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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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So ist der leitende Gedanke der Päpste bei ihrer weltlichen Regierung
in allem Wesentlichen unabänderlich derselbe geblieben. Der Kirchenstaat soll
in der alten Ordnung und in völliger Ruhe erhalten werden, damit seine
Lenker volle Zeit finden, der Kirche neue Triumphe zu bereiten. Wie in der
Kirche nur der Priester am Altar und auf der Kanzel das Wort hat, so soll
auch im Staate, in der Kanzlei und in dem Tribunal ihm allein zu reden
und zu handeln gestattet sein. Es ist wahr, daß Pius der Siebente die
Rechtspflege verbessert, die Steuerlast vermindert und den Verkehr in einigen
Beziehungen gefördert, daß Leo der Zwölfte eine bürgerliche Proceßordnung
erlassen, daß selbst Gregor der Sechzehnte gewisse Reformen vorgenommen
hat. Aber einerseits wurden diese Fortschritte durch weit mehr ausgreifende
Rückschritte ausgeglichen, andrerseits sind sast alle guten Verfügungen auf dem
Papier geblieben oder durch geflissentlich verfehlte Ausführung illusorisch ge¬
worden. Um die Römer mit diesem Stillstand der öffentlichen Zustände zu
versöhnen, gibt man ihnen wie einst ihren Vorfahren xanem 6t eireensss --
den Armen Almosen, den Uebrigen prachtvolle Kirchenfeste. Statt die Arbeit
zu fördern nährt man den Bettel, statt Schulen zu gründen öffnet man der
Trägheit und Unwissenheit, die sich nicht selbst zu helfen gelernt hat, milde
Stiftungen. Verdienst und Gewinn wird von den Fremden erwartet, und
diese stellen sich denn auch zahlreich ein, da Rom ein Museum der edelsten
Kunstwerke, der werthvollsten Alterthümer und zugleich ein großes kirchliches
Theater ist, welches namentlich in der Osterzeit Scenen bietet, die man sonst
nirgends sieht. Wer mit allen diesen Entschädigungen noch nicht zufrieden¬
gestellt ist, für den hat jede Regierungsperiode wenigstens einen großen Glanz¬
punkt. Unter Pius dem Siebenten feierte Rom die Rückkehr des Papstes aus
der Verbannung, unter Leo dem Zwölften das Jubeljahr, unter Pius dem
Achten die Emancipation der irischen Katholiken, unter Gregor dem Sechzehnten
den Besuch, den der russische Kaiserpapst der ewigen Stadt abstattete.

Die Römer sind der Mehrzahl nach undankbar genug, auch diese großen
Dinge nicht als Aequivalent für das ihnen Versagte gelten zu lassen, und
wie sehr wir auch geneigt sind, zu entschuldigen, wir müssen in ihrer Meinung
Verstand finden. Werfen wir einen Blick aus das Bild des Kirchenstaates
zur Zeit des Ablebens Gregor des Sechzehnten. Die Bevölkerung war durch
das ganze Land in zwei streng geschiedene Lager getheilt. Die Liberalen,
durch fremde Gewalt niedergeworfen, verfolgt, bedroht und gebunden, bezähm¬
ten mit Mühe ihren Haß und ihre Rachsucht. Die Scmfedisten (Treubündler
mit blutiger, oft schmutziger Vergangenheit) benutzten mit dummdreistem Ueber¬
muth ihre Uebermacht. Die wenigen Freidcnkenden versuchten die schlechte
Regierung durch gesetzlichen Widerstand zu bekämpfen, der honette und tingere
Theil der Päpstlichgesinnten hielt einige Zugeständnisse für unumgänglich.


So ist der leitende Gedanke der Päpste bei ihrer weltlichen Regierung
in allem Wesentlichen unabänderlich derselbe geblieben. Der Kirchenstaat soll
in der alten Ordnung und in völliger Ruhe erhalten werden, damit seine
Lenker volle Zeit finden, der Kirche neue Triumphe zu bereiten. Wie in der
Kirche nur der Priester am Altar und auf der Kanzel das Wort hat, so soll
auch im Staate, in der Kanzlei und in dem Tribunal ihm allein zu reden
und zu handeln gestattet sein. Es ist wahr, daß Pius der Siebente die
Rechtspflege verbessert, die Steuerlast vermindert und den Verkehr in einigen
Beziehungen gefördert, daß Leo der Zwölfte eine bürgerliche Proceßordnung
erlassen, daß selbst Gregor der Sechzehnte gewisse Reformen vorgenommen
hat. Aber einerseits wurden diese Fortschritte durch weit mehr ausgreifende
Rückschritte ausgeglichen, andrerseits sind sast alle guten Verfügungen auf dem
Papier geblieben oder durch geflissentlich verfehlte Ausführung illusorisch ge¬
worden. Um die Römer mit diesem Stillstand der öffentlichen Zustände zu
versöhnen, gibt man ihnen wie einst ihren Vorfahren xanem 6t eireensss —
den Armen Almosen, den Uebrigen prachtvolle Kirchenfeste. Statt die Arbeit
zu fördern nährt man den Bettel, statt Schulen zu gründen öffnet man der
Trägheit und Unwissenheit, die sich nicht selbst zu helfen gelernt hat, milde
Stiftungen. Verdienst und Gewinn wird von den Fremden erwartet, und
diese stellen sich denn auch zahlreich ein, da Rom ein Museum der edelsten
Kunstwerke, der werthvollsten Alterthümer und zugleich ein großes kirchliches
Theater ist, welches namentlich in der Osterzeit Scenen bietet, die man sonst
nirgends sieht. Wer mit allen diesen Entschädigungen noch nicht zufrieden¬
gestellt ist, für den hat jede Regierungsperiode wenigstens einen großen Glanz¬
punkt. Unter Pius dem Siebenten feierte Rom die Rückkehr des Papstes aus
der Verbannung, unter Leo dem Zwölften das Jubeljahr, unter Pius dem
Achten die Emancipation der irischen Katholiken, unter Gregor dem Sechzehnten
den Besuch, den der russische Kaiserpapst der ewigen Stadt abstattete.

Die Römer sind der Mehrzahl nach undankbar genug, auch diese großen
Dinge nicht als Aequivalent für das ihnen Versagte gelten zu lassen, und
wie sehr wir auch geneigt sind, zu entschuldigen, wir müssen in ihrer Meinung
Verstand finden. Werfen wir einen Blick aus das Bild des Kirchenstaates
zur Zeit des Ablebens Gregor des Sechzehnten. Die Bevölkerung war durch
das ganze Land in zwei streng geschiedene Lager getheilt. Die Liberalen,
durch fremde Gewalt niedergeworfen, verfolgt, bedroht und gebunden, bezähm¬
ten mit Mühe ihren Haß und ihre Rachsucht. Die Scmfedisten (Treubündler
mit blutiger, oft schmutziger Vergangenheit) benutzten mit dummdreistem Ueber¬
muth ihre Uebermacht. Die wenigen Freidcnkenden versuchten die schlechte
Regierung durch gesetzlichen Widerstand zu bekämpfen, der honette und tingere
Theil der Päpstlichgesinnten hielt einige Zugeständnisse für unumgänglich.


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[0300] So ist der leitende Gedanke der Päpste bei ihrer weltlichen Regierung in allem Wesentlichen unabänderlich derselbe geblieben. Der Kirchenstaat soll in der alten Ordnung und in völliger Ruhe erhalten werden, damit seine Lenker volle Zeit finden, der Kirche neue Triumphe zu bereiten. Wie in der Kirche nur der Priester am Altar und auf der Kanzel das Wort hat, so soll auch im Staate, in der Kanzlei und in dem Tribunal ihm allein zu reden und zu handeln gestattet sein. Es ist wahr, daß Pius der Siebente die Rechtspflege verbessert, die Steuerlast vermindert und den Verkehr in einigen Beziehungen gefördert, daß Leo der Zwölfte eine bürgerliche Proceßordnung erlassen, daß selbst Gregor der Sechzehnte gewisse Reformen vorgenommen hat. Aber einerseits wurden diese Fortschritte durch weit mehr ausgreifende Rückschritte ausgeglichen, andrerseits sind sast alle guten Verfügungen auf dem Papier geblieben oder durch geflissentlich verfehlte Ausführung illusorisch ge¬ worden. Um die Römer mit diesem Stillstand der öffentlichen Zustände zu versöhnen, gibt man ihnen wie einst ihren Vorfahren xanem 6t eireensss — den Armen Almosen, den Uebrigen prachtvolle Kirchenfeste. Statt die Arbeit zu fördern nährt man den Bettel, statt Schulen zu gründen öffnet man der Trägheit und Unwissenheit, die sich nicht selbst zu helfen gelernt hat, milde Stiftungen. Verdienst und Gewinn wird von den Fremden erwartet, und diese stellen sich denn auch zahlreich ein, da Rom ein Museum der edelsten Kunstwerke, der werthvollsten Alterthümer und zugleich ein großes kirchliches Theater ist, welches namentlich in der Osterzeit Scenen bietet, die man sonst nirgends sieht. Wer mit allen diesen Entschädigungen noch nicht zufrieden¬ gestellt ist, für den hat jede Regierungsperiode wenigstens einen großen Glanz¬ punkt. Unter Pius dem Siebenten feierte Rom die Rückkehr des Papstes aus der Verbannung, unter Leo dem Zwölften das Jubeljahr, unter Pius dem Achten die Emancipation der irischen Katholiken, unter Gregor dem Sechzehnten den Besuch, den der russische Kaiserpapst der ewigen Stadt abstattete. Die Römer sind der Mehrzahl nach undankbar genug, auch diese großen Dinge nicht als Aequivalent für das ihnen Versagte gelten zu lassen, und wie sehr wir auch geneigt sind, zu entschuldigen, wir müssen in ihrer Meinung Verstand finden. Werfen wir einen Blick aus das Bild des Kirchenstaates zur Zeit des Ablebens Gregor des Sechzehnten. Die Bevölkerung war durch das ganze Land in zwei streng geschiedene Lager getheilt. Die Liberalen, durch fremde Gewalt niedergeworfen, verfolgt, bedroht und gebunden, bezähm¬ ten mit Mühe ihren Haß und ihre Rachsucht. Die Scmfedisten (Treubündler mit blutiger, oft schmutziger Vergangenheit) benutzten mit dummdreistem Ueber¬ muth ihre Uebermacht. Die wenigen Freidcnkenden versuchten die schlechte Regierung durch gesetzlichen Widerstand zu bekämpfen, der honette und tingere Theil der Päpstlichgesinnten hielt einige Zugeständnisse für unumgänglich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/300>, abgerufen am 23.07.2024.