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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die Leitung aller Angelegenheiten, die dem ganzen Staat gemeinsam sind
(Militär, Finanzen, Auswärtiges, Handel) ist besondern Ministern übertragen, die
sich der in den einzelnen Kronländern bestehende." Behörden und Corporationen
bedienen können, aber nur dem Kaiser und dem Gesammtreichstag verant¬
wortlich sind. Die Leitung aller Angelegenheiten der einzelnen Kronländer
(Inneres, Justiz, öffentliche Arbeiten, Unterricht, Kirche" :c.) ist in jedem Kron¬
land einer besondern Landesregierung übertragen, welche aus einem Kanzler
und für die einzelnen Zweige der Verwaltung aus Staatssecretären besteht.
Die Kanzler der einzelnen Kronländer nehmen als Staatsminister zugleich an
der Negierung des Gesammtstaats Theil. Sie haben die Interessen ihres be¬
sondern Kronlairds bei der Negierung und Gesetzgebung des Gesammtstaats
und die Interessen des Reichs im einzelnen Kronland zu vertreten.

Die Autonomie, welche man der Provinz zur Verwaltung ihrer eignen
Angelegenheiten einräumt, muß nothwendig zur Autonomie der Grafschaft
und Gemeinde führen, auch darum, weil die Gründe, welche uns von der
Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verwaltung des Gesammtstaats aus einem
Mittelpunkt überzeugen, ebenso gegen die Centralisation der Verwaltung der
einzelnen Provinzen angeführt werden können. Dadurch wird zugleich für
einen Raum gesorgt, innerhalb dessen die sprachlichen Bestrebungen ohne Ge¬
fahr für den Staat sich bewegen können. In einem Staat, wo man in
allem Uebrigen das Princip der administrativen Centralisation befolgt, ist das
Bestehen freier Communen unmöglich, weil dadurch alle Elemente, durch welche
die Autonomie der Gemeinde erst ihre Bedeutung gewinnt, zerstört werden.
In einem Staat, wo man das Princip der Centralisation längere Zeit an¬
gewendet hat, hört endlich sogar der Wunsch auf, sich selbst zu regieren; jeden¬
falls verschwindet die Fähigkeit dazu noch früher, und die größte Gefahr der
Centralisation liegt darin, daß die Staatsgewalt, wenn sie die Menschen ein¬
mal dahin gebracht, alles Wichtigere ihr zu überlassen, endlich auch sür das
weniger Wichtige sorgen muß.

Fast in allen Staaten mit centralisirter Verwaltung sind mit den Ein¬
nahmen zugleich die Schulden gestiegen, weil die Steigerung der Einnahmen
durch die vermehrten Verwaltungskosten in Anspruch genommen wurde. Wie das
Drückende der Steuern nicht blos von ihrer Höhe abhängt, wie Steuern,
welche jn einem absoluten Staat unerschwinglich scheinen würden, in konstitu¬
tionellen Ländern mit Leichtigkeit getragen werden, blos weil für den Besteuer¬
ten die Möglichkeit gegeben ist, sich von der Nothwendigkeit ihrer Abgaben
zu überzeugen, so ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob die ganze Last, welche
der einzelne Bürger zu tragen hat, direct durch die Staatsgewalt sür die
Bedürfnisse des Staats oder zum Theil durch jene kleinern Gemeinschaften
erhoben wird, an deren Verwaltung man den Besteuerten einen Einfluß ein-


Die Leitung aller Angelegenheiten, die dem ganzen Staat gemeinsam sind
(Militär, Finanzen, Auswärtiges, Handel) ist besondern Ministern übertragen, die
sich der in den einzelnen Kronländern bestehende.» Behörden und Corporationen
bedienen können, aber nur dem Kaiser und dem Gesammtreichstag verant¬
wortlich sind. Die Leitung aller Angelegenheiten der einzelnen Kronländer
(Inneres, Justiz, öffentliche Arbeiten, Unterricht, Kirche" :c.) ist in jedem Kron¬
land einer besondern Landesregierung übertragen, welche aus einem Kanzler
und für die einzelnen Zweige der Verwaltung aus Staatssecretären besteht.
Die Kanzler der einzelnen Kronländer nehmen als Staatsminister zugleich an
der Negierung des Gesammtstaats Theil. Sie haben die Interessen ihres be¬
sondern Kronlairds bei der Negierung und Gesetzgebung des Gesammtstaats
und die Interessen des Reichs im einzelnen Kronland zu vertreten.

Die Autonomie, welche man der Provinz zur Verwaltung ihrer eignen
Angelegenheiten einräumt, muß nothwendig zur Autonomie der Grafschaft
und Gemeinde führen, auch darum, weil die Gründe, welche uns von der
Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verwaltung des Gesammtstaats aus einem
Mittelpunkt überzeugen, ebenso gegen die Centralisation der Verwaltung der
einzelnen Provinzen angeführt werden können. Dadurch wird zugleich für
einen Raum gesorgt, innerhalb dessen die sprachlichen Bestrebungen ohne Ge¬
fahr für den Staat sich bewegen können. In einem Staat, wo man in
allem Uebrigen das Princip der administrativen Centralisation befolgt, ist das
Bestehen freier Communen unmöglich, weil dadurch alle Elemente, durch welche
die Autonomie der Gemeinde erst ihre Bedeutung gewinnt, zerstört werden.
In einem Staat, wo man das Princip der Centralisation längere Zeit an¬
gewendet hat, hört endlich sogar der Wunsch auf, sich selbst zu regieren; jeden¬
falls verschwindet die Fähigkeit dazu noch früher, und die größte Gefahr der
Centralisation liegt darin, daß die Staatsgewalt, wenn sie die Menschen ein¬
mal dahin gebracht, alles Wichtigere ihr zu überlassen, endlich auch sür das
weniger Wichtige sorgen muß.

Fast in allen Staaten mit centralisirter Verwaltung sind mit den Ein¬
nahmen zugleich die Schulden gestiegen, weil die Steigerung der Einnahmen
durch die vermehrten Verwaltungskosten in Anspruch genommen wurde. Wie das
Drückende der Steuern nicht blos von ihrer Höhe abhängt, wie Steuern,
welche jn einem absoluten Staat unerschwinglich scheinen würden, in konstitu¬
tionellen Ländern mit Leichtigkeit getragen werden, blos weil für den Besteuer¬
ten die Möglichkeit gegeben ist, sich von der Nothwendigkeit ihrer Abgaben
zu überzeugen, so ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob die ganze Last, welche
der einzelne Bürger zu tragen hat, direct durch die Staatsgewalt sür die
Bedürfnisse des Staats oder zum Theil durch jene kleinern Gemeinschaften
erhoben wird, an deren Verwaltung man den Besteuerten einen Einfluß ein-


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[0460] Die Leitung aller Angelegenheiten, die dem ganzen Staat gemeinsam sind (Militär, Finanzen, Auswärtiges, Handel) ist besondern Ministern übertragen, die sich der in den einzelnen Kronländern bestehende.» Behörden und Corporationen bedienen können, aber nur dem Kaiser und dem Gesammtreichstag verant¬ wortlich sind. Die Leitung aller Angelegenheiten der einzelnen Kronländer (Inneres, Justiz, öffentliche Arbeiten, Unterricht, Kirche" :c.) ist in jedem Kron¬ land einer besondern Landesregierung übertragen, welche aus einem Kanzler und für die einzelnen Zweige der Verwaltung aus Staatssecretären besteht. Die Kanzler der einzelnen Kronländer nehmen als Staatsminister zugleich an der Negierung des Gesammtstaats Theil. Sie haben die Interessen ihres be¬ sondern Kronlairds bei der Negierung und Gesetzgebung des Gesammtstaats und die Interessen des Reichs im einzelnen Kronland zu vertreten. Die Autonomie, welche man der Provinz zur Verwaltung ihrer eignen Angelegenheiten einräumt, muß nothwendig zur Autonomie der Grafschaft und Gemeinde führen, auch darum, weil die Gründe, welche uns von der Unmöglichkeit einer zweckmäßigen Verwaltung des Gesammtstaats aus einem Mittelpunkt überzeugen, ebenso gegen die Centralisation der Verwaltung der einzelnen Provinzen angeführt werden können. Dadurch wird zugleich für einen Raum gesorgt, innerhalb dessen die sprachlichen Bestrebungen ohne Ge¬ fahr für den Staat sich bewegen können. In einem Staat, wo man in allem Uebrigen das Princip der administrativen Centralisation befolgt, ist das Bestehen freier Communen unmöglich, weil dadurch alle Elemente, durch welche die Autonomie der Gemeinde erst ihre Bedeutung gewinnt, zerstört werden. In einem Staat, wo man das Princip der Centralisation längere Zeit an¬ gewendet hat, hört endlich sogar der Wunsch auf, sich selbst zu regieren; jeden¬ falls verschwindet die Fähigkeit dazu noch früher, und die größte Gefahr der Centralisation liegt darin, daß die Staatsgewalt, wenn sie die Menschen ein¬ mal dahin gebracht, alles Wichtigere ihr zu überlassen, endlich auch sür das weniger Wichtige sorgen muß. Fast in allen Staaten mit centralisirter Verwaltung sind mit den Ein¬ nahmen zugleich die Schulden gestiegen, weil die Steigerung der Einnahmen durch die vermehrten Verwaltungskosten in Anspruch genommen wurde. Wie das Drückende der Steuern nicht blos von ihrer Höhe abhängt, wie Steuern, welche jn einem absoluten Staat unerschwinglich scheinen würden, in konstitu¬ tionellen Ländern mit Leichtigkeit getragen werden, blos weil für den Besteuer¬ ten die Möglichkeit gegeben ist, sich von der Nothwendigkeit ihrer Abgaben zu überzeugen, so ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob die ganze Last, welche der einzelne Bürger zu tragen hat, direct durch die Staatsgewalt sür die Bedürfnisse des Staats oder zum Theil durch jene kleinern Gemeinschaften erhoben wird, an deren Verwaltung man den Besteuerten einen Einfluß ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/460>, abgerufen am 24.07.2024.