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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Sentimentale Negerfreunde, Ideologen werden dagegen sagen, die Insel
ist arm geworden durch ihre Emancipation vom Joch der Weißen, aber sie
hat dafür die Freiheit errungen, und ein einziger freier Mann ist mehr werth
als jene 75 Millionen Pfund Kaffee und jene 140 Millionen Pfund Zucker
zusammengenommen. Der Satz klingt gut, verträgt aber keine Prüfung an
der Geschichte. Es war bezeichnend, daß nach dem Abzug des französischen
Heeres, welches die Insel wieder erobern sollte, Dcssalincs, der sich nun zum
Kaiser ausrufen ließ, seinem Lande den Namen wieder gab. welchen es ge¬
habt, als es von menschenfressendcn Wilden bewohnt wurde. Für die schwarze
Race ist jede Emancipation ohne Zwischenstufen gleichbedeutend mit der Er¬
laubniß zum Faullenzen, jede Gelegenheit zu ungestörter Entwickelung ihres
Charakters der Anfang zur Rückkehr in die afrikanische Barbarei, und der
Versuch, einen Staat nach europäischem Muster zu gründen, wird unfehlbar
auf bloße affenartige Nachahmung in Aeußerlichkeiten hinauslaufen müssen,
hinter welcher der wüste Geist urthümlicher Unbändigkeit steht. Indem dieser
gelegentlich die Decke hebt und hervortritt, erweckt er liald durch sein kindisch
eiteles Wesen unser Lächeln, bald durch finstern Aberglauben unser Grauen,
bald durch blutige Thaten die Erinnerung, daß aus dieser Konstitution ^ la,
l^ris, aus dieser goldgestickten Generalsuniform, aus diesem ganzen Abklatsch
höherer Cultur der grimmige Halbmensch Dahomeys und des Gallaslandcs
uns angrinst.

Die Geschichte von Haiti ist seit der Vertreibung der Weißen eine Rei¬
henfolge von Ereignissen und Persönlichkeiten gewesen, welche entweder Cari-
caturen oder Schauergemälde waren. Nach dem blutigen Trauerspiel, dessen
letzter Act die gesammte weiße Bevölkerung entweder als Leichen oder als Ver¬
bannte zeigte, folgten, bisweilen durch die Posse einer Nachäffung europäischen
Hofceremoniels unterbrochen, andere Tragödien, in denen die schwarzen und
die gelben Leute, sich gegenseitig niedermetzelnd, den furchtbaren Nacenkamps
fortsetzten. Nur selten, und dann immer nur unter der Herrschaft der Mu¬
latten, trat eine Periode des Friedens und einer gewissen Ordnung ein, welche
auf eine gedeihliche Entwickelung hoffen ließ. Aber diese Hoffnung hat sich
bis heute nicht erfüllt und wird sicher noch so lange auf ihre Erfüllung war¬
ten lassen, als den Kindern Afrikas die ihnen nicht zukommende Rolle, die
sie seit nunmehr sechzig Jahren gespielt, sortznspielen erlaubt ist. Konsti¬
tutionen allein thun es hier so wenig oder noch weniger wie anderwärts.
Man hat alle erdenklichen Staatsformen versucht, sie sind immer und immer
nach kurzer Zeit zum Despotismus umgeschlagen, dem einzigen System, wel¬
ches hier einige Lebenskraft zeigt. Die unauslöschliche Feindschaft der Schwar¬
zen gegen alles "blaue Blut", welche sich auch auf die Mulatten ausdehnt,
der unvertilgbare Hang zu Liederlichkeit und Müssiggang, der jeden Versuch


Sentimentale Negerfreunde, Ideologen werden dagegen sagen, die Insel
ist arm geworden durch ihre Emancipation vom Joch der Weißen, aber sie
hat dafür die Freiheit errungen, und ein einziger freier Mann ist mehr werth
als jene 75 Millionen Pfund Kaffee und jene 140 Millionen Pfund Zucker
zusammengenommen. Der Satz klingt gut, verträgt aber keine Prüfung an
der Geschichte. Es war bezeichnend, daß nach dem Abzug des französischen
Heeres, welches die Insel wieder erobern sollte, Dcssalincs, der sich nun zum
Kaiser ausrufen ließ, seinem Lande den Namen wieder gab. welchen es ge¬
habt, als es von menschenfressendcn Wilden bewohnt wurde. Für die schwarze
Race ist jede Emancipation ohne Zwischenstufen gleichbedeutend mit der Er¬
laubniß zum Faullenzen, jede Gelegenheit zu ungestörter Entwickelung ihres
Charakters der Anfang zur Rückkehr in die afrikanische Barbarei, und der
Versuch, einen Staat nach europäischem Muster zu gründen, wird unfehlbar
auf bloße affenartige Nachahmung in Aeußerlichkeiten hinauslaufen müssen,
hinter welcher der wüste Geist urthümlicher Unbändigkeit steht. Indem dieser
gelegentlich die Decke hebt und hervortritt, erweckt er liald durch sein kindisch
eiteles Wesen unser Lächeln, bald durch finstern Aberglauben unser Grauen,
bald durch blutige Thaten die Erinnerung, daß aus dieser Konstitution ^ la,
l^ris, aus dieser goldgestickten Generalsuniform, aus diesem ganzen Abklatsch
höherer Cultur der grimmige Halbmensch Dahomeys und des Gallaslandcs
uns angrinst.

Die Geschichte von Haiti ist seit der Vertreibung der Weißen eine Rei¬
henfolge von Ereignissen und Persönlichkeiten gewesen, welche entweder Cari-
caturen oder Schauergemälde waren. Nach dem blutigen Trauerspiel, dessen
letzter Act die gesammte weiße Bevölkerung entweder als Leichen oder als Ver¬
bannte zeigte, folgten, bisweilen durch die Posse einer Nachäffung europäischen
Hofceremoniels unterbrochen, andere Tragödien, in denen die schwarzen und
die gelben Leute, sich gegenseitig niedermetzelnd, den furchtbaren Nacenkamps
fortsetzten. Nur selten, und dann immer nur unter der Herrschaft der Mu¬
latten, trat eine Periode des Friedens und einer gewissen Ordnung ein, welche
auf eine gedeihliche Entwickelung hoffen ließ. Aber diese Hoffnung hat sich
bis heute nicht erfüllt und wird sicher noch so lange auf ihre Erfüllung war¬
ten lassen, als den Kindern Afrikas die ihnen nicht zukommende Rolle, die
sie seit nunmehr sechzig Jahren gespielt, sortznspielen erlaubt ist. Konsti¬
tutionen allein thun es hier so wenig oder noch weniger wie anderwärts.
Man hat alle erdenklichen Staatsformen versucht, sie sind immer und immer
nach kurzer Zeit zum Despotismus umgeschlagen, dem einzigen System, wel¬
ches hier einige Lebenskraft zeigt. Die unauslöschliche Feindschaft der Schwar¬
zen gegen alles „blaue Blut", welche sich auch auf die Mulatten ausdehnt,
der unvertilgbare Hang zu Liederlichkeit und Müssiggang, der jeden Versuch


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[0430] Sentimentale Negerfreunde, Ideologen werden dagegen sagen, die Insel ist arm geworden durch ihre Emancipation vom Joch der Weißen, aber sie hat dafür die Freiheit errungen, und ein einziger freier Mann ist mehr werth als jene 75 Millionen Pfund Kaffee und jene 140 Millionen Pfund Zucker zusammengenommen. Der Satz klingt gut, verträgt aber keine Prüfung an der Geschichte. Es war bezeichnend, daß nach dem Abzug des französischen Heeres, welches die Insel wieder erobern sollte, Dcssalincs, der sich nun zum Kaiser ausrufen ließ, seinem Lande den Namen wieder gab. welchen es ge¬ habt, als es von menschenfressendcn Wilden bewohnt wurde. Für die schwarze Race ist jede Emancipation ohne Zwischenstufen gleichbedeutend mit der Er¬ laubniß zum Faullenzen, jede Gelegenheit zu ungestörter Entwickelung ihres Charakters der Anfang zur Rückkehr in die afrikanische Barbarei, und der Versuch, einen Staat nach europäischem Muster zu gründen, wird unfehlbar auf bloße affenartige Nachahmung in Aeußerlichkeiten hinauslaufen müssen, hinter welcher der wüste Geist urthümlicher Unbändigkeit steht. Indem dieser gelegentlich die Decke hebt und hervortritt, erweckt er liald durch sein kindisch eiteles Wesen unser Lächeln, bald durch finstern Aberglauben unser Grauen, bald durch blutige Thaten die Erinnerung, daß aus dieser Konstitution ^ la, l^ris, aus dieser goldgestickten Generalsuniform, aus diesem ganzen Abklatsch höherer Cultur der grimmige Halbmensch Dahomeys und des Gallaslandcs uns angrinst. Die Geschichte von Haiti ist seit der Vertreibung der Weißen eine Rei¬ henfolge von Ereignissen und Persönlichkeiten gewesen, welche entweder Cari- caturen oder Schauergemälde waren. Nach dem blutigen Trauerspiel, dessen letzter Act die gesammte weiße Bevölkerung entweder als Leichen oder als Ver¬ bannte zeigte, folgten, bisweilen durch die Posse einer Nachäffung europäischen Hofceremoniels unterbrochen, andere Tragödien, in denen die schwarzen und die gelben Leute, sich gegenseitig niedermetzelnd, den furchtbaren Nacenkamps fortsetzten. Nur selten, und dann immer nur unter der Herrschaft der Mu¬ latten, trat eine Periode des Friedens und einer gewissen Ordnung ein, welche auf eine gedeihliche Entwickelung hoffen ließ. Aber diese Hoffnung hat sich bis heute nicht erfüllt und wird sicher noch so lange auf ihre Erfüllung war¬ ten lassen, als den Kindern Afrikas die ihnen nicht zukommende Rolle, die sie seit nunmehr sechzig Jahren gespielt, sortznspielen erlaubt ist. Konsti¬ tutionen allein thun es hier so wenig oder noch weniger wie anderwärts. Man hat alle erdenklichen Staatsformen versucht, sie sind immer und immer nach kurzer Zeit zum Despotismus umgeschlagen, dem einzigen System, wel¬ ches hier einige Lebenskraft zeigt. Die unauslöschliche Feindschaft der Schwar¬ zen gegen alles „blaue Blut", welche sich auch auf die Mulatten ausdehnt, der unvertilgbare Hang zu Liederlichkeit und Müssiggang, der jeden Versuch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/430>, abgerufen am 24.07.2024.