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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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mancherlei Maßregeln, seine Neger und Mulatten zu civilisiren, und that na¬
mentlich vieles zur Hebung des Ackerbaues. Wenn die Republik trotzdem
nicht vorwärts kam, so lag das zum Theil an den schweren Lasten, welche
ihr der Vertrag mit Frankreich auferlegt hatte, zum bei weitem größeren
Theil aber an dem trägen, stumpfsinnigen Naturell der schwarzen Bevölkerung
und an den Parteiumtrieben, welche in dem Haß der Neger gegen die Mu¬
latten ihre Wurzel hatten. Zwar erließ Frankreich 1838 einen beträchtlichen
Theil der ursprünglich aus 150 Millionen Franken festgestellten Summe, mit
welcher Haiti die ehemaligen Plantagenbesitzer entschädigen sollte. Aber die
Opposition des Abgeordnetenhauses gegen den Präsidenten dauerte trotz der
durch diese Minderung der Ausgaben ermöglichten Herabsetzung der Steuern
unter allerlei Vorwänden fort. Boyer fand sich dadurch veranlaßt, die Zügel
straffer anzuziehen. Er schritt endlich zu Gewaltmnßregeln. Die Gährung
wuchs hierdurch. Es erfolgten Aufstände, die 1843 zu einer allgemeinen Re¬
volution führten, welche nach einem kurzen, aber von den wildesten Excessen
begleiteten Bürgerkrieg mit der Absetzung Boyers und dessen Flucht nach
Jamaika endigte.

Die weitere Folge war eine mehrjährige Anarchie. Eine provisorische Ne¬
gierung, den General Nivivre an der Spitze, versuchte Ordnung zu schaffen.
Eine Gegenrevolution im Westen wurde blutig unterdrückt. Dagegen riß sich
der ehemals spanische, vorwiegend von Mulatten bewohnte Antheil von Haiti
los und constituirte sich als selbstständige Republik, die sich mit Erfolg gegen
die Angriffe Riviöres behauptete. Bald nachher erklärte General Pierrot
zu Cap Haitien den Norden, ein andrer Neger. Namens Acaau zu Cayes
den Süden für unabhängig, und zu gleicher Zeit decretirte die bisherige Par¬
tei des Präsidenten Rivivre zu Port an Prince, der Hauptstadt, die Absetzung
dieses letztem und ernannte den schwachen und stets betrunkenen schwarzen
General Guerricr zu seinem Nachfolger. Guerrier saßte den Vorsatz, sich des
Branntweins zu entwöhnen, seine Natur hing aber zu fest daran, und so riß
über dem Versuch sein Lebensfaden. Pierrot. jetzt'zum Präsidenten von ganz
Haiti gewühlt, versuchte sich durch Grausamkeiten zu behaupten, wurde aber
nach wenigen Monaten verjagt, da seine Weigerung, die mit Frankreich ver¬
einbarte Entschädigung Wetter zu bezahlen, einen Krieg mit den Franzosen
herbeizuführen drohte. Ihm folgte als Präsident der General Nich6. der
durch Entschiedenheit und Umsicht die Ruhe wieder herzustellen wußte, und
mancherlei verständige Maßregeln traf, ja selbst das unmöglich Scheinende,
eine Besserung der trostlosen Finanzlage des Landes, möglich machte. Un¬
glücklicherweise starb er schon nach einigen Monaten (wie es hieß, an den
Folgen einer zu starken Dosis Kantharidentinctur, mit welcher der siebzigjährige
Greis sich zu verjüngen versuchte) und seinem Nachfolger, dem General Sou-


mancherlei Maßregeln, seine Neger und Mulatten zu civilisiren, und that na¬
mentlich vieles zur Hebung des Ackerbaues. Wenn die Republik trotzdem
nicht vorwärts kam, so lag das zum Theil an den schweren Lasten, welche
ihr der Vertrag mit Frankreich auferlegt hatte, zum bei weitem größeren
Theil aber an dem trägen, stumpfsinnigen Naturell der schwarzen Bevölkerung
und an den Parteiumtrieben, welche in dem Haß der Neger gegen die Mu¬
latten ihre Wurzel hatten. Zwar erließ Frankreich 1838 einen beträchtlichen
Theil der ursprünglich aus 150 Millionen Franken festgestellten Summe, mit
welcher Haiti die ehemaligen Plantagenbesitzer entschädigen sollte. Aber die
Opposition des Abgeordnetenhauses gegen den Präsidenten dauerte trotz der
durch diese Minderung der Ausgaben ermöglichten Herabsetzung der Steuern
unter allerlei Vorwänden fort. Boyer fand sich dadurch veranlaßt, die Zügel
straffer anzuziehen. Er schritt endlich zu Gewaltmnßregeln. Die Gährung
wuchs hierdurch. Es erfolgten Aufstände, die 1843 zu einer allgemeinen Re¬
volution führten, welche nach einem kurzen, aber von den wildesten Excessen
begleiteten Bürgerkrieg mit der Absetzung Boyers und dessen Flucht nach
Jamaika endigte.

Die weitere Folge war eine mehrjährige Anarchie. Eine provisorische Ne¬
gierung, den General Nivivre an der Spitze, versuchte Ordnung zu schaffen.
Eine Gegenrevolution im Westen wurde blutig unterdrückt. Dagegen riß sich
der ehemals spanische, vorwiegend von Mulatten bewohnte Antheil von Haiti
los und constituirte sich als selbstständige Republik, die sich mit Erfolg gegen
die Angriffe Riviöres behauptete. Bald nachher erklärte General Pierrot
zu Cap Haitien den Norden, ein andrer Neger. Namens Acaau zu Cayes
den Süden für unabhängig, und zu gleicher Zeit decretirte die bisherige Par¬
tei des Präsidenten Rivivre zu Port an Prince, der Hauptstadt, die Absetzung
dieses letztem und ernannte den schwachen und stets betrunkenen schwarzen
General Guerricr zu seinem Nachfolger. Guerrier saßte den Vorsatz, sich des
Branntweins zu entwöhnen, seine Natur hing aber zu fest daran, und so riß
über dem Versuch sein Lebensfaden. Pierrot. jetzt'zum Präsidenten von ganz
Haiti gewühlt, versuchte sich durch Grausamkeiten zu behaupten, wurde aber
nach wenigen Monaten verjagt, da seine Weigerung, die mit Frankreich ver¬
einbarte Entschädigung Wetter zu bezahlen, einen Krieg mit den Franzosen
herbeizuführen drohte. Ihm folgte als Präsident der General Nich6. der
durch Entschiedenheit und Umsicht die Ruhe wieder herzustellen wußte, und
mancherlei verständige Maßregeln traf, ja selbst das unmöglich Scheinende,
eine Besserung der trostlosen Finanzlage des Landes, möglich machte. Un¬
glücklicherweise starb er schon nach einigen Monaten (wie es hieß, an den
Folgen einer zu starken Dosis Kantharidentinctur, mit welcher der siebzigjährige
Greis sich zu verjüngen versuchte) und seinem Nachfolger, dem General Sou-


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[0432] mancherlei Maßregeln, seine Neger und Mulatten zu civilisiren, und that na¬ mentlich vieles zur Hebung des Ackerbaues. Wenn die Republik trotzdem nicht vorwärts kam, so lag das zum Theil an den schweren Lasten, welche ihr der Vertrag mit Frankreich auferlegt hatte, zum bei weitem größeren Theil aber an dem trägen, stumpfsinnigen Naturell der schwarzen Bevölkerung und an den Parteiumtrieben, welche in dem Haß der Neger gegen die Mu¬ latten ihre Wurzel hatten. Zwar erließ Frankreich 1838 einen beträchtlichen Theil der ursprünglich aus 150 Millionen Franken festgestellten Summe, mit welcher Haiti die ehemaligen Plantagenbesitzer entschädigen sollte. Aber die Opposition des Abgeordnetenhauses gegen den Präsidenten dauerte trotz der durch diese Minderung der Ausgaben ermöglichten Herabsetzung der Steuern unter allerlei Vorwänden fort. Boyer fand sich dadurch veranlaßt, die Zügel straffer anzuziehen. Er schritt endlich zu Gewaltmnßregeln. Die Gährung wuchs hierdurch. Es erfolgten Aufstände, die 1843 zu einer allgemeinen Re¬ volution führten, welche nach einem kurzen, aber von den wildesten Excessen begleiteten Bürgerkrieg mit der Absetzung Boyers und dessen Flucht nach Jamaika endigte. Die weitere Folge war eine mehrjährige Anarchie. Eine provisorische Ne¬ gierung, den General Nivivre an der Spitze, versuchte Ordnung zu schaffen. Eine Gegenrevolution im Westen wurde blutig unterdrückt. Dagegen riß sich der ehemals spanische, vorwiegend von Mulatten bewohnte Antheil von Haiti los und constituirte sich als selbstständige Republik, die sich mit Erfolg gegen die Angriffe Riviöres behauptete. Bald nachher erklärte General Pierrot zu Cap Haitien den Norden, ein andrer Neger. Namens Acaau zu Cayes den Süden für unabhängig, und zu gleicher Zeit decretirte die bisherige Par¬ tei des Präsidenten Rivivre zu Port an Prince, der Hauptstadt, die Absetzung dieses letztem und ernannte den schwachen und stets betrunkenen schwarzen General Guerricr zu seinem Nachfolger. Guerrier saßte den Vorsatz, sich des Branntweins zu entwöhnen, seine Natur hing aber zu fest daran, und so riß über dem Versuch sein Lebensfaden. Pierrot. jetzt'zum Präsidenten von ganz Haiti gewühlt, versuchte sich durch Grausamkeiten zu behaupten, wurde aber nach wenigen Monaten verjagt, da seine Weigerung, die mit Frankreich ver¬ einbarte Entschädigung Wetter zu bezahlen, einen Krieg mit den Franzosen herbeizuführen drohte. Ihm folgte als Präsident der General Nich6. der durch Entschiedenheit und Umsicht die Ruhe wieder herzustellen wußte, und mancherlei verständige Maßregeln traf, ja selbst das unmöglich Scheinende, eine Besserung der trostlosen Finanzlage des Landes, möglich machte. Un¬ glücklicherweise starb er schon nach einigen Monaten (wie es hieß, an den Folgen einer zu starken Dosis Kantharidentinctur, mit welcher der siebzigjährige Greis sich zu verjüngen versuchte) und seinem Nachfolger, dem General Sou-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/432>, abgerufen am 24.07.2024.