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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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1797. Adelungs Satz, er läßt in der Epigrammenreihe ,,Die Flüsse" die Elbe
sich rühmen:


All ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch -- unter den Flüssen
Deutschlands rede nur ich, und auch in Meißen nur deutsch.

Schärfer Jean Paul, in der Vorschule der Aesthetik v. I. 1804, da er von
Bildung neuer Wörter spricht: "Adelung selber hingegen, so wie den Meißner
Classen -- als den Kreisgusschreibenden Sprachmächten und Reichsvikarien und
Neichsoberhäuptern des Deutschen -- will das Einführen und Vorstellen von
Neulingen weniger gelingen; fast leichter bringt ein Wort sie als sie dieses in Gayg.
Adelung hatte z. B. einiges Verlangen geäußert, das neue Wort Gemüths?
Stellung statt Stimmung -- das er folglich höhern Orts her hatte, weil seines
Wissens nur die höhern Meißner Classen die Sprache bilden -- etwan gemein
in den tiefern Classen, nämlich unter den Autoren, uyd dadurch allgemein zu
machen; noch liegt das Wort bei ihm und wird nicht gangbar." Goethe spricht
sich in dem späten Bericht von seiner Studienzeit in Leipzig, aus d. I. 1810,
Über Meißens Anspruch als über etwas Abgethanes aus: "Jede Provinz, sagt
er, liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem
die Seele ihren Athem schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die meißmsche
Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang auszuschließen gewußt,
ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Re-
gimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämmt¬
lichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt." Doch darf wol dem
gegenüber nicht unerinnert bleiben, wie von den großen Anführern der neuen
Sprachperiode einer selbst ein Sachse war, Lessing, wie mehrere von ihnen,
Lessing, Klopstock, Goethe und Jean Paul, selbst in Obersachsey ihre stni-
versitätsbildung erhalten hatten, und wie die bedeutendsten in einer Stadt des
sächsischen Thüringens ihren eigentlich entscheidenden Wirkungskreis fanden;
Goethe gerade hat ja als Student in Leipzig die Schule des feinern ober¬
sächsischen Geschmacks an sich durchmachen müssen, wie er selbst berichtet, und
Schiller hat für seine Schriften längere Zeit einen Sachsen mannigfach zum
Nachbesserer gehabt auch in sprachlichen Dingen, seinen Freund Körner. Auch
ist bekannt, wie Adelungs sprachwissenschaftliche Schriften, die durchaus auf
seinen Grundsatz ausgebaut waren, eine breite Geltung als maßgebend ge¬
wannen Wie keine vorher, ja sie theilweise noch heute haben.

Aber er hatte seinen Satz von dem Werthe des meißnischen Deutsch nicht
erfunden, er fand ihn vor. Ein ziemlich gleichzeitiger deutscher Sprachforscher,
I. Fr. Heynatz, handelt in einem Buche von 1771: "Briefe die deutsche
Sprache betreffend," einleitend u. a. von der Frage, ob ein Märker eine
deutsche Grammatik schreiben könne, wie er selbst, ein Märker, Prof. in Frank¬
furt a. O., gethan hatte; ein Freund hatte ihm diese Frage entgegengehalten,


1797. Adelungs Satz, er läßt in der Epigrammenreihe ,,Die Flüsse" die Elbe
sich rühmen:


All ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch — unter den Flüssen
Deutschlands rede nur ich, und auch in Meißen nur deutsch.

Schärfer Jean Paul, in der Vorschule der Aesthetik v. I. 1804, da er von
Bildung neuer Wörter spricht: „Adelung selber hingegen, so wie den Meißner
Classen — als den Kreisgusschreibenden Sprachmächten und Reichsvikarien und
Neichsoberhäuptern des Deutschen — will das Einführen und Vorstellen von
Neulingen weniger gelingen; fast leichter bringt ein Wort sie als sie dieses in Gayg.
Adelung hatte z. B. einiges Verlangen geäußert, das neue Wort Gemüths?
Stellung statt Stimmung — das er folglich höhern Orts her hatte, weil seines
Wissens nur die höhern Meißner Classen die Sprache bilden — etwan gemein
in den tiefern Classen, nämlich unter den Autoren, uyd dadurch allgemein zu
machen; noch liegt das Wort bei ihm und wird nicht gangbar." Goethe spricht
sich in dem späten Bericht von seiner Studienzeit in Leipzig, aus d. I. 1810,
Über Meißens Anspruch als über etwas Abgethanes aus: „Jede Provinz, sagt
er, liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem
die Seele ihren Athem schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die meißmsche
Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang auszuschließen gewußt,
ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Re-
gimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämmt¬
lichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt." Doch darf wol dem
gegenüber nicht unerinnert bleiben, wie von den großen Anführern der neuen
Sprachperiode einer selbst ein Sachse war, Lessing, wie mehrere von ihnen,
Lessing, Klopstock, Goethe und Jean Paul, selbst in Obersachsey ihre stni-
versitätsbildung erhalten hatten, und wie die bedeutendsten in einer Stadt des
sächsischen Thüringens ihren eigentlich entscheidenden Wirkungskreis fanden;
Goethe gerade hat ja als Student in Leipzig die Schule des feinern ober¬
sächsischen Geschmacks an sich durchmachen müssen, wie er selbst berichtet, und
Schiller hat für seine Schriften längere Zeit einen Sachsen mannigfach zum
Nachbesserer gehabt auch in sprachlichen Dingen, seinen Freund Körner. Auch
ist bekannt, wie Adelungs sprachwissenschaftliche Schriften, die durchaus auf
seinen Grundsatz ausgebaut waren, eine breite Geltung als maßgebend ge¬
wannen Wie keine vorher, ja sie theilweise noch heute haben.

Aber er hatte seinen Satz von dem Werthe des meißnischen Deutsch nicht
erfunden, er fand ihn vor. Ein ziemlich gleichzeitiger deutscher Sprachforscher,
I. Fr. Heynatz, handelt in einem Buche von 1771: „Briefe die deutsche
Sprache betreffend," einleitend u. a. von der Frage, ob ein Märker eine
deutsche Grammatik schreiben könne, wie er selbst, ein Märker, Prof. in Frank¬
furt a. O., gethan hatte; ein Freund hatte ihm diese Frage entgegengehalten,


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[0114] 1797. Adelungs Satz, er läßt in der Epigrammenreihe ,,Die Flüsse" die Elbe sich rühmen: All ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch — unter den Flüssen Deutschlands rede nur ich, und auch in Meißen nur deutsch. Schärfer Jean Paul, in der Vorschule der Aesthetik v. I. 1804, da er von Bildung neuer Wörter spricht: „Adelung selber hingegen, so wie den Meißner Classen — als den Kreisgusschreibenden Sprachmächten und Reichsvikarien und Neichsoberhäuptern des Deutschen — will das Einführen und Vorstellen von Neulingen weniger gelingen; fast leichter bringt ein Wort sie als sie dieses in Gayg. Adelung hatte z. B. einiges Verlangen geäußert, das neue Wort Gemüths? Stellung statt Stimmung — das er folglich höhern Orts her hatte, weil seines Wissens nur die höhern Meißner Classen die Sprache bilden — etwan gemein in den tiefern Classen, nämlich unter den Autoren, uyd dadurch allgemein zu machen; noch liegt das Wort bei ihm und wird nicht gangbar." Goethe spricht sich in dem späten Bericht von seiner Studienzeit in Leipzig, aus d. I. 1810, Über Meißens Anspruch als über etwas Abgethanes aus: „Jede Provinz, sagt er, liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Athem schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die meißmsche Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang auszuschließen gewußt, ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Re- gimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämmt¬ lichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt." Doch darf wol dem gegenüber nicht unerinnert bleiben, wie von den großen Anführern der neuen Sprachperiode einer selbst ein Sachse war, Lessing, wie mehrere von ihnen, Lessing, Klopstock, Goethe und Jean Paul, selbst in Obersachsey ihre stni- versitätsbildung erhalten hatten, und wie die bedeutendsten in einer Stadt des sächsischen Thüringens ihren eigentlich entscheidenden Wirkungskreis fanden; Goethe gerade hat ja als Student in Leipzig die Schule des feinern ober¬ sächsischen Geschmacks an sich durchmachen müssen, wie er selbst berichtet, und Schiller hat für seine Schriften längere Zeit einen Sachsen mannigfach zum Nachbesserer gehabt auch in sprachlichen Dingen, seinen Freund Körner. Auch ist bekannt, wie Adelungs sprachwissenschaftliche Schriften, die durchaus auf seinen Grundsatz ausgebaut waren, eine breite Geltung als maßgebend ge¬ wannen Wie keine vorher, ja sie theilweise noch heute haben. Aber er hatte seinen Satz von dem Werthe des meißnischen Deutsch nicht erfunden, er fand ihn vor. Ein ziemlich gleichzeitiger deutscher Sprachforscher, I. Fr. Heynatz, handelt in einem Buche von 1771: „Briefe die deutsche Sprache betreffend," einleitend u. a. von der Frage, ob ein Märker eine deutsche Grammatik schreiben könne, wie er selbst, ein Märker, Prof. in Frank¬ furt a. O., gethan hatte; ein Freund hatte ihm diese Frage entgegengehalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/114>, abgerufen am 23.07.2024.