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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Kleinasien', und rühmt sich der Kniffe, mit denen man gearbeitet. Denn als
Arbeit wird das Geschäft allgemein angesehn, und der gilt in der Gemeinde
am meisten, welcher die meisten ^erlaufenen Stäbe an der Wand hängen hat.
So viel Liezen anf dem Rock des Peteranen, so viel Feldzüge; so viel Krumm-
stäbe an der Herdmauer des Kluznnioten, so viel sommerliche Bettclreisen.

Am nächsten Morgen nahmen wir von unserm guten Doctor -- er führt
den brillanten Namen Diamantopulos, Diamantensohn -- und seinen gast¬
freien Verwandten Abschied, erfreuten uns des Anblicks unserer Maulthiere,
welche in der Nacht eingetroffen waren, und wendeten uns in das Thal,
welches von solos und den übrigen Dörfern der Nonakris nach dem See
von Pheneos (jetzt Phonia) führt. Der See nahm sich mit seinem grün und
blan schillernden Spiegel unter den schwarzbewaldeten, von weißen Wolken
umflogenen Aroaniagebirg ungemein schön aus. Er stand in dieser Jahreszeit
sehr hoch, und war nach Spiros Meinung unergründlich tief. Derselbe Ge¬
lehrte wußte ferner, daß der See keine Fische habe, daß er überhaupt nichts
Lebendes in seinen Fluten dulde, und daß er durch unterirdische Kanäle ab¬
fließe, die sein Wasser jenseit des Gebirges in der Ruhla wieder zu Tage treten ließen.
Wir lassen dies dahingestellt. Gewiß ist nur. daß der See durch zwei von Norden
kommende Bäche gebildet wird, die kurz vor ihrer Mündung in denselben sich
vereinigen, daß er im Südwesten unterirdische Abflüsse, sogenannte Katavothren.
hat, und daß, je nach dem Zustand dieser Kanäle, welche die Mythen auf
Herakles zurückführen, der Spiegel des Sees bald höher, bald tiefer steht. Im
Alterthum müssen die Abflüsse stets offen gewesen sein, da Stellen, wo jev,t Wasser
findet, bebaut waren, und im Nordwesten unter einem isolirten Hügel mit
Ruinen sogar eine Stadt sich ausbreitete. Auch Leake fand 1800 nur einen,
sehr kleinen See. In den zwanziger Jahren aber verstopften sich die Katavo¬
thren, und der See verdoppelte seine Ausdehnung und seine Tiefe. 18:;4
floß er abermals zum großen Theil ab. Jetzt, im Juni 1858, war wieder
mehr als die Hälfte des anderthalb Meilen langen und durchschnittlich andert¬
halb Stunden breiten Thalbcckens mit Wasser bedeckt, und von den Kata¬
vothren nichts zu sehen.

Von ähnlicher Beschaffenheit ist der drei Stunden von hier entfernte
stymphalischc See, den wir am nächsten Tage erreichten. Er hatte für uns
kein anderes Interesse als seine Beziehung zu der Heraklessrge. Von der
Waldung, welche in der mythischen Zeit die Ufer des Sees, der zur Hälfte
ein Sumpf ist. bedeckte, ist nichts mehr vorhanden. Von den menschen-
sressenden Vögeln mit eisernen Schwingen, mit Federn so spij, und scharf wie
Pfeile, stieß uns ebenso wenig etwas auf, nicht einmal das Schlvßenwetter.
welches nach modernster Mythendeutung früher hier geniste! haben und das
Urbild des Vogelschwanns gewesen sein soll, und so gewrgtcn wir wohl-


Kleinasien', und rühmt sich der Kniffe, mit denen man gearbeitet. Denn als
Arbeit wird das Geschäft allgemein angesehn, und der gilt in der Gemeinde
am meisten, welcher die meisten ^erlaufenen Stäbe an der Wand hängen hat.
So viel Liezen anf dem Rock des Peteranen, so viel Feldzüge; so viel Krumm-
stäbe an der Herdmauer des Kluznnioten, so viel sommerliche Bettclreisen.

Am nächsten Morgen nahmen wir von unserm guten Doctor — er führt
den brillanten Namen Diamantopulos, Diamantensohn — und seinen gast¬
freien Verwandten Abschied, erfreuten uns des Anblicks unserer Maulthiere,
welche in der Nacht eingetroffen waren, und wendeten uns in das Thal,
welches von solos und den übrigen Dörfern der Nonakris nach dem See
von Pheneos (jetzt Phonia) führt. Der See nahm sich mit seinem grün und
blan schillernden Spiegel unter den schwarzbewaldeten, von weißen Wolken
umflogenen Aroaniagebirg ungemein schön aus. Er stand in dieser Jahreszeit
sehr hoch, und war nach Spiros Meinung unergründlich tief. Derselbe Ge¬
lehrte wußte ferner, daß der See keine Fische habe, daß er überhaupt nichts
Lebendes in seinen Fluten dulde, und daß er durch unterirdische Kanäle ab¬
fließe, die sein Wasser jenseit des Gebirges in der Ruhla wieder zu Tage treten ließen.
Wir lassen dies dahingestellt. Gewiß ist nur. daß der See durch zwei von Norden
kommende Bäche gebildet wird, die kurz vor ihrer Mündung in denselben sich
vereinigen, daß er im Südwesten unterirdische Abflüsse, sogenannte Katavothren.
hat, und daß, je nach dem Zustand dieser Kanäle, welche die Mythen auf
Herakles zurückführen, der Spiegel des Sees bald höher, bald tiefer steht. Im
Alterthum müssen die Abflüsse stets offen gewesen sein, da Stellen, wo jev,t Wasser
findet, bebaut waren, und im Nordwesten unter einem isolirten Hügel mit
Ruinen sogar eine Stadt sich ausbreitete. Auch Leake fand 1800 nur einen,
sehr kleinen See. In den zwanziger Jahren aber verstopften sich die Katavo¬
thren, und der See verdoppelte seine Ausdehnung und seine Tiefe. 18:;4
floß er abermals zum großen Theil ab. Jetzt, im Juni 1858, war wieder
mehr als die Hälfte des anderthalb Meilen langen und durchschnittlich andert¬
halb Stunden breiten Thalbcckens mit Wasser bedeckt, und von den Kata¬
vothren nichts zu sehen.

Von ähnlicher Beschaffenheit ist der drei Stunden von hier entfernte
stymphalischc See, den wir am nächsten Tage erreichten. Er hatte für uns
kein anderes Interesse als seine Beziehung zu der Heraklessrge. Von der
Waldung, welche in der mythischen Zeit die Ufer des Sees, der zur Hälfte
ein Sumpf ist. bedeckte, ist nichts mehr vorhanden. Von den menschen-
sressenden Vögeln mit eisernen Schwingen, mit Federn so spij, und scharf wie
Pfeile, stieß uns ebenso wenig etwas auf, nicht einmal das Schlvßenwetter.
welches nach modernster Mythendeutung früher hier geniste! haben und das
Urbild des Vogelschwanns gewesen sein soll, und so gewrgtcn wir wohl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/40>, abgerufen am 24.07.2024.