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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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"Diejenige Sprache oder Mundart, deren sich ein Volk in Schriften bedienet,
ist weder ihrem Ursprünge noch ihrer Ausbildung nach ein Werk der Schrift¬
steller, sondern sie ist allemal die gesellschaftliche Sprache der obern Classen der
ausgebildetsten Provinz. In Deutschland ist es die gesellschaftliche Sprache
des südlichen Sachsens." An einer andern Stelle heißt es: "Wem noch einige
Zweifel übrig bleiben sollten, daß unsere höhere Schrift- und Gescllschastssprache
in dem südlichen Kursachsen einheimisch ist, der komme und überzeuge sich
durch den Augenschein. In keiner Provinz Deutschlands wird sie so allgemein
und in den Städten selbst in den untersten Classen gesprochen, daher sie hier
wol nicht ein Fremdling sein kann. Man kann ohne Bedenken hinzu setzen,
daß sie auch in keiner Provinz, im Ganzen genommen, so rein und so richtig
gesprochen wird, als eben hier: beides, weil der gute Geschmack in keiner
Provinz so allgemein verbreitet ist. als in dieser." Und vorher: "Das neuere
Hochdeutsch dürfte sich des ihm zuweilen auch beigelegten Namens Obersächsisch
eben so wenig schämen, als sich die ehemalige verfeinerte griechische Mundart
des Namens der Attischen schämen durfte, oder sich die ausgebildetste italienische
Mundart des Namens der Toscanischen und Florentinischen schämen darf." Von
seiner Begründung der Sache nur eine Probe: "Man weiß, daß die in Ober¬
sachsen bewirkte Aufklärung des Verstandes, des Geschmackes und der Sitten
sich von hier über alle deutsche Provinzen verbreitete, die derselben nur fähig
waren, und nach dem Maße, als sie derselben fähig waren. Mit ihr ver¬
breitete sich auch die hier verfeinerte Sprache und mußte sich verbreiten, weil
sie eben so sehr ein Werk des guten Geschmackes war, als alles übrige." Es
ist hier nicht möglich, diese Behauptungen in ihrer geschichtlichen Wahrheit zu
prüfen, nur das sei bemerkt, daß man den Obersachsen den Vorzug des guten
Geschmacks und der gesellschaftlichen Bildung damals ziemlich allgemein in
Deutschland zugestand. Uebrigens fand Adelungs Behauptung in Bezug auf
die Sprache viel gleichzeitigen Widerspruch, selbst heftigen, ja leidenschaftlichen,
theils aus heimatlichen Selbstgefühl von oberdeutscher wie von niederdeutscher
Seite, wo man sich gegen die gewollte Hegemonie der Obersachsen mehrfach
auflehnte und diesen ihre Sprachfehler vorrückte, theils zugleich aus wissen¬
schaftlichen Gründen von solchen, die in der Schriftsprache eine Vereinigung des
Besten aus allen Mundarten erkennen wollten, oder von solchen, die sie haupt¬
sächlich als ein Werk der Schriftsteller ansahen. Ja ein Ungenannter erhob
als selbst Kursachse Widerspruch dagegen; Adelung hielt ihm ein, wie un¬
verfänglich sein Zeugniß erscheinen müsse, da er ja selbst eben kein Kursachse
sei. Die großen Schriftsteller der schon angebrochnen neuen Zeit scheinen den
Streit übersehen zu haben, sie verhielten sich überhaupt gleichgiltig, wo nicht
feindlich gegen Adelung, wie dieser gegen sie. Schiller verspottet einmal, i. I.
'


„Diejenige Sprache oder Mundart, deren sich ein Volk in Schriften bedienet,
ist weder ihrem Ursprünge noch ihrer Ausbildung nach ein Werk der Schrift¬
steller, sondern sie ist allemal die gesellschaftliche Sprache der obern Classen der
ausgebildetsten Provinz. In Deutschland ist es die gesellschaftliche Sprache
des südlichen Sachsens." An einer andern Stelle heißt es: „Wem noch einige
Zweifel übrig bleiben sollten, daß unsere höhere Schrift- und Gescllschastssprache
in dem südlichen Kursachsen einheimisch ist, der komme und überzeuge sich
durch den Augenschein. In keiner Provinz Deutschlands wird sie so allgemein
und in den Städten selbst in den untersten Classen gesprochen, daher sie hier
wol nicht ein Fremdling sein kann. Man kann ohne Bedenken hinzu setzen,
daß sie auch in keiner Provinz, im Ganzen genommen, so rein und so richtig
gesprochen wird, als eben hier: beides, weil der gute Geschmack in keiner
Provinz so allgemein verbreitet ist. als in dieser." Und vorher: „Das neuere
Hochdeutsch dürfte sich des ihm zuweilen auch beigelegten Namens Obersächsisch
eben so wenig schämen, als sich die ehemalige verfeinerte griechische Mundart
des Namens der Attischen schämen durfte, oder sich die ausgebildetste italienische
Mundart des Namens der Toscanischen und Florentinischen schämen darf." Von
seiner Begründung der Sache nur eine Probe: „Man weiß, daß die in Ober¬
sachsen bewirkte Aufklärung des Verstandes, des Geschmackes und der Sitten
sich von hier über alle deutsche Provinzen verbreitete, die derselben nur fähig
waren, und nach dem Maße, als sie derselben fähig waren. Mit ihr ver¬
breitete sich auch die hier verfeinerte Sprache und mußte sich verbreiten, weil
sie eben so sehr ein Werk des guten Geschmackes war, als alles übrige." Es
ist hier nicht möglich, diese Behauptungen in ihrer geschichtlichen Wahrheit zu
prüfen, nur das sei bemerkt, daß man den Obersachsen den Vorzug des guten
Geschmacks und der gesellschaftlichen Bildung damals ziemlich allgemein in
Deutschland zugestand. Uebrigens fand Adelungs Behauptung in Bezug auf
die Sprache viel gleichzeitigen Widerspruch, selbst heftigen, ja leidenschaftlichen,
theils aus heimatlichen Selbstgefühl von oberdeutscher wie von niederdeutscher
Seite, wo man sich gegen die gewollte Hegemonie der Obersachsen mehrfach
auflehnte und diesen ihre Sprachfehler vorrückte, theils zugleich aus wissen¬
schaftlichen Gründen von solchen, die in der Schriftsprache eine Vereinigung des
Besten aus allen Mundarten erkennen wollten, oder von solchen, die sie haupt¬
sächlich als ein Werk der Schriftsteller ansahen. Ja ein Ungenannter erhob
als selbst Kursachse Widerspruch dagegen; Adelung hielt ihm ein, wie un¬
verfänglich sein Zeugniß erscheinen müsse, da er ja selbst eben kein Kursachse
sei. Die großen Schriftsteller der schon angebrochnen neuen Zeit scheinen den
Streit übersehen zu haben, sie verhielten sich überhaupt gleichgiltig, wo nicht
feindlich gegen Adelung, wie dieser gegen sie. Schiller verspottet einmal, i. I.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/113>, abgerufen am 25.08.2024.