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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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weil ja >,die Meißner, die Leipziger und Hallenser nach der gemeinen Mein¬
ung in dem Besitz der besten Aussprache waren." Er selbst spottet zwar über
diese "bescheidne Meinung einiger Meißner und ihrer Schmeichler." und kommt
zu dem Schluß, "daß die Gelehrten in der Mark im Durchschnitt genommen
weniger Provinzialfehler haben als die Sachsen;" zuletzt aber stellt er doch
beide gleich: "Da Sachsen und die in Ansehung der Sprache zur Mark Branden¬
burg gehörenden Länder die meisten und ersten guten Schriften in deutscher
Sprache geliefert haben: so haben sie beide ein nahes Recht, über die Strei¬
tigkeiten der übrigen Provinzen zu urtheilen. Gibt es indessen eine allge¬
meine hochdeutsche Sprache, so muß entweder die sächsische oder die märkische
Mundart den Ausschlag geben, wenn die andern Mundarten streitig sind."
Lichtenberg spricht einmal von einer gewünschten ausreichenden Uebersetzung
Shakespeares, und welche mühsame Vorbereitung dazu nöthig wäre: "So
wünschte ich wohl, daß ein Deutscher, der seine Nation und die englische gut
kennt, uns ein Werkchen über Shakespears Flüche gäbe, und sie uns durch
ähnliche, z. E. für Obersachsen, übersetzte -- denn für Deutschland überhaupt
müssen wir nicht rechnen, weil wir kein London oder Paris haben."

In einem seiner Zeit vielgelesenen Roman: ,>Sophiens Reise von Memel
nach Sachsen", v. I. 1770, läßt der Verf. Hermes, ein Pommer von Ge-
burt, eine gebildete Gesellschaft im Postwagen von dem raschen Aufschwung
der deutschen Literatur reden, und auch die Sprachfrage wird dabei verhandelt;
die Heldin des Romans, Sophie, spricht sich aus: "Sachsen gab, wie ich
glaube, die Reinigkeit, Berlin und Braunschweig den galanten, und Göttin¬
gen den gelehrten Reichthum der Sprache." Weiterhin wird gefragt: Wär
es aber nicht gut, wenn man auf die Vollkommenheit einer Sprachlehre mehr
dächte? "Ich glaube nicht, daß das nöthig ist, erwidert eins. Wer bedacht¬
sam liefet, der schreibt wie man in denjenigen Städten schreibt, die einmal
im Besitz sind, richtig zu schreiben, und spricht wie man in Meißen spricht.....
Ich glaube, werkein Sachse ist, muß sich bemühen so sprechen zu lernen, daß
man wenigstens seine Landsmannschaft nicht errathe. Wollte man übrigens in
Sachsen das Gute aus Westphalen, Braunschweig und Pommern annehmen:
so hätte man die einzige reine Sprache, die gleich geschrieben und gesprochen
wird." Der Verfasser selbst bringt freilich späterhin eine Verspottung der
Leipziger Mundart nach.

In den Briefen die neueste Literatur betreffend wird im 7. Bande v. I.
1760 das Werk eines Franzosen ?romoutvÄ besprochen, das vom Verfall der
franz. Sprache handelt; derselbe kommt dabei auch auf die Ausbildung der
deutschen Sprache zu reden, er vermißt für sie eine Reichshauptstadt als
Mittelpunkt und äußert: "Sollte es der Dresdner Hof sein, wie man sagt?
Aber ich finde nicht, daß man dieses in Berlin zugibt, zu geschweige" daß


weil ja >,die Meißner, die Leipziger und Hallenser nach der gemeinen Mein¬
ung in dem Besitz der besten Aussprache waren." Er selbst spottet zwar über
diese „bescheidne Meinung einiger Meißner und ihrer Schmeichler." und kommt
zu dem Schluß, „daß die Gelehrten in der Mark im Durchschnitt genommen
weniger Provinzialfehler haben als die Sachsen;" zuletzt aber stellt er doch
beide gleich: „Da Sachsen und die in Ansehung der Sprache zur Mark Branden¬
burg gehörenden Länder die meisten und ersten guten Schriften in deutscher
Sprache geliefert haben: so haben sie beide ein nahes Recht, über die Strei¬
tigkeiten der übrigen Provinzen zu urtheilen. Gibt es indessen eine allge¬
meine hochdeutsche Sprache, so muß entweder die sächsische oder die märkische
Mundart den Ausschlag geben, wenn die andern Mundarten streitig sind."
Lichtenberg spricht einmal von einer gewünschten ausreichenden Uebersetzung
Shakespeares, und welche mühsame Vorbereitung dazu nöthig wäre: „So
wünschte ich wohl, daß ein Deutscher, der seine Nation und die englische gut
kennt, uns ein Werkchen über Shakespears Flüche gäbe, und sie uns durch
ähnliche, z. E. für Obersachsen, übersetzte — denn für Deutschland überhaupt
müssen wir nicht rechnen, weil wir kein London oder Paris haben."

In einem seiner Zeit vielgelesenen Roman: ,>Sophiens Reise von Memel
nach Sachsen", v. I. 1770, läßt der Verf. Hermes, ein Pommer von Ge-
burt, eine gebildete Gesellschaft im Postwagen von dem raschen Aufschwung
der deutschen Literatur reden, und auch die Sprachfrage wird dabei verhandelt;
die Heldin des Romans, Sophie, spricht sich aus: „Sachsen gab, wie ich
glaube, die Reinigkeit, Berlin und Braunschweig den galanten, und Göttin¬
gen den gelehrten Reichthum der Sprache." Weiterhin wird gefragt: Wär
es aber nicht gut, wenn man auf die Vollkommenheit einer Sprachlehre mehr
dächte? „Ich glaube nicht, daß das nöthig ist, erwidert eins. Wer bedacht¬
sam liefet, der schreibt wie man in denjenigen Städten schreibt, die einmal
im Besitz sind, richtig zu schreiben, und spricht wie man in Meißen spricht.....
Ich glaube, werkein Sachse ist, muß sich bemühen so sprechen zu lernen, daß
man wenigstens seine Landsmannschaft nicht errathe. Wollte man übrigens in
Sachsen das Gute aus Westphalen, Braunschweig und Pommern annehmen:
so hätte man die einzige reine Sprache, die gleich geschrieben und gesprochen
wird." Der Verfasser selbst bringt freilich späterhin eine Verspottung der
Leipziger Mundart nach.

In den Briefen die neueste Literatur betreffend wird im 7. Bande v. I.
1760 das Werk eines Franzosen ?romoutvÄ besprochen, das vom Verfall der
franz. Sprache handelt; derselbe kommt dabei auch auf die Ausbildung der
deutschen Sprache zu reden, er vermißt für sie eine Reichshauptstadt als
Mittelpunkt und äußert: „Sollte es der Dresdner Hof sein, wie man sagt?
Aber ich finde nicht, daß man dieses in Berlin zugibt, zu geschweige» daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/115>, abgerufen am 23.07.2024.