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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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besserer Regierungen, das Volk zur Thätigkeit anzuregen, als tyrannische Be¬
einträchtigung heiliger Interessen ansah, die Leichtigkeit, mit der jeder Gene¬
ral unter den Massen Söldlinge fand, die ihm zur unumschränkten Gewalt
verhalfen und ihn so lange darin erhielten, als nicht ein anderer mit Ver¬
heißungen bessern Lohnes kam, haben alle Anläufe Einzelner, das Negerthum
auf eine höhere Stufe der Gesittung zu erheben, schon nach den ersten Schrit¬
ten vereitelt.

Zu den genannten Charaktereigenschaften des Volkes von Haiti, welche
eine Consolidirung des Staats vereiteln, kommt uoch der Umstand, daß die
Gegensätze in der Sinnesart dieses Volkes sich geographisch vertheilen. Im Nor¬
den, wo fast nur Vollblutncgcr wohnen, ist die träge Masse dem Despotismus
zugethan. Im Süden, dem Lande der Mulatten, hat ein unruhiger, zu steten Pul¬
sader geneigter Oppositionsgeist seinen Sitz. Nachdem der blutige D essalines,
als Kaiser Jacques der Erste genannt, schon im zwölften Monat seiner Regierung
ermordet worden, zerfiel das Reich in die ebengenannten beiden Hälften. An
der Spitze der Partei, die den Tyrannen gestürzt, standen der Negcrgeneral
Christoph und der Mulatte Pötion. Verschiedene Bildung und verschie¬
dene Bestrebungen ließen die beiden sich trennen, sobald sie den gemeinschaft¬
lichen Gegner besiegt. Das Ergebniß eines dreijährigen Kampfes zwischen
ihnen war, daß im Süden eine Mulattenrepublik mit Pvtion als Präsiden¬
ten, im Norden ein Negerstaat mit Christoph als König entstand. Zwischen
beiden Staaten herrschte äußerlich zwar Ruhe, aber im Grunde haßten sie sich
gegenseitig, und die schwarze Hälfte erwartete nur eine Gelegenheit, um die
gelbe zu unterwerfen. Nach Pvtions Tode, im Jahre 1818, schien diese Ge¬
legenheit gekommen. Henri der Erste, wie Christoph sich seit seiner Thronbesteigung
nannte, versuchte die Nachbarrepublik zu erobern. Er fand indeß in Boyer,
dem Nachfolger Pütions auf dem Präsidentcnstuhl, einen Gegner, der ihm
gewachsen war, und da sein grausames Regiment im eignen Lande bald nachher
einen Aufstand der Mulatten hervorrief, in dessen Folge ihn seine Truppen verließen,
so machte er im October 1820 seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende,
woraus, da das königliche Heer sich Boyer unterwarf, eine Bereinigung beider
Theile des ehemals französischen Domingo unter der Verfassung der Mulatten¬
republik zu Stande kam. 1822 schloß sich diesem Staat auch der spanische
Antheil der Insel an, welcher sich im Jahr vorher frei gemacht hatte.

Diese Republik wurde allmäUg von allen Mächten, 1825 auch von
Frankreich anerkannt. Boyer regierte mit Verstand und Rechtschaffenheit nach
einer Verfassung, welche alle guten Dinge der freiesten europäischen Consti-
tutionen, Freiheit der Person und der Presse, Verantwortlichkeit der Beamten
u. a. enthielt, die Gesetzgebung einem Senat und einer Abgeordnetenkammer
übertrug und dem Präsidenten nur die vollziehende Gewalt gab. Er traf


besserer Regierungen, das Volk zur Thätigkeit anzuregen, als tyrannische Be¬
einträchtigung heiliger Interessen ansah, die Leichtigkeit, mit der jeder Gene¬
ral unter den Massen Söldlinge fand, die ihm zur unumschränkten Gewalt
verhalfen und ihn so lange darin erhielten, als nicht ein anderer mit Ver¬
heißungen bessern Lohnes kam, haben alle Anläufe Einzelner, das Negerthum
auf eine höhere Stufe der Gesittung zu erheben, schon nach den ersten Schrit¬
ten vereitelt.

Zu den genannten Charaktereigenschaften des Volkes von Haiti, welche
eine Consolidirung des Staats vereiteln, kommt uoch der Umstand, daß die
Gegensätze in der Sinnesart dieses Volkes sich geographisch vertheilen. Im Nor¬
den, wo fast nur Vollblutncgcr wohnen, ist die träge Masse dem Despotismus
zugethan. Im Süden, dem Lande der Mulatten, hat ein unruhiger, zu steten Pul¬
sader geneigter Oppositionsgeist seinen Sitz. Nachdem der blutige D essalines,
als Kaiser Jacques der Erste genannt, schon im zwölften Monat seiner Regierung
ermordet worden, zerfiel das Reich in die ebengenannten beiden Hälften. An
der Spitze der Partei, die den Tyrannen gestürzt, standen der Negcrgeneral
Christoph und der Mulatte Pötion. Verschiedene Bildung und verschie¬
dene Bestrebungen ließen die beiden sich trennen, sobald sie den gemeinschaft¬
lichen Gegner besiegt. Das Ergebniß eines dreijährigen Kampfes zwischen
ihnen war, daß im Süden eine Mulattenrepublik mit Pvtion als Präsiden¬
ten, im Norden ein Negerstaat mit Christoph als König entstand. Zwischen
beiden Staaten herrschte äußerlich zwar Ruhe, aber im Grunde haßten sie sich
gegenseitig, und die schwarze Hälfte erwartete nur eine Gelegenheit, um die
gelbe zu unterwerfen. Nach Pvtions Tode, im Jahre 1818, schien diese Ge¬
legenheit gekommen. Henri der Erste, wie Christoph sich seit seiner Thronbesteigung
nannte, versuchte die Nachbarrepublik zu erobern. Er fand indeß in Boyer,
dem Nachfolger Pütions auf dem Präsidentcnstuhl, einen Gegner, der ihm
gewachsen war, und da sein grausames Regiment im eignen Lande bald nachher
einen Aufstand der Mulatten hervorrief, in dessen Folge ihn seine Truppen verließen,
so machte er im October 1820 seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende,
woraus, da das königliche Heer sich Boyer unterwarf, eine Bereinigung beider
Theile des ehemals französischen Domingo unter der Verfassung der Mulatten¬
republik zu Stande kam. 1822 schloß sich diesem Staat auch der spanische
Antheil der Insel an, welcher sich im Jahr vorher frei gemacht hatte.

Diese Republik wurde allmäUg von allen Mächten, 1825 auch von
Frankreich anerkannt. Boyer regierte mit Verstand und Rechtschaffenheit nach
einer Verfassung, welche alle guten Dinge der freiesten europäischen Consti-
tutionen, Freiheit der Person und der Presse, Verantwortlichkeit der Beamten
u. a. enthielt, die Gesetzgebung einem Senat und einer Abgeordnetenkammer
übertrug und dem Präsidenten nur die vollziehende Gewalt gab. Er traf


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[0431] besserer Regierungen, das Volk zur Thätigkeit anzuregen, als tyrannische Be¬ einträchtigung heiliger Interessen ansah, die Leichtigkeit, mit der jeder Gene¬ ral unter den Massen Söldlinge fand, die ihm zur unumschränkten Gewalt verhalfen und ihn so lange darin erhielten, als nicht ein anderer mit Ver¬ heißungen bessern Lohnes kam, haben alle Anläufe Einzelner, das Negerthum auf eine höhere Stufe der Gesittung zu erheben, schon nach den ersten Schrit¬ ten vereitelt. Zu den genannten Charaktereigenschaften des Volkes von Haiti, welche eine Consolidirung des Staats vereiteln, kommt uoch der Umstand, daß die Gegensätze in der Sinnesart dieses Volkes sich geographisch vertheilen. Im Nor¬ den, wo fast nur Vollblutncgcr wohnen, ist die träge Masse dem Despotismus zugethan. Im Süden, dem Lande der Mulatten, hat ein unruhiger, zu steten Pul¬ sader geneigter Oppositionsgeist seinen Sitz. Nachdem der blutige D essalines, als Kaiser Jacques der Erste genannt, schon im zwölften Monat seiner Regierung ermordet worden, zerfiel das Reich in die ebengenannten beiden Hälften. An der Spitze der Partei, die den Tyrannen gestürzt, standen der Negcrgeneral Christoph und der Mulatte Pötion. Verschiedene Bildung und verschie¬ dene Bestrebungen ließen die beiden sich trennen, sobald sie den gemeinschaft¬ lichen Gegner besiegt. Das Ergebniß eines dreijährigen Kampfes zwischen ihnen war, daß im Süden eine Mulattenrepublik mit Pvtion als Präsiden¬ ten, im Norden ein Negerstaat mit Christoph als König entstand. Zwischen beiden Staaten herrschte äußerlich zwar Ruhe, aber im Grunde haßten sie sich gegenseitig, und die schwarze Hälfte erwartete nur eine Gelegenheit, um die gelbe zu unterwerfen. Nach Pvtions Tode, im Jahre 1818, schien diese Ge¬ legenheit gekommen. Henri der Erste, wie Christoph sich seit seiner Thronbesteigung nannte, versuchte die Nachbarrepublik zu erobern. Er fand indeß in Boyer, dem Nachfolger Pütions auf dem Präsidentcnstuhl, einen Gegner, der ihm gewachsen war, und da sein grausames Regiment im eignen Lande bald nachher einen Aufstand der Mulatten hervorrief, in dessen Folge ihn seine Truppen verließen, so machte er im October 1820 seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende, woraus, da das königliche Heer sich Boyer unterwarf, eine Bereinigung beider Theile des ehemals französischen Domingo unter der Verfassung der Mulatten¬ republik zu Stande kam. 1822 schloß sich diesem Staat auch der spanische Antheil der Insel an, welcher sich im Jahr vorher frei gemacht hatte. Diese Republik wurde allmäUg von allen Mächten, 1825 auch von Frankreich anerkannt. Boyer regierte mit Verstand und Rechtschaffenheit nach einer Verfassung, welche alle guten Dinge der freiesten europäischen Consti- tutionen, Freiheit der Person und der Presse, Verantwortlichkeit der Beamten u. a. enthielt, die Gesetzgebung einem Senat und einer Abgeordnetenkammer übertrug und dem Präsidenten nur die vollziehende Gewalt gab. Er traf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/431>, abgerufen am 24.07.2024.