Es ist Thatsache, daß in Hinsicht der Ver¬<lb/> brechen dieselben Zahlen mit einer unverkennbaren Stetigkeit wiederkehren,<lb/> und daß dies selbst mit solchen Verbrechen der Fall ist, welche von mensch¬<lb/> licher Berechnung ganz unabhängig zu sein scheinen, z. B. mit Morden, die<lb/> gewöhnlich nach Streitigkeiten begangen werden, welche aus scheinbar zufälligen<lb/> Umständen entspringen. Dennoch wissen wir aus Erfahrung, daß jedes Jahr<lb/> nicht nur fast dieselben Morde stattfinden, sondern daß sogar die Instrumente,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
wurde von dem und dem Mann ein Buel) geschrieben, welches von den christ-
lichen Vorurtheilen so und so viel überwand, so und so viel beibehielt, dann
nach einigen Jahren folgte ein neues Buch, welches mehr Vorurtheile über¬
wand und weniger beibehielt u. s. w. In dieser Methode liegt nichts Neues;
und daß er eigentlich versuchen sollte, die Nothwendigkeit dieses Factums
aus physiologischen Gesetzen nachzuweisen, das hat Buckle ganz vergessen.
Da also durch seine Ansicht von der menschlichen Freiheit weder für die
Geschichtsschreibung noch für die Geschichtsforschung irgend etwas gewonnen
wird, so haben wir wol Grund, bei ihr eine andere Tendenz vorauszusetzen;
und die hat sie in der That, und zwar, so wenig wir die gute Gesinnung
des Verfassers in Zweifel stellen wollen, eine höchst schädliche und verwerfliche
Tendenz. Es handelt sich nämlich, wie bei unsern Materialisten überhaupt,
darum, die Würde des menschlichen Handelns herabzusetzen und die Sittlich¬
keit als etwas für den höheren Gesichtspunkt Gleichgültiges oder unter Um¬
ständen wohl sogar Schädliches darzustellen.
Um zu verstehen, was er eigentlich damit meint, müssen wir etwas tiefer
zurückgehen. Er geht bei diesen Untersuchungen häusig auf Kant zurück, und
wundert sich nicht wenig darüber, daß ein so logischer Denker den Begriff der
Freiheit, den er eigentlich hätte leugnen sollen, als einen transscendentalen
Begriff fortbestehn ließ. Kant wußte aber sehr wohl was er damit meinte.
Das Willensvermögen der Menschen unterscheidet sich von dem Willens-
vermögen der Thiere wenigstens in einem sehr erheblichen Umstand: während
dieses dem unmittelbaren Antriebe des einzelnen Falls folgen muß, kann
jenes sich nach allgemeinen Begriffen, nach Regeln, nach Maximen bestimmen.
Dies Vermögen ist nichts Anderes als die Freiheit. Es wird nicht außerhalb,
sondern in der Natur stehen und daher für andere Geister auflösbar sein; für
unser Denken dagegen ist es nicht auflösbar, und wir haben auch praktisch
nicht das geringste Interesse, es aufzulösen. Das menschliche Handeln, seine
Sitten, aber auch seine Vergnügungen, seine Kunst u. s. w. gehen alle von
diesem transscendentalen Begriff der Freiheit aus, von dem Begriff eines recht¬
lich zurechnungsfähigen Wesens, das, gemüthlich und künstlerisch betrachtet,
mit seinen Schicksalen und Thaten unsere Theilnahme in Anspruch nimmt.
Wie ganz anders Buckle die Sache betrachtet, ergibt sich aus seiner
weitern Deduction (Seite 22): „Es ist Thatsache, daß in Hinsicht der Ver¬
brechen dieselben Zahlen mit einer unverkennbaren Stetigkeit wiederkehren,
und daß dies selbst mit solchen Verbrechen der Fall ist, welche von mensch¬
licher Berechnung ganz unabhängig zu sein scheinen, z. B. mit Morden, die
gewöhnlich nach Streitigkeiten begangen werden, welche aus scheinbar zufälligen
Umständen entspringen. Dennoch wissen wir aus Erfahrung, daß jedes Jahr
nicht nur fast dieselben Morde stattfinden, sondern daß sogar die Instrumente,
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