Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die einheimischen Truppen waren schwach an Zahl, schlecht geübt, schlecht
besoldet und unzuverlässig, die Fremdenregimenter gut und fest, aber von den
übrigen Soldaten beneidet, dem Volke mißliebig, für den Staatsschatz eine
schwere Last. Der Handel dürftig, große Industrie nicht vorhanden, der
Schmuggel geordneter und stärker als die Finanzverwaltung. Die Schulen
mit wenigen Ausnahmen von Klerikern geleitet, die höhern Lehranstalten von
Jesuiten. Unterricht und Erziehung durchaus ungenügend, auch in der Reli¬
gion: Hülse, nicht Kern. Die Presse unter der dreifachen Censur der In¬
quisition, der Bischöfe und des Staates kaum noch im Stande zu seufzen.
Die Polizei willkürlich, nur sinnreich, und rührig, wenn es die Liberalen zu
placken galt, aber Stadt und Land ohne Sicherheit vor den kaum zurückge¬
haltenen Räuberbanden. Statistik keine, alle Kanzleien in Unordnung. Da¬
bei schwere Auflagen und Steuern und diese übel vertheilt, beinahe nur
dem Grundbesitz aufgebürdet. Das Wachsthum des Volkswohlstandes ge¬
hemmt durch üble ökonomische Gesetze, Verhinderung der Eisenbahnen,
Unbeweglichkeit der großen Besitzungen.. Hierzu Mangel an Gesetzbüchern,
Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetz, viele Immunitäten und Privi¬
legien, die Verwaltung der Gerechtigkeit verwickelt, langsam, kostspielig,
zweifelhaft. Ferner -eine öffentliche Schuld von 38 Millionen Scudi, mit
fünf Procent zu verzinsen, ein jährliches Deficit von mindestens einer Mil¬
lion, keine Rechnungsablegung des Staatsschatzes. Der gebildeten Jugend
die Laufbahn der Waffen verschlossen, da sie keine Ehre bringt und von frem¬
den Söldnern befleckt wird, ebenso die der Diplomatie als Privilegium des
Klerus, ebenso im Grunde die der Administration und der Magistratur, weil
-nur der Geistliche hier höhere Stufen betreten darf. Ferner Tausende und
aber Tausende von Bürgern verwarnt und dadurch von jedem ehren- und
gewinnbringenden Amt in Staat und Gemeinde ausgeschlossen, an zweitau¬
send Verbannte, Eingekerkerte und andere aus politischen Gründen Verurtheilte.
Die Militürcommissionen permanent.

Der hohe Adel in Rom ehrerbietig gegen das Papstthum als eine Ein¬
richtung, deren alte Ehrenrechte er anerkennt, aber kein Freund des absoluten
Vorherrschen? der Priesterkaste, selbst nicht thätig, nicht hervorragend durch
Bildung und Tugend. Der Adel in den Provinzen theils gleichgültig gegen
die päpstliche Negierung, theils ihr abgeneigt, häusig verschworen gegen sie.
In Rom ein kleiner Theil des Bürgerstandes durch Vermögen und Stellung
unabhängig und dieser ohne Liebe zur Regierung, viele Clienten und Diener
der Prälaten, viele, die mit Mißbräuchen Handel treiben, zahlreich der Kreis
der Zungendrescher und der Doppelzüngigen, eine weiche Masse, lendenlahm,


Grenzboten I. 1360, 37

Die einheimischen Truppen waren schwach an Zahl, schlecht geübt, schlecht
besoldet und unzuverlässig, die Fremdenregimenter gut und fest, aber von den
übrigen Soldaten beneidet, dem Volke mißliebig, für den Staatsschatz eine
schwere Last. Der Handel dürftig, große Industrie nicht vorhanden, der
Schmuggel geordneter und stärker als die Finanzverwaltung. Die Schulen
mit wenigen Ausnahmen von Klerikern geleitet, die höhern Lehranstalten von
Jesuiten. Unterricht und Erziehung durchaus ungenügend, auch in der Reli¬
gion: Hülse, nicht Kern. Die Presse unter der dreifachen Censur der In¬
quisition, der Bischöfe und des Staates kaum noch im Stande zu seufzen.
Die Polizei willkürlich, nur sinnreich, und rührig, wenn es die Liberalen zu
placken galt, aber Stadt und Land ohne Sicherheit vor den kaum zurückge¬
haltenen Räuberbanden. Statistik keine, alle Kanzleien in Unordnung. Da¬
bei schwere Auflagen und Steuern und diese übel vertheilt, beinahe nur
dem Grundbesitz aufgebürdet. Das Wachsthum des Volkswohlstandes ge¬
hemmt durch üble ökonomische Gesetze, Verhinderung der Eisenbahnen,
Unbeweglichkeit der großen Besitzungen.. Hierzu Mangel an Gesetzbüchern,
Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetz, viele Immunitäten und Privi¬
legien, die Verwaltung der Gerechtigkeit verwickelt, langsam, kostspielig,
zweifelhaft. Ferner -eine öffentliche Schuld von 38 Millionen Scudi, mit
fünf Procent zu verzinsen, ein jährliches Deficit von mindestens einer Mil¬
lion, keine Rechnungsablegung des Staatsschatzes. Der gebildeten Jugend
die Laufbahn der Waffen verschlossen, da sie keine Ehre bringt und von frem¬
den Söldnern befleckt wird, ebenso die der Diplomatie als Privilegium des
Klerus, ebenso im Grunde die der Administration und der Magistratur, weil
-nur der Geistliche hier höhere Stufen betreten darf. Ferner Tausende und
aber Tausende von Bürgern verwarnt und dadurch von jedem ehren- und
gewinnbringenden Amt in Staat und Gemeinde ausgeschlossen, an zweitau¬
send Verbannte, Eingekerkerte und andere aus politischen Gründen Verurtheilte.
Die Militürcommissionen permanent.

Der hohe Adel in Rom ehrerbietig gegen das Papstthum als eine Ein¬
richtung, deren alte Ehrenrechte er anerkennt, aber kein Freund des absoluten
Vorherrschen? der Priesterkaste, selbst nicht thätig, nicht hervorragend durch
Bildung und Tugend. Der Adel in den Provinzen theils gleichgültig gegen
die päpstliche Negierung, theils ihr abgeneigt, häusig verschworen gegen sie.
In Rom ein kleiner Theil des Bürgerstandes durch Vermögen und Stellung
unabhängig und dieser ohne Liebe zur Regierung, viele Clienten und Diener
der Prälaten, viele, die mit Mißbräuchen Handel treiben, zahlreich der Kreis
der Zungendrescher und der Doppelzüngigen, eine weiche Masse, lendenlahm,


Grenzboten I. 1360, 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109023"/>
          <p xml:id="ID_849" prev="#ID_848"> Die einheimischen Truppen waren schwach an Zahl, schlecht geübt, schlecht<lb/>
besoldet und unzuverlässig, die Fremdenregimenter gut und fest, aber von den<lb/>
übrigen Soldaten beneidet, dem Volke mißliebig, für den Staatsschatz eine<lb/>
schwere Last. Der Handel dürftig, große Industrie nicht vorhanden, der<lb/>
Schmuggel geordneter und stärker als die Finanzverwaltung. Die Schulen<lb/>
mit wenigen Ausnahmen von Klerikern geleitet, die höhern Lehranstalten von<lb/>
Jesuiten. Unterricht und Erziehung durchaus ungenügend, auch in der Reli¬<lb/>
gion: Hülse, nicht Kern. Die Presse unter der dreifachen Censur der In¬<lb/>
quisition, der Bischöfe und des Staates kaum noch im Stande zu seufzen.<lb/>
Die Polizei willkürlich, nur sinnreich, und rührig, wenn es die Liberalen zu<lb/>
placken galt, aber Stadt und Land ohne Sicherheit vor den kaum zurückge¬<lb/>
haltenen Räuberbanden. Statistik keine, alle Kanzleien in Unordnung. Da¬<lb/>
bei schwere Auflagen und Steuern und diese übel vertheilt, beinahe nur<lb/>
dem Grundbesitz aufgebürdet. Das Wachsthum des Volkswohlstandes ge¬<lb/>
hemmt durch üble ökonomische Gesetze, Verhinderung der Eisenbahnen,<lb/>
Unbeweglichkeit der großen Besitzungen.. Hierzu Mangel an Gesetzbüchern,<lb/>
Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetz, viele Immunitäten und Privi¬<lb/>
legien, die Verwaltung der Gerechtigkeit verwickelt, langsam, kostspielig,<lb/>
zweifelhaft. Ferner -eine öffentliche Schuld von 38 Millionen Scudi, mit<lb/>
fünf Procent zu verzinsen, ein jährliches Deficit von mindestens einer Mil¬<lb/>
lion, keine Rechnungsablegung des Staatsschatzes. Der gebildeten Jugend<lb/>
die Laufbahn der Waffen verschlossen, da sie keine Ehre bringt und von frem¬<lb/>
den Söldnern befleckt wird, ebenso die der Diplomatie als Privilegium des<lb/>
Klerus, ebenso im Grunde die der Administration und der Magistratur, weil<lb/>
-nur der Geistliche hier höhere Stufen betreten darf. Ferner Tausende und<lb/>
aber Tausende von Bürgern verwarnt und dadurch von jedem ehren- und<lb/>
gewinnbringenden Amt in Staat und Gemeinde ausgeschlossen, an zweitau¬<lb/>
send Verbannte, Eingekerkerte und andere aus politischen Gründen Verurtheilte.<lb/>
Die Militürcommissionen permanent.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_850" next="#ID_851"> Der hohe Adel in Rom ehrerbietig gegen das Papstthum als eine Ein¬<lb/>
richtung, deren alte Ehrenrechte er anerkennt, aber kein Freund des absoluten<lb/>
Vorherrschen? der Priesterkaste, selbst nicht thätig, nicht hervorragend durch<lb/>
Bildung und Tugend. Der Adel in den Provinzen theils gleichgültig gegen<lb/>
die päpstliche Negierung, theils ihr abgeneigt, häusig verschworen gegen sie.<lb/>
In Rom ein kleiner Theil des Bürgerstandes durch Vermögen und Stellung<lb/>
unabhängig und dieser ohne Liebe zur Regierung, viele Clienten und Diener<lb/>
der Prälaten, viele, die mit Mißbräuchen Handel treiben, zahlreich der Kreis<lb/>
der Zungendrescher und der Doppelzüngigen, eine weiche Masse, lendenlahm,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1360, 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Die einheimischen Truppen waren schwach an Zahl, schlecht geübt, schlecht besoldet und unzuverlässig, die Fremdenregimenter gut und fest, aber von den übrigen Soldaten beneidet, dem Volke mißliebig, für den Staatsschatz eine schwere Last. Der Handel dürftig, große Industrie nicht vorhanden, der Schmuggel geordneter und stärker als die Finanzverwaltung. Die Schulen mit wenigen Ausnahmen von Klerikern geleitet, die höhern Lehranstalten von Jesuiten. Unterricht und Erziehung durchaus ungenügend, auch in der Reli¬ gion: Hülse, nicht Kern. Die Presse unter der dreifachen Censur der In¬ quisition, der Bischöfe und des Staates kaum noch im Stande zu seufzen. Die Polizei willkürlich, nur sinnreich, und rührig, wenn es die Liberalen zu placken galt, aber Stadt und Land ohne Sicherheit vor den kaum zurückge¬ haltenen Räuberbanden. Statistik keine, alle Kanzleien in Unordnung. Da¬ bei schwere Auflagen und Steuern und diese übel vertheilt, beinahe nur dem Grundbesitz aufgebürdet. Das Wachsthum des Volkswohlstandes ge¬ hemmt durch üble ökonomische Gesetze, Verhinderung der Eisenbahnen, Unbeweglichkeit der großen Besitzungen.. Hierzu Mangel an Gesetzbüchern, Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetz, viele Immunitäten und Privi¬ legien, die Verwaltung der Gerechtigkeit verwickelt, langsam, kostspielig, zweifelhaft. Ferner -eine öffentliche Schuld von 38 Millionen Scudi, mit fünf Procent zu verzinsen, ein jährliches Deficit von mindestens einer Mil¬ lion, keine Rechnungsablegung des Staatsschatzes. Der gebildeten Jugend die Laufbahn der Waffen verschlossen, da sie keine Ehre bringt und von frem¬ den Söldnern befleckt wird, ebenso die der Diplomatie als Privilegium des Klerus, ebenso im Grunde die der Administration und der Magistratur, weil -nur der Geistliche hier höhere Stufen betreten darf. Ferner Tausende und aber Tausende von Bürgern verwarnt und dadurch von jedem ehren- und gewinnbringenden Amt in Staat und Gemeinde ausgeschlossen, an zweitau¬ send Verbannte, Eingekerkerte und andere aus politischen Gründen Verurtheilte. Die Militürcommissionen permanent. Der hohe Adel in Rom ehrerbietig gegen das Papstthum als eine Ein¬ richtung, deren alte Ehrenrechte er anerkennt, aber kein Freund des absoluten Vorherrschen? der Priesterkaste, selbst nicht thätig, nicht hervorragend durch Bildung und Tugend. Der Adel in den Provinzen theils gleichgültig gegen die päpstliche Negierung, theils ihr abgeneigt, häusig verschworen gegen sie. In Rom ein kleiner Theil des Bürgerstandes durch Vermögen und Stellung unabhängig und dieser ohne Liebe zur Regierung, viele Clienten und Diener der Prälaten, viele, die mit Mißbräuchen Handel treiben, zahlreich der Kreis der Zungendrescher und der Doppelzüngigen, eine weiche Masse, lendenlahm, Grenzboten I. 1360, 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/301>, abgerufen am 23.07.2024.