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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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europäischen Sophas. eines kleinen Spiegels, einer Reihe von Stahlstichen
unter Glas und Nahmen, und wurde von keinem andern Rauch durchzogen
als dem der Papiercigarren, welche ein alter schnurrbärtiger Pallikaren-
kapitano in brennendrother Tressenjack-e, dergleichen Gamaschen und schnee¬
weißer Fustanella uns zu drehen die Güte hatte..

Der Herr, der uns hierhergeführt, war der Eparchialarzt aus Kalabryta,
der Kapitano sein Schwiegervater. Während dieser nur Griechisch verstand,
und s" sich begnügen mußte, durch freundliche Mienen, gelegentliches Zu¬
nicken und unablässiges Cigarrendre.hen seinen Gästen wissen zu lassen, daß
sie willkommen seiend unterhielt uns der Doctor auf das angenehmste über
Allerlei, vorzüglich über die politischen Zustände des Landes, über die er mit
verstand und Bescheidenheit sprach. Er hatte in Paris und Pavia studirt.
und schien das Bedürfniß zu haben, seine Erinnerungen an die Welt der
Franken wieder einmal aufzufrischen. Im Uebrigen war er guter Patriot,
der die Mängel seines Volkes nach Kräften zu entschuldigen bestrebt war.
von der Zukunft das Beste hoffte, und mit Lebhaftigkeit die Meinung wider¬
legte, als sei man in den gebildeten Kreisen von Hellas der russischen Politik
Zugethan.

Gegen Abend hatte sich das Wetter verzogen, und wer auf das baum¬
reiche Thal mit seinen stattlichen rothen Dörfern, seine," Feigengärtcn, Wein¬
bergen und Maulbeerpflanzungen hinunterblickte, konnte kaum glauben, daß
diese Landschaft von der Styx bewässert und daß einige tausend Schritt flu߬
aufwärts eine Schlucht sei. die den Alten die Bilder zu ihren: Hades ge¬
liefert. Man hätte dann aber auch noch eins nicht glauben mögen, und doch
>se es begründet. Diese Dörfer, neun an Zahl und in ihrer Gesammtheit
Kluzuna, officiell Nonakris geheißen, sind zum Theil von Leuten bewohnt,
welche die Bettelei als Handwerk betreiben, und zwar liefern sie vorzugsweise
verstellte Blinde, während ein Dorf in Nordgriechenland (Klavara bei Epat-
tos) die angeblich Lahmen stellt. Das Geschäft wird nur von Männern be¬
trieben. Die> Frauen besorgen inzwischen die Haus- und Feldwirthschaft. Zu
Anfang des Frühlings machen sich Scharen von Bewohnern dieser Bettler¬
dörfer auf, um das Land bis uach Konstantinopel zu durchwandern, in Lum¬
pen gekleidet Almosen zu heischen, sich um ein paar Lepta oder Para übel
behandeln zu lassen, mountelaug im Freien zu schlafen-- alles, wie es scheint,
lediglich dcshall!, weil es Vater und Großvater so hielte,,, und weil am Ende
der alljährlichen Pilgerschaft die Aussicht winkt, den Winter mit Nichtsthun
zu verbringen. Dann hängt der Bettler seinen Krummstab zu deu etwa schon
vorhandenen andern an die Wand, legt die Lumpen ab und wird Gentleman.
Heute trifft dieser, morgen jener von der Zunft ein, man macht sich Besuche,
erzählt sich von seinen Erlebnissen in Livadien, Thessalien, Makedonien.


europäischen Sophas. eines kleinen Spiegels, einer Reihe von Stahlstichen
unter Glas und Nahmen, und wurde von keinem andern Rauch durchzogen
als dem der Papiercigarren, welche ein alter schnurrbärtiger Pallikaren-
kapitano in brennendrother Tressenjack-e, dergleichen Gamaschen und schnee¬
weißer Fustanella uns zu drehen die Güte hatte..

Der Herr, der uns hierhergeführt, war der Eparchialarzt aus Kalabryta,
der Kapitano sein Schwiegervater. Während dieser nur Griechisch verstand,
und s» sich begnügen mußte, durch freundliche Mienen, gelegentliches Zu¬
nicken und unablässiges Cigarrendre.hen seinen Gästen wissen zu lassen, daß
sie willkommen seiend unterhielt uns der Doctor auf das angenehmste über
Allerlei, vorzüglich über die politischen Zustände des Landes, über die er mit
verstand und Bescheidenheit sprach. Er hatte in Paris und Pavia studirt.
und schien das Bedürfniß zu haben, seine Erinnerungen an die Welt der
Franken wieder einmal aufzufrischen. Im Uebrigen war er guter Patriot,
der die Mängel seines Volkes nach Kräften zu entschuldigen bestrebt war.
von der Zukunft das Beste hoffte, und mit Lebhaftigkeit die Meinung wider¬
legte, als sei man in den gebildeten Kreisen von Hellas der russischen Politik
Zugethan.

Gegen Abend hatte sich das Wetter verzogen, und wer auf das baum¬
reiche Thal mit seinen stattlichen rothen Dörfern, seine,» Feigengärtcn, Wein¬
bergen und Maulbeerpflanzungen hinunterblickte, konnte kaum glauben, daß
diese Landschaft von der Styx bewässert und daß einige tausend Schritt flu߬
aufwärts eine Schlucht sei. die den Alten die Bilder zu ihren: Hades ge¬
liefert. Man hätte dann aber auch noch eins nicht glauben mögen, und doch
>se es begründet. Diese Dörfer, neun an Zahl und in ihrer Gesammtheit
Kluzuna, officiell Nonakris geheißen, sind zum Theil von Leuten bewohnt,
welche die Bettelei als Handwerk betreiben, und zwar liefern sie vorzugsweise
verstellte Blinde, während ein Dorf in Nordgriechenland (Klavara bei Epat-
tos) die angeblich Lahmen stellt. Das Geschäft wird nur von Männern be¬
trieben. Die> Frauen besorgen inzwischen die Haus- und Feldwirthschaft. Zu
Anfang des Frühlings machen sich Scharen von Bewohnern dieser Bettler¬
dörfer auf, um das Land bis uach Konstantinopel zu durchwandern, in Lum¬
pen gekleidet Almosen zu heischen, sich um ein paar Lepta oder Para übel
behandeln zu lassen, mountelaug im Freien zu schlafen— alles, wie es scheint,
lediglich dcshall!, weil es Vater und Großvater so hielte,,, und weil am Ende
der alljährlichen Pilgerschaft die Aussicht winkt, den Winter mit Nichtsthun
zu verbringen. Dann hängt der Bettler seinen Krummstab zu deu etwa schon
vorhandenen andern an die Wand, legt die Lumpen ab und wird Gentleman.
Heute trifft dieser, morgen jener von der Zunft ein, man macht sich Besuche,
erzählt sich von seinen Erlebnissen in Livadien, Thessalien, Makedonien.


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[0039] europäischen Sophas. eines kleinen Spiegels, einer Reihe von Stahlstichen unter Glas und Nahmen, und wurde von keinem andern Rauch durchzogen als dem der Papiercigarren, welche ein alter schnurrbärtiger Pallikaren- kapitano in brennendrother Tressenjack-e, dergleichen Gamaschen und schnee¬ weißer Fustanella uns zu drehen die Güte hatte.. Der Herr, der uns hierhergeführt, war der Eparchialarzt aus Kalabryta, der Kapitano sein Schwiegervater. Während dieser nur Griechisch verstand, und s» sich begnügen mußte, durch freundliche Mienen, gelegentliches Zu¬ nicken und unablässiges Cigarrendre.hen seinen Gästen wissen zu lassen, daß sie willkommen seiend unterhielt uns der Doctor auf das angenehmste über Allerlei, vorzüglich über die politischen Zustände des Landes, über die er mit verstand und Bescheidenheit sprach. Er hatte in Paris und Pavia studirt. und schien das Bedürfniß zu haben, seine Erinnerungen an die Welt der Franken wieder einmal aufzufrischen. Im Uebrigen war er guter Patriot, der die Mängel seines Volkes nach Kräften zu entschuldigen bestrebt war. von der Zukunft das Beste hoffte, und mit Lebhaftigkeit die Meinung wider¬ legte, als sei man in den gebildeten Kreisen von Hellas der russischen Politik Zugethan. Gegen Abend hatte sich das Wetter verzogen, und wer auf das baum¬ reiche Thal mit seinen stattlichen rothen Dörfern, seine,» Feigengärtcn, Wein¬ bergen und Maulbeerpflanzungen hinunterblickte, konnte kaum glauben, daß diese Landschaft von der Styx bewässert und daß einige tausend Schritt flu߬ aufwärts eine Schlucht sei. die den Alten die Bilder zu ihren: Hades ge¬ liefert. Man hätte dann aber auch noch eins nicht glauben mögen, und doch >se es begründet. Diese Dörfer, neun an Zahl und in ihrer Gesammtheit Kluzuna, officiell Nonakris geheißen, sind zum Theil von Leuten bewohnt, welche die Bettelei als Handwerk betreiben, und zwar liefern sie vorzugsweise verstellte Blinde, während ein Dorf in Nordgriechenland (Klavara bei Epat- tos) die angeblich Lahmen stellt. Das Geschäft wird nur von Männern be¬ trieben. Die> Frauen besorgen inzwischen die Haus- und Feldwirthschaft. Zu Anfang des Frühlings machen sich Scharen von Bewohnern dieser Bettler¬ dörfer auf, um das Land bis uach Konstantinopel zu durchwandern, in Lum¬ pen gekleidet Almosen zu heischen, sich um ein paar Lepta oder Para übel behandeln zu lassen, mountelaug im Freien zu schlafen— alles, wie es scheint, lediglich dcshall!, weil es Vater und Großvater so hielte,,, und weil am Ende der alljährlichen Pilgerschaft die Aussicht winkt, den Winter mit Nichtsthun zu verbringen. Dann hängt der Bettler seinen Krummstab zu deu etwa schon vorhandenen andern an die Wand, legt die Lumpen ab und wird Gentleman. Heute trifft dieser, morgen jener von der Zunft ein, man macht sich Besuche, erzählt sich von seinen Erlebnissen in Livadien, Thessalien, Makedonien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/39>, abgerufen am 24.07.2024.